Venedig oder das Zwielicht der Kunst

© ahnungsvoll / 'Einfahrt in die Perle des Ozeans' / Venedig / 2009
E





Eine Impression der subjektiven Art aus Italiens engster Stadt
___________________________________________
Von Hubertus J. Schwarz   22. Mai 2011


Venedig, Italien – Im Zwielicht der Kunst. Ganz hinten im Bus, dort sitzen wir. Vorne, auf den guten, den aktiven Plätzen, im Geschehen jener Reise, haben wir noch nichts zu suchen, wollen es auch nicht. Dort drängt sich die Masse, sie alle schreien „Ich auch, ich auch“, sind zurückgekehrt zu ihren Urtrieben, jagen und sammeln, mehr interessiert nicht. Primatenpack elendiges!

Und Alphatier ist, wer sich größtmöglicher Zerstreuung hingeben kann oder immer noch der welcher am lautesten brüllt?

Angebetet werden nun jene die Zerstreuung bieten, man schmeißt mit güldenen Trophäen und herzt die süßen, schniefenden Ghettokinder, bevor sie wieder ins urböse, hämische Abbild unserer reichen, prallen Leben verbannt werden. Die Übersättigten unserer Tage halten sich diese Kleinen gerade nur solange um ihnen den ungeheuren Gegensatz zwischen der hässlichen armen aus der sie kommen und der glänzenden, schönen Welt in die sie nie gelangen werden aufzuzeigen. Das zumindest schießt mir bei diesem so hochgekrönten, indischen Film durch den Kopf, dem wir uns mangels Alternative hier hinzugeben haben.
Grüble auf dieser, meiner Odyssee über ihren zukünftigen Verlauf. Denn das wird sie zweifelsohne werden, eine Irrfahrt ohne wiederkehr. Unsere Reise war in ihren Geburtswehen selbst schon Schreckgespenst, mit vor Wut und Schrei verzehrtem Gesicht. Rot und epileptisch trat sie in unsere Welt, nicht gewillt auch nur ein Jota Eigenständigkeit an uns verkommene Vaterfiguren abzutreten. Wo blieb der Dank, die Anerkennung dafür, dass wir sie aus der Taufe hoben? Freilich, noch gilt es die Reise zu formen, nach unseren Vorstellungen oder denen der Gesellschaft, Einerlei.

Aber ist für uns Eltern nicht ein gewisses Maß an Grunddank angebracht, dass wir erst die Vorraussetzung schufen, welche schließlich diese doppelt Verfahrene hervorbrachten? Wir werden sehen, nun da der rituelle Vatermord, sporadisch begangen, wir über den Fernpass gelangt, langsam der alpinen Umklammerung entgleiten und ins italienische Flachland dringen. Ich werde mich vorerst zurück lehnen, abwarten und betrachten was die Fahrt aus sich und somit uns machen wird.

© ahnungsvoll / 'beinahe taubenloser Platz im Herzen der Stadt' / Venedig / 2009

Da sitzen wir also, ganz hinten in unserem symbolischen Bus der Geschlechter und harren der Dinge, die da kommen mögen.

Venedig. Schreibe von und auf einer Brücke meine Zeilen in den Tag. Was angesichts der Stadt keine Unglaublichkeit darstellt. Wohl aber im Angesicht der Zeit. Ich habe mehr die Glieder und Ausdünstungen der sich an mir Vorbeischiebenden auf meinen Blättern, als selbst Geschriebenes. Wenn ich ein Wort festhalten möchte, so bitte ich höflich darum es aufzeichnen zu dürfen. Die Menschen murren, es wird geschoben und gerückt, schließlich ist genug Platz für meine Hand un die Feder, so das ich den nächsten Begriff aus der tintenen Taufe heben kann. Es ist, gelinde gesag: eng.

Und nimand scheint wirklich zu verstehen wo er sich befidnet, selbst hier noch herrscht ein überwältigender Drang, bloß nicht zu verwielen. Es fällt bei dem Getöse unglaublich schwer, sie zu konzentrieren.

Wenn ich jedoch hinab ins trübe Nass sehe und es schaffe den unerträglichen Lärm des touristischen Alltages auszublenden, kann ich es beinahe hören. Die Seufzer der vielen, armen, hanfbewährten Seelen, die hier ihren letzten Gang taten um dann als humane Pendel zu enden.

Es bezeichnete einst ein weit gereist und kluger Mann Venedig als „Perle des Ozeans“. Nun stellt sich mir die Frage, ob den auch so etwas reines wie Perlen verätzen können? Venedig kann! Zum Glück, wie ich in dreister Weise hier nun zu behaupten wage. Was wäre der sprichwörtliche „ Glanz der Jahrhunderte“ wenn man diesen der Stadt nicht ansehen könnte? Die wenigsten stellen sich vor das Empire State Building und preisen dessen Erhabenheit, dazu ist es schlicht zu jung. Lobeshymnen auf Alt- und Altbewährtes sind hingegen ungezählt. 

