Das verlässlichste Ventil der Welt

© ahnungsvoll / Berlin / 2011
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Deutschlands heilige Kuh, die Deutsche Bahn – 
Eine verkehrte Klageschrift
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Von Hubertus J. Schwarz   17. November 2011


Mannheim, Deutschland – großer, pulsierender Organismus. Haare aus blattlosen Wäldern, Narben und Pocken aus Hügeln und Bergen. Städte wie Lymphknoten im Netz aus Straßen und Schienen, die den Blutkreislauf bilden. Wie passend, dass die Farben der Deutschen Bahn Rot und Weiß sind. Weiße Blutkörperchen und Rote. Und wie passend, dass unser marodes Monstrum Staat Schwierigkeiten zu haben scheint genug Blut in sein Hirn zu pumpen. Deutschland ist Hirntot und leidet unter massiver Arteriosklerose. Aber das ist gut so!

Dies soll kein schmähender Post werden. Nein! Ich möchte fantavieristisch Danke sagen. Dank dir, Deutsche Bahn. 

Danke, dass du es so vielen Menschen nicht ermöglichst, rechtzeitig an ihren Arbeitsplatz zu gelangen und dort weiter fatalen Schaden am Mann zu verüben. Wie es Politiker, Beamte im Allgemeinen und Ärzte im Speziellen zweifelsohne tun würden, würde man sie pünktlich von A nach B kutschieren. Wer saß nicht schon einmal in einem dieser Kerker, die da so harmlos Wartezimmer geheißen werden, bereit dem Henker im hellen Kittel und der Schlachtbank in rotem Kleid vorgeführt zu werden. Und wer von uns hätte nicht auf die orphisch klingende Nachricht gehofft: Der Doktor ist krank. Er hat sich auf der Fahrt in die Praxis angesteckt. 

Danke Deutsche Bahn, dass du mich etliche Tage in deinen verkalkten Klauen hältst und praktisch zwingst, mich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht allein dem Müßiggang entspringen. Als zum Beispiel, wieder allen Erwartungen, die Steckdosen einmal nicht funktionierten. Was aber natürlich niemals wirklich vorkommt – nie! Da, ja da geschah Erstaunliches. Ich griff an die, dem Rücken meines Vorsitzenden abgewandte, Seite des Sessels – also an die Rückseite des Selbigen – in ein filigran gearbeitetes Netz aus Spinnweben zarten Schnüren. Dort förderte ich nach ziellosem Gewühl und aus einem bisher unerforschten Drang nach gedrucktem Wort ein Stück historisch anmutendes Pergament hervor. Es folgten Sekunden ungläubiger Stille, in denen ich mir nicht sicher war, ob ich nun eine verschollen geglaubte Abschrift aus der zerstörten Pergamon Bibliothek in Händen hielt. Oder doch nur das fettgetränkte, vergilbte Packpapier einer Ditsch Pizza. Keines von beiden ist es gewesen, es stellte als etwas heraus, das da so lapidar Reiseplan heißt. Reiseplan! 

Dieser Reiseplan ist ein Dokument biblischen Ausmaßes was seinen Inhalt anbelangt. Ein ungenannter Autor prophezeit dort in obszön anmaßender, gottgleicher Weisheit wann und sogar wo wir am Ende unserer Reise ­angelangen werden. Erzählt von Zwischenstopps und ist sich nicht zu Schade sogar das Tagesmenü vorherzusagen. Ein Prophet! Ein Messias mit DB Abzeichen! Den die Deutsche Bahn insgeheim beschäftigt und der seit Anbeginn der Mobilität die Fahrzeiten voraussieht. Niemals wäre ich ihm gewahr geworden. Ihm und seinen Evangelien in doppelt gefalzter Form und auf Hochglanz gedruckt, wären nicht, mal wieder, die Steckdosen ausgefallen. 

© ahnungsvoll / Berlin / 2011
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Danke auch, dass du – Oh, Bahn – uns Reisende zwingst einander zu hören, zu riechen und manchmal auch zu schmecken. Selten genug bin ich gewillt die Realität als solche anzuerkennen oder an ihr auch nur sporadisch teilzuhaben. Die Bahn zwingst sie mir in all ihrer erbärmlich, widerlich, grausigen Schönheit auf. Lässt mich erkennen, dass Zollbeamte auch nur Menschen mit einem beeindruckenden Minderwertigkeitskomplex und Schlagstöcken sind. Harten Schlagstöcken. Und drängst mir in stoisch, phlegmatischen Art die Wahrheit auf, dass Menschen in geschlossenen Räumen, ob nun bewegt oder nicht, riechen. Und dieser Geruch, diese humane Duftnote der Vergänglichkeit, die sich Tröpfchen für Tröpfchen von den wesenden Körpern der umherlungernden Subjekte ablöst, in die schon reichlich gesättigte Glocke unter der Kabinendecke steigt und von dort monsunartig hernieder prasselt. Dieser Geruch ist kein Gestank im eigentlichen Sinne mehr, er ist ein Duft gewordenes Sakrileg an meinem Riechnerv, eine obszöne Vergewaltigung meiner ohnehin schon reichlich strapazierten Nasenflügel! Aber er zeigt mir auch in brachialer Deutlichkeit, dass ich noch lebe. Alles Dank der Deutschen Bahn.

Die Deutsche Bahn, mit ihren allseits freundlichen, zuvorkommenden Mitarbeitern, den Zügen die so spät sind, dass schon wieder überpünktlich scheinen und einer Wohlfühlatmosphäre in den Zügen, dass es einen schaudert. Letztendlich wäre ich bitterlich enttäuscht keinen Grund mehr zu haben um mich bei meinen Zugreisen aufregen zu können. Die Deutsche Bahn ist und bleibt mein Lieblingsventil.




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Post Scriptum: Allein was die Deutsche Bahn für die Kaberettszene bedeutet ist beinahe immer von hochkarätig unterhaltendem Wert. Hier ein paar Beispiele:

Mit freundlicher Genehmigung von friedelp

Mit freundlicher Genehmigung von blablablablabla891

Mit freundlicher Genehmigung von ksrfilm