Was hängen bleibt...

 © Irrational Games / Bioshock Infinite / 2013

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Bioshock wagt den Sprung vom Videospiel zum cinastischem Erlebnis und fällt
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Von Hubertus J. Schwarz   5. Dezember 2013


Hamburg, Deutschland – Mit Bioshock Infinite versucht Irrational Games den Sprung vom bloßen Ego-Shooter, zu einem Hybriden aus Videospiel und cineastischer Unterhaltung. Das gelingt nicht völlig, beeindrucken kann der Titel dennoch. Das Spiel in der Rückschau.

Booker DeWitt hat Probleme. Probleme in Form unbezahlter Schulden. Um sie zu begleichen, erhält der ehemalige Pincerton Detektiv den Auftrag eine Person namens Elizabeth zu finden. Dem Hinweis seiner Schuldner folgend, entdeckt er im Inneren eines abgelegen Leuchtturms eine Art Raketenfahrstuhl. Damit geht es hinauf durch die Wolkendecke, hinauf in eine vollkommen fremde Welt. 

Unversehens findet sich DeWitt in der schwebenden Stadt Columbia wieder. Es scheint auf den ersten, sonnengeblendeten Blick, als sei er in einem sprichwörtlichen Utopia gelandet. Zumindest, bis er miterlebt, wie eine Afroamerikanerin und ihr hellhäutiger Liebhaber an einen ganz und gar nicht sprichwörtlichem Pranger gestellt werden. Der Grund: ihre Rassen vermischende Beziehung.

Der Titel spielt in einer Variation unserer Vergangenheit. Die Technologie, Mode und gesellschaftliche Struktur entspricht weitestgehend in Bioshock Infinite dem realem, ausgehendem 19. Jahrhundert. Allerdings ist es findigen Wissenschaften aus den Vereinigten Staaten gelungen ein Verfahren zu entwickeln, durch das man Gegenstände, Gebäude und selbst ganze Straßenzüge zum Schweben bringen kann. 

Amerika baut daraufhin die fliegende Stadt und Festung Columbia. Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 wird sie erstmals präsentiert. Es bleibt allerdings nicht lange bei dieser friedvollen Art Überlegenheit zu demonstrieren. Columbia wird eingesetzt um die Interessen der U.S.A. in Asien durchzusetzen - der Boxeraufstand in China wird blutig niedergeschlagen. Dieser Eklat zwingt die Vereinigten Staaten dazu, das Projekt Wolkenstadt fallen zu lassen. Es kommt zur Abspaltung Columbias. Sie verschwindet in den Wolken und damit aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Handlung des Spiels setzt Jahre später, 1912 an.

© Irrational Games / Bioshock Infinite / 2013
Der Ego-Shooter steht in krassem Kontrast zu seinen beiden Vorgängern Bioshock 1&2. Spielten diese noch in der dystopischen Tiefseemetropole Rapture, ist nun der Gegenpart, die Wolkenstadt Columbia, Schauplatz der Handlung. In Rapture dominierten Auseinandersetzungen mit mutierten Bewohnern das Kampfgeschehen. Die Unterwasserwelt im Stile der 1960er Jahre moderte und tropfte, war finster und voll von Horror- und Splatterelemeten. 

Columbia hat nichts davon zu bieten. Gleißendes Sonnenlicht oder prächtige Wolkenberge bilden den Horizont. Die aufgeräumten Boulevards, gesäumt von viktorianischer Architektur werden von einem gut situiertem Bürgertum und einer  Gesellschaft des Überflusses bevölkert. 

Erst mit der Zeit blickt man hinter die Fassaden des schwebenden Columbia. Dort schuftet die gedemütigte und ausgebeutete Arbeiterklasse für den Wohlstand anderer. Ein Pulverfass, dessen Lunte bereits Feuer gefangen hat, als der Hauptcharakter Booker DeWitt noch auf dem Weg in die Stadt ist. Der Widerstand des Proletariats hat sich formiert. Die Vox Populi, lateinisch für die Stimme des Volkes, kämpften im Untergrund gegen das Joch der ultranationalistischen und rassistischen Oberschicht, der Gründer. Vaterfigur und despotischer Herrscher ist der Prediger Zachary Hale Comstock, um den sich eine regelrechte Religion in Columbia etabliert hat. 

Im Verlauf der Handlung eskaliert die Situation, es kommt zum offenen Krieg der Parteien. Der Protagonist gerät dabei mehr und mehr zwischen die Fronten.

© Irrational Games / Bioshock Infinite / 2013
Das Spielprinzip von Bioshock Infinite hingegen ähnelt seinen beiden Vorgängern. DeWitt kämpft mit zeitgemäßen Schusswaffen in der einen und magischen beziehungsweise mutativ anmutenden Kräften in der anderen Hand gegen aufständische Milizen oder dem Militär Columbias. 

Die minimalistische Optik des Ego-Shooters lässt viel Freiraum auf dem Monitor, um die Panoramen der Umgebung betrachten zu können. Und diese Ansichten haben Beeindruckendes zu bieten. Man verliert sich in den verspielten Landschaften rund um einen ansonsten strikt linear aufgebauten Spielverlauf. Hatten die Entwicklerstudios unter der Regie von Irrational Games in Bioshock 1&2 das Element Wasser noch verblüffend in Szene gesetzt. Sind es nun Luft und Licht, die die opulente Aufmachung des Titels prägen.

Ansonsten macht er hingegen keine großen Sprünge. Zwar verbessern sich die Fähigkeiten der Spielfigur im Verlauf der Geschichte, große Variationen oder eine individuelle Justierung sind nicht vorgesehen. Auch das Waffenarsenal und damit die Möglichkeiten im Kampf sind eher das Gegenteil von Vielfältig. Das gilt auch für den Schwierigkeitsgrad, der kaum eine Herausforderung bietet. 

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Die wenig subtile Gesellschaftskritik verpufft durch diese strenge Spielführung rückstandslos, während sich der Protagonist in rasantem Tempo durch die Utopie der Wolkenstadt schlachtet. Es bleibt der unausgesprochene Vorwurf, das dies doch noch nicht alles gewesen sein könne, nachdem sich die Geschichte innerhalb von kaum zehn Stunden selbst eingeholt und für beendet erklärt hat.

Da ist auch der Mangel an Kommunikation keine Hilfe. Außer mit seinem Schützling Elizabeth gibt es in der gesamten Stadt kaum einen Charakter mit dem DeWitt sprechen oder sonst interagieren kann. Abgesehen von den Feinden, die allerdings nie mehr sind, als Kanonenfutter. Und dabei gäbe es Gesprächsstoff en masse. Nimmt das Spiel doch nicht nur Anstoß am American Exceptionalism, sondern stellt den amerikanischen Patriotismus infrage. Das kommt dem Schlachten einer heiligen Kuh gleich und ist eine hochaktuelle Gesellschaftskritik - diese Ausrichtung eines Ego-Shooters ist bemerkenswert.  Ebenso wie der Soundtrack, komponiert von Garry Schyman, der  Stellweise mehr berührt, als es noch so unglaubliche Optik vermag. 

Im Besonderen der finale Akt entwickelt ein eindrucksvolles cineastisches Potenzial. Die Revolution der Arbeiterklasse, die, ausgehend von den Industrievierteln mehr und mehr Abschnitte der Stadt unter ihre Kontrolle bringen, lässt einen stauend stehen bleiben. Gigantische rote Banner, aufgebrachte Bürger und die einnehmende Propaganda beider Seiten bilden eine gekonnte Darstellung. 

Ahnt man während dem Fortschreiten der Handlung, dass hinter den Verwirrungen in Columbia mehr steckt als zunächst vermutet, so enthüllt sich gegen Ende vollkommen, dass DeWitt und Elizabeth bei ihrem Irrweg durch die sich mehr und mehr zerfressende Wolkenmetropole nur einen Teil eines noch sehr viel komplexeren Spiegelkabinetts überblicken - Raum und Zeit sind relativ. 

© Irrational Games / Bioshock Infinite / 2013
Dennoch ist es schlussendlich noch verdaulicher Tobak, der einem in Bioshock Infinite vorgesetzt wird. Und für ein durchlebtes Wochenende bietet das Spiel genügend Abwechslung. Darüber hinaus jedoch ist nicht viel mehr zu holen. 


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