So möchte ich an diese Stelle nun all den viel gehassten Tauben und dem verdammten Smok der Fabrikhallen meinen Tribut zollen. Dank euch, eurer Beharrlichkeit und Incontinetia Urinae umschmeichelt jedwede Statue, Büste oder Säule ein zart Kot/dierter Mantel aus edelweißem Taubendreck.
Oh, flüchtigst, ätzend Smok haben wir das so stimmungsvolle Klischee der Nebel um waberten Kanäle und Alkoven Venedigs zu verdanken. Ihr verkannten Helden gebt den alt- und Steingewordenen Herren der Stadt erst jene ehrwürdigen Furchen, gesetzt durch Fusion aus Kot und Rauch, den verklärte Künstler allzu oft dem Wunsch nach erstarrter Jugend opferten.

Mit diesen Gedanken in meines Hirnes Ödnis wandle ich also durch die Gassen, schwimme als eines von tausenden Rudimenten des Kollektivs welches, getrieben von Niederem, sich durch die Stadt schiebt. Der Wille nach dem nächsten Pizzakonsum, der Venezianischen Maske oder hoffnungslos billigen Möglichkeiten sich obigem wieder zu entledigen, treibt die Masse. Wir pilgern, wie ein Mann, gen jener Fotovorlagen die ein jeder noch und nöcher selbst beknipsten möchte. Haut, Haare und Gliedmaßen einbüßend, kollidiere ich, von unnachgiebig drängender Herde geschoben, an den abgegriffenen Mauern entlang. Zähne und Fleisch prallen auf Stein, meine Zunge schmeckt Schmutz aus Jahrhunderten, schmeckt Ghetto, Pest, Napoleon.

Dann, Licht. Wir ermattet Ritter, längst vergessener Kreuze, ziehen als einzig großes Triumvirat auf weites Feld. Gott lächelt aus jedem Spitzbogen, wird von all den Statuen geehrt. Und ich, wir haben Teil. Spürst du es?


© ahnungsvoll / 'die Kehrseite der Medaille' / Venedig / 2009
Wundern und bewundern, sonnen uns im Glanz der Jahre. Blinzelnd schau ich auf in die Pracht und Markus segnet mich für mein Martyrium.
Also gesalbt wandre ich weiter, über endlose Brücken, Starrgewordene Umarmung der Wasser. Die trüb sind, zu viel gesehen und erlebt, auch das kühle Nass ist alt geworden. Fließt zäh und Sirup gleich, geschwängert von allzu viel ausländischem Samen. Nur der große, der Mahlstrom welcher Stadt und Menge teilt treibt noch, unergiebig der Kloake gewordener Lagune, dann dem Meer entgegen.

Sehe Paläste, schaue Wagners vendraminschen Todessarkophag und nun seid neu, touristisch, Welle, gleichsam zur Befriedigung selbiger, Spielhölle.

Auf das Richard nicht in eben solche Feuer fegen müsse. Mehr Paläste, Pracht des Kaiserreiches neben Schutt der Invasoren. Kein Baum, kein Strauch säumt meinen Weg, nur aus Ferne blick ich dies venezianisch Novum im Garten der toten Großeltern. Die Sonne leuchtet, verbannt meine düstre Impressionen, ertränkt sie in tausend Fratzen die mich schauen. Maske gewordener Sonnenkönig, wabulöse Mondgestalt in menschlich Antlitz gefangen, ausdrucksvollste Gleichgültigkeit in all den teuren Lügen. 25€ bitte!

Wieder auf der Piazza, lehne an des allgegenwärtig Löwens Schulter und fühle mein stilles Zwiegespräch mit der Lagune. Im Schatten des Goldgekrönten Turmes zeigt sie mir die von den alten Herren der Stadt gerissenen Wunden. Residenzinseln, verfallen, schwärend, klaffend: Pocken in gesättigt, grünbraun Nass. Irgendwo tanzt ein Kind auf dem Rücken eines kleinen grauen Pferdes, hinter Löwe, Elefant und Schwan. Es erinnert mich an etwas, so weiß und zart und doch herrisch in Geste und Auftreten, doch erinnere ich mich nicht. Kannst du sie sehen?

In ihrem dunklen, samtenen Sommerkleid, so unauffällig und doch in jeder Pore spüre ich ihre Präsenz. Wind kommt auf, bedenkt mich mit Staub und blauer Plastiktüte. Die Dächer beginnen nun alle in Gold zu baden, der Horizont schwelt dunkel und drohend, doch gleichsam verheißend.
Ich schweife weiter, verbanne allmählich all das deutsche Geflüster und sehe, kann es endlich fassen, venezianisch Schönste, in Mensch gefangene Anmut, senkt die gerade erstandene Lüge, ihre Maske und ich schaue ihr Portrait. Dennoch fasst ihr Blick mich nicht. Weiter wandert er, kokett zu ihrer belanglos, gewöhnlichster Begleitung. Tagtraum birst, mein Weg führt, resignierend, weiter. Sie sprach Deutsch und damit wart der schöne Augenblick je dahin.

Nun spielen auch rot und gelb und blau die Polka der Farben auf den Schindeln. So Blicke ich nun alt geworden, auf schwindend Stadt der Träume jener, die es sich leisten können. Werde von ihr der glimmenden, glitzernden Perle in die anbrechende Nacht verabschiedet.


___________