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Von Johannes Grenzfurthner & Hubertus J. Schwarz 22. November 2013
Von Johannes Grenzfurthner & Hubertus J. Schwarz 22. November 2013
Graz, Steiermark – Es stinkt nach Urin, Angst, Lügen und Wahrheit.
Der Ort: ein karger Verhörraum. Die Protagonisten: Ein Offizier und Johannes
Grenzfurthner, der Initiator des Film-Projektes Sierra Zulu. Ein Freigeist, dem
seine Vision einer sowjetischen Mikrorepublik bis in die Realität gefolgt ist –
Ein Interview der etwas anderen Art.
Kommissar
Moloshnikov:
Genosse
Grenzfurthner! Bitte unterbrechen Sie die Urination in ihrer Zelle. Es ist
Zeit.
Regisseur
Grenzfurthner (beendet Urination, packt sein Glied zurück in die Unterhose):
Also, ich habe
keine Ahnung wer Sie sind, aber... (bekommt Ohrfeige)...
Kommissar
Moloshnikov:
Ich bin
Kommissar Moloshnikov vom Sowjet-Unterzögersdorfer Büro für Verständigungsproblematik, Abteilung Kulturmechanik und Differenzdoktrin.
Regisseur
Grenzfurthner:
Ich will
sofort mit General Gogov sprechen! Meine Behandlung hier ist eine Zumutung! Ich
bin immerhin ein Freund Ihres Landes! Da fahre ich nichtsahnend mit meinem
3er-Golf die Windmühlgasse entlang, da wird mit der Weg von einem katalysatorlosen
Kleinlieferwagen verstellt, Ihre Milizionäre springen raus, und das nächste, an
das ich mich erinnern kann, ist auf einem total verschimmelten Kellerfußboden
aufzuwachen! Ich habe eine Allergie!
Behandelt man
so befreundete Kräfte aus dem Ausland?
Ihr
großmäuligen Westler und euer karges Immunsystem! (gibt Ohrfeige)
Regisseur
Grenzfurthner:
Aua!
Kommissar
Moloshnikov:
Wir sind
unzufrieden über den Fortschritt Ihres -- unseres! -- Projektes.
Regisseur
Grenzfurthner:
Liest ihre
politische Führung keine E-Mails? Ich schicke zweiwöchentlich Updates, sogar
UTF-8 kodiert!
Kommissar
Moloshnikov:
Wir haben auch
anderes zu tun. Also, erklären Sie sich!
Regisseur
Grenzfurthner:
Sie meinen
unser Projekt "Sierra Zulu"?
Kommissar
Moloshnikov:
Selbstverständlich.
Regisseur
Grenzfurthner:
Wir sind im
vierten Jahr der Planung. Es gibt leichte Verzögerungen.
Kommissar
Moloshnikov:
Das Projekt
soll schon 2013, laut 5-Jahres-Plan abgeschlossen sein! Sie unfähiger Hund!
Regisseur
Grenzfurthner:
Ja, so lasse
ich mit mir aber nicht... (bekommt Ohrfeige)... Scheißdreck! Ich will General
Gogov... (bekommt Ohrfeige)... aua! Ich habe das Recht... (bekommt Fußtritt)...
hmmpf. Ich ... (bekommt Kopfnuss). Ok. Das Projekt ist leider ins Stocken
geraten. Wir haben um Filmförderung beim Österreichischen Filminstitut
angesucht, und wurden in erster Instanz abgelehnt.
Kommissar
Moloshnikov:
Film?
Regisseur
Grenzfurthner:
Sie wissen gar
nicht, dass es sich um einen Film handelt?
Kommissar
Moloshnikov:
Elaborieren
Sie.
Regisseur
Grenzfurthner:
Aber... ok.
Gut. Vor vier Jahren traten wir mit dem obersten Sowjet Ihres Landes,
Sowjet-Unterzögersdorf, in Verbindung, weil wir die glorreiche Geschichte der
letzten Sowjetrepublik auf dem Planeten Erde in Form eines Spielfilms erzählen
wollen. Also eine Art Spielfilm-Doku über den... äh... stolzen Kampf ihres
kleinen Landes Sowjet-Unterzögersdorf.
Kommissar Moloshnikov:
Ich verstehe.
Wird darin auch unsere ruhmreiche Vergangenheit erzählt?
Regisseur
Grenzfurthner:
Natürlich!
Dass Ostösterreich von 1945 bis 1955 sowjetische Zone war, und dass nach Abzug
der Alliierten mit Unterzeichnung des Staatsvertrags aber nicht alle Sowjets
wirklich abgezogen waren, sondern in einem unbewohnten kleinen Dorf namens
Unterzögersdorf sesshaft geworden waren.
Kommissar
Moloshnikov:
Eine stolze,
sowjetische Enklave in den Tiefen des niederösterreichischen Weinviertels.
Regisseur
Grenzfurthner:
Genau. 2009 begannen
wir die Arbeit an einem Spielfilm. Ein Film über transnationale Politik und die
Informations- und Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts!
Kommissar
Moloshnikov:
Aber ist das
nicht anachronistisch? Ein Film über die Informationsgesellschaft?
Regisseur
Grenzfurthner:
Nein! Was mich
interessiert ist, dass Ihr Kuhdorf (bekommt Ohrfeige)… aber das meine ich ja
positiv! Also ihr Kuhdorf (bekommt Ohrfeige) kann die kommunistische Utopie in
die Gegenwart retten… weil es nicht mehr ernst genommen zu werden braucht, und
sich deswegen von der Schwere der eigenen Zwangsutopie befreit hat.
Kommissar
Moloshnikov:
Und die
Handlung?
Regisseur
Grenzfurthner:
Eine bunt
gemischte UN-Friedenstruppe betreibt ein kleines Camp im Niemandsland zwischen
Österreich und dem ruralen Mikrostaat Sowjet-Unterzögersdorf. Eine Explosion
mitten im sowjetischen Territorium zieht das Team in eine bizarre Verschwörung
aus Industriespionage, Medienwahnsinn und politischer Intrige. Und die
Informationsindustrie? Opfer sind unvermeidlich.
Kommissar
Moloshnikov:
Das klingt
doch besser... aber ist das unterhaltsam und belehrend?
Regisseur
Grenzfurthner (schluckt):
Ja! Film ist
ein großartiges Trägermedium. Es ist so augenweitend berührend. Deswegen liebe
ich Film, verschlinge ihn und gestalte ihn. Film ist eine sugar-coated bullet.
Das gilt natürlich auch für Sierra Zulu – denn unser Film ist trotz aller
bitterer theoretischer Farce eine erquickliche, praktische Komödie.
Kommissar
Moloshnikov:
Ach halten Sie
das Maul. Warum ist der Film noch nicht fertig?
Regisseur
Grenzfurthner (schluckt):
Die Finanzen!
Die Finanzen! Wir müssen Fördergeber beeindrucken um den Rest des doch großen
Budgets aufzutreiben! Zu diesem Zweck haben wir den Kurzfilm
"Earthmoving" gedreht. Es handelt sich um ein sogenanntes
"Prequel", also die Vorgeschichte von "Sierra Zulu". Wir
konnten den Kurzfilm im Jänner 2012 in nur eineinhalb Drehtagen fertigstellen!
Kommissar
Moloshnikov:
Ach ja? Wenn
das Ding so beeindruckend war, warum gibt’s dann keine Fördergelder?
Regisseur
Grenzfurthner:
Die
Jurymitglieder des Österreichischen Filminstituts... (bekommt Ohrfeige)...
haben... (bekommt Ohrfeige)... Skepsis... (bekommt Fußtritt)... ja lassen sie
(bekommt Ohrfeige) mich (bekommt Ohrfeige) doch (bekommt Ohrfeige) mal (bekommt
Ohrfeige) ausreden!
Kommissar
Moloshnikov:
Gut.
Regisseur
Grenzfurthner:
Als wir die
Ablehnung des Österreichischen Filminstitus auf Facebook, Twitter und anderen
Social-Media-Plattformen verkündet hatten, gab es einen Aufschrei! Unsere Fans
wollten uns jetzt sogar finanziell unterstützen!
Kommissar
Moloshnikov:
Wir brauchen
keine Social Media! Wir brauchen Socialist Media!
Regisseur
Grenzfurthner:
Äh. Ja. Und
Crowdfunding.
Kommissar
Moloshnikov:
Krautfunding?
Regisseur
Grenzfurthner:
Crowdfunding!
Wir haben das Projekt und Sowjet-Unterzögersdorf auf Kickstarter einer
Online-Plattform zur verteilten Spendeneintreiberei vorgestellt. Wir konnten in
27 Tagen 52,000 US-Dollar für das Projekt bekommen (bekommt Ohrfeige)...
Kommissar
Moloshnikov:
Verfluchtes
Westgeld!
Regisseur
Grenzfurthner:
Ja, aber es
zeigte den Fördergebern, dass sich viele Leute für das Projekt interessieren!
Wired, Boing Boing, io9, Libération, und viele andere internationale Magazine
haben berichtet!
Kommissar
Moloshnikov:
Der Stern von
Sowjet-Unterzögersdorf strahlt also heller denn je!
Regisseur
Grenