Where are you from?


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Von der Hagia Sophia bis zum Grand Old Basar – Ein nicht ganz offizieller Istanbulführer
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Von Hubertus J. Schwarz   4. März 2012

Istanbul, Türkei – Where are you from? Wer diesen Satz nicht mindestens ein Dutzend Mal gehört hat, der war nicht in Istanbul. Hotelrechnung hin, Hagia-Sophia Schnappschuss her. Es ist der Leitspruch dieser Millionenmetropole.

Where are you from? Woher kommst du? Eine Frage, die so viele Emotionen in sich vereint, dass sie schon beinahe zur Weltenformel taugt. Es beginnt mit vager Hoffnung der Befragte möge auf den Rufer eingehen. 

Dann bange Erwartung, ob der Angesprochene dumm genug ist sich umzudrehen und zu antworten. Panik, wenn man die genannte Nation nicht einordnen kann. Oder aber Genugtuung gerät man an einen Deutschen oder Engländer – europäische Weißbrote. Leichte Beute, mit einem Fluchtwert, kaum höher als der einer dreibeinigen Milchkuh auf ­Ritalin. Schließlich die unendliche Begeisterung, wenn der Tourist auf den hingeworfenen Köder angesprungen ist. Und es gibt kein Entrinnen, egal wo oder wie man in Istanbul unterwegs ist, die Where-are-you-from’s, kurz WAYF’s, umgeben jeden Touristen wie Arbeiterdrohnen ihre fette Bienenkönigin.
Meistens wird man die vier verhängnisvollen Worte von Straßenhändlern hören. Besonders beliebt ist die Frage als Erstschlag der Basarverkäufer. Aber auch Bettler, Restaurantbesitzer, muslimische Missionare, Schuhputzer, Schurken, Mörder, Spione und Matt Damon bedienen sich ihrer. Ab und zu läuft man vielleicht einem übermotivierten Türken über den Weg, der vor den Touristenhotspots Gesprächspartner sucht, um sein Englisch aufzubessern. 
So unterschiedlich die Fragenden auch sind, ihre Intention mit diesem Satz ist bei allen dieselbe. Es geht darum auf scheinbar unverbindliche Weise ein Gespräch zu eröffnen, um am Gegenüber letztendlich Geld zu verdienen. Abgesehen von den Türken, denen es notorisch an nordeuropäischer Weiblichkeit zu mangeln scheint und die versucht sind, diesen Missstand durch das Ergattern und Begatten von Touristinnen auszugleichen. Je blonder, je blauäugiger, desto besser.

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 Es gibt nun für den dezent entnervten Reisenden mehrere Möglichkeiten einer solchen Situation zu begegnen.

1. Ich seh dich nicht, also siehst du mich auch nicht
Die in der Häufigkeit ihrer Anwendung am Weiten verbreitetste Art mit unliebsamen Straßenhändlern, Verkäufern oder geilen Böcken umzugehen – Ignoranz. Die Betroffenen gehen so ungerührt wie möglich ihres Weges. Meiden Blickkontakt und sehen stur gerade aus, dem imaginären Ziel entgegen. Meistens lässt der WAYF von einem ab und setzt die Pirsch nach lohnenderen Zielen fort. 

Es kann aber passieren, dass man besonders hartnäckige Verfolger mit dieser Art und Weise gerade erst richtig anstachelt. Schnell wird einem dann das angepriesene Objekt der Begierde im wahrsten Sinne unter die Nase gerieben. Besonders im Gewürzbasar kann das schnell zur nasalen Überreizung führen – mit unappetitlichen Folgen. Oder einer der allgegenwärtigen Verkäufer von Tuchen wirft seine zu Lassos umfunktionieren Schals nach den Hälsen der Reisenden.
In einem solchen Fall lässt sich die ‚schleich di!‘-Botschaft durch das Erhöhen des Schrittmomentes noch verstärken. Auch abwedelnde Handbewegungen sollen schon zu Erfolg geführt haben. Besonders gerissene Touristen täuschen einen spontanen Niesanfall vor. Ist man damit überzeugend und hat die nötige Ausdauer, wird man jeden noch so hartnäckigen Türken los.

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2. Die Flucht nach Vorne
Beantwortet man die Frage, sachlich und mit einem nicht unfreundlichen aber reservierten Lächeln, geht man zwar auf genau das ein, was dem WAYFer als Basis für einen radebrechenden Verkaufsmonolog dient. Bleibt man dabei aber nicht stehen, sondern geht ungerührt weiter, werden zumindest die Verkäufer mit einem nicht mobilen Stand nach ein paar Schritten und einigen Nachrufen aufgeben. Wer allerdings mehr als ein Wort braucht, um seine Herkunft zu deklinieren, der sollte von dieser Methode abstand nehmen.

3. Resignation
Wird man das Subjekt dessen man sich entledigen, möchte nicht los oder hat schlicht nicht mehr die Kraft zur Flucht, so bleibt einem noch der Griff ins Portemonnaie. Zahlt man den beeindruckend überzogenen Preis und nimmt das Dargebotene ohne Mucks und Mimik entgegen, wird man relativ schnell wieder seiner Wege ziehen. Mit dieser Verhaltensweise kann man sich allerdings der Verachtung aller Türken sicher sein. Denn hier gilt das Feilschen und Handelns als Volkssport. Und auch die eigenen Finanzen werden so den Urlaub nicht lange überdauern...

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4. Die älteste und nobelste aller Piratentraditionen
Kämpfen um davonzulaufen. Dies ist der gewagteste Kurs mit WAYF’s fertig zu werden. Entweder erleidet man fatalen Schiffbruch am Verkaufsgeschick der Türken und muss mit ansehen, wie die Urlaubskasse auf nimmer Wiedersehen in einen Strudel aus Worten und unschlagbar ‚billigen‘ Angeboten versinkt. Oder aber man triumphiert und lässt die eilfertigen Händler selbst kielholen.

Wichtig ist, dass man genügend Zeit für diese Taktik mitbringt. Denn ein erwachsenes Verkaufsgespräch dauert in Istanbul mindestens eine Viertelstunde.

Wenn man nun durch eines der vielen Tore in den Großen Basar Istanbuls marschiert, dann wird es nicht lange dauern, bis die ersten Händler ihre Fühler ausstrecken. Je nordischer man aussieht desto schneller ist man Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Man darf nun nicht gleich den Erstbesten die einem, natürlich absolut exklusive, Angebote macht das Ja-Wort geben. 

Nur schauen, nicht anfassen und auf gar keinen Fall nach dem Preis fragen! Wer nach dem Preis fragt, der impliziert ein ‚Will ­haben‘. Vielmehr schlendert man weiter und äußert sich dabei möglichst naiv über die dargebotenen Dinge. Reinzufällig treibt man zu genau zu dem Türken, der sich nicht wie eine tollwütige Hyäne auf einen gestürzt hat. Denn dieser ist im Zweifel der seriöseste Verkäufer des Marktes. Vor seinem Stand wird angehalten. Erst, wenn dessen Aufmerksamkeit gerade anderen Kunden gilt, beugt man sich über die Waren und bezeugt Interesse.

Jetzt geschieht Merkwürdiges. Eine der Hyänen, die im Hintergrund immer noch auf eine Schwäche gelauert haben, gesellt sich dazu und beginnt die Verkaufsgegenstände seines Kollegen anzupreisen. In einer Selbstverständlichkeit, die Glauben machen könnte, der ganze Große Basar sei ein einziger Familienbetrieb...

Es folgt der entscheidende Part im Tanz um einen guten Kauf. Das eigentliche Verkaufsgespräch. Man besieht sich das begehrte Stück. Rümpft in schlecht gespielter Abneigung die Nase. Zieht erst eine, dann die andere Braue in den Himmel. Spätestens wenn auch die Begleitung anfängt mit den Brauen zu zucken, legt der Verkaufsfreudige mit den verheißenden vier Worten los: Where are you from? Man ist höflich und antwortet. Mit etwas Glück kann man nun das Verkaufsgespräch sogar in der Muttersprache führen – Heimspiel im Ausland. Nun ist es Zeit sich nach dem Preis zu erkundigen. 

Meistens wird einem eine obszöne Summe genannt, die das Portemonnaie in der Hosentasche entsetzt aufstöhnen lässt. Der augenzwinkernde Kommentar: „Ich möchte nicht den ganzen Stand kaufen, sondern nur das eine Teil hier.“ bringt die meisten Türken relativ schnell wieder auf den Boden zurück. Man selber hat nun ein Gegenangebot zu machen. Eine bewährte Faustregel sagt: 1/3 des Preises, denn man wirklich bereit ist zu zahlen, ist ein gutes Einstiegsangebot. So geht das Handeln in einem, immer höflichen, Ton hin und her. Aber dennoch ist Einfallsreichtum ist gefragt. Der WAYF weiß, das man nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung hat, wie viele Knoten ein guter Teppich denn nun wirklich braucht oder ob "Hundert Prozent Echde Leda" wirklich Leder wie "Tierhaut" bedeutet. Steht man dann, nach durchschnittlich 15 Minuten davor sich auf einen Wert zu einigen, kommt es zum Showdown:

Man schlägt ein, hält die Hand des Verkäufers aber weiter fest und fragt im verschwörerischen Tonfall ob dieser einem noch ein paar gute, das heißt preisgünstige, Schmuckstücke für die Gattin, ein Kamel und oder vielleicht eine Wunderlampe beschaffen könne. Wenn er hat, auch einen fliegenden Teppich mit Abitur.

Während man die Wunschliste heruntersalbadert, kann man beobachten, wie sich im Gesicht des Gegenübers ein Ausdruck seliger Entrückung breitmacht. Er wird einen nun eifrig und freudig zu einem Tee einladen, den abzulehnen eine arge Beleidigung ist, und sofort damit beginnen den ganzen Basar umzuräumen, um seinem neuen Libelingskunden jeden Wunsch zu erfüllen. Dem eigentlichen Standbesitzer ist dies natürlich nicht verborgen geblieben, er wird sich beiläufig erkundigen, gelangweilt und wortlos abwenden und dann eiligen Schrittes entschwinden. 

Natürlich nur, um seinem Konkurrenten das Geschäft streitig zu machen. Und während sich die beiden so gegenseitig immer weiter zu unterbieten versuchen, um den Zuschlag zu bekommen, dabei wild durch den ganzen Markt galoppieren und wehklagen, dass man sie und ihre Familien in den Ruin treibt, kann man selber genüsslich seinen Tee trinken und sich in der Bewunderung all der närrischen Touristen sonnen, denen man sich nun als absoluter Istanbulkenner offenbart hat. Es wird nun niemand mehr fragen von wo man ist, Jeder wird annehmen, man sei von hier.



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