NSA kommt auf den Ork

© Blizzard Entertainment / WoW / 2013 / bearbeitet

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Agenten entdecken mit Fantasy-Avataren die sozialen Untiefen des Internets
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Von Hubertus J. Schwarz   10. Dezember 2013


Hamburg, Deutschland – Die Überwachungsaktivitäten der Geheimdienste erstrecken sich nun auch auf virtuelle Spielwelten. Dabei ist die Vorstellung von NSA-Agenten in Orkgestalt, erschreckend und herrlich skurril zugleich.

 

Hinter degenerierten Orkfratzen, ebenso wie unter den wild wuchernden Bärten der Zwerge oder einem Nachtelf, Gnom, Troll, kurz, hinter jedem wählbaren Charakter in „World of Warcraft, verbirgt sich ein normaler Mensch. So exotisch sich die Spielfiguren auch präsentieren, der Spieler bleibt eine real existierende Person - mehr oder weniger.

 

Während sich die Onlinespieler durch die virtuelle Welt „Azeroth“ kämpfen, wird die Chat-Funktion fleißig zum aushecken der nächsten Angriffsstrategie gebraucht, doch ebenso unterhalten sich die Nutzer über ihre persönlichen Sorgen und Nöte. Schön seit den ersten Tagen des Internets füllen private Theme die Gesprächsverläufe, eine vollkommene Trennung zwischen virtueller und realphysischer Welt ist schwer möglich.


Nicht zuletzt, da es erstaunlich leicht fällt, über Eheprobleme oder ähnlich Sensibles zu sprechen, wenn man, scheinbar anonym, in der schuppigen Haut eines Ogers steckt. 
 
Scheinbar, denn offenbar gibt es sowohl Organisationen, die die diskrete Kommunikation und die Möglichkeit für eine legale zweite Identität in dem Online-Rollenspiel für ihre Machenschaften nutzen.
 
Diese Annahme war offenbar für die so lauschfreudigen anglo-amerikanischen Geheimdienste Grund genug, aktiv zu werden. Bei ihrer Suche nach Terrorverdächtigen durchforschen der britische Geheimdienst ­GCHQ und sein großer Bruder, die amerikanische ­NSA, wohl schon seit Längerem Online-Rollenspiele wie Second Life oder besagtes „­World of Warcraft“. Sie vermuten dort Aktivitäten von Organisationen wie Hisbollah, Hamas und Al-Qaida, selbst ein iranischer Atomwissenschaftler soll sich in seiner Fantasy-Gestalt dort tummeln. Das geht aus Dokumenten des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward ­Snowden hervor. 


Schon in einer Notiz aus dem Jahr 2007 wird bestätigt, dass der Datenverkehr von Online-Spielern identifiziert werden könne. Angriffstechniken für Xbox Live und „World of Warcraft“ seien erfolgreich getestet worden. Und das war scheinbar erst der Anfang.

Mittlerweile sammeln automatisierte Späh-Programme massenweise Chat-Protokolle und Finanztransaktionen der Nutzer. Wie die Geheimdienste genau an diese vertraulichen Dokumente gelangen konnten, ist noch unklar. Nach einem Bericht der New York Times sollen sich die Hacker aber auch hier über das Onlinenetzwerk Xbox Live von Microsofts Zugang zu den Daten verschafft haben. Damit hätten sie die Möglichkeit, ein Programm einzuschleusen, das Informationen von annähernd 50 Millionen Nutzern abschöpft. Es ist sogar möglich, sich in die Kommunikation zweier Spieler einzuklinken. So hält nun also auch in die bisher vergleichsweise heile und von politischen Tendenzen freie Welt der Online-Rollenspiele George Orwells düstere Vision von „Big Brother is watching you“ Einzug. 


Ein Sprecher von Blizzard Entertainment, dem ­Publisher und Entwickler des weltweit verbreiteten Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel, abgekürzt MMORPG, „­World of Warcraft“ beteuerte gegenüber dem Guardian, man wisse nichts von einer Überwachung. "Wenn das stattfand, war es ohne unser Wissen oder unsere Erlaubnis." 

Neben dieser Breitensuche durchstöbern wohl sogar einzelne Agenten die virtuellen Welten. Sie ­versuchen gezielt Hinweise auf terroristische Aktivitäten aufzustöbern oder Informanten anzuwerben. Hinter dieser aufwendigen Spionage, bei der viel Zeit und Personal gebunden wird, steckt nicht bloß die Annahme, Terroristen und andere amerikafeindliche Subjekte würden dort ihre Freizeit verdaddeln, sondern vielmehr Informationen und Geld über die Tauschbörsen des Onlinespiels verschieben­. Diese fixe Idee beweist einmal mehr die beeindruckend flexible Einstellung gegenüber der Realität, der in den Schaltzentralen von NSA und Co. gepflegt wird.


Theoretisch wäre ein solches Netzwerk innerhalb von „World of Warcraft“ zwar denkbar, die Effizienz einer hypothetischen Tauschbörse zwischen Onlinespielern mit terroristischem Hintergrund, bleibt aber fraglich. Für Bezahlvorgänge innerhalb des Spiels sind Kreditkarten und Angaben von Bankinstituten von Nöten, die herauszugeben für einen Menschen mit terroristischen Absichten viel zu riskant wären. Zu leicht ließen sich die Transaktionen zurückverfolgen. Dazu kommt das Risiko, von der Netzwerk internen Sicherheitssoftware „Warden“ entdeckt zu werden. Für Al-Qaida und Co. dürfte es genügend Unwägbarkeiten geben, um sich aus dem Terrain Online-Rollenspiel herauszuhalten.


Nach den Recherchen des Guardian haben diese Argumente die Geheimdienste allerdings nicht spürbar davon abgehalten, die Online-Rollenspiele zu infiltrieren. Im Gegenteil ist der Ansturm unterschiedlicher Nachrichtendiensten, wie FBI, CIA, die britische GCHQ oder NSA, wohl so gewaltig, dass eine eigene Koordinierungsgelle eingerichtet wurde, damit sich die diversen Agenten bei ihren Ermittlungen nicht gegenseitig in die Quere kamen.

Trotz aller Bemühungen und der mittlerweile schon obligatorischen Missachtung des Datenschutzes der beteiligten Menschen ist es den Geheimdiensten laut den vorliegenden Informationen nicht gelungen terroristische Aktivitäten nachzuweisen, geschweige den aufzudecken. Ginge es nicht einmal mehr um den Schutz unserer Privatsphäre, würde das Verbrennen wertvoller Ressourcen nicht weiter behelligen, so aber, ist ein eklatanter Verstoß gegen geltendes Recht und muss unterbunden werden. Dass von Agenten in Ork- und Elfenkostümen die Rede ist, darf nicht davon ablenken, dass es um einen Rechtsbruch geht.


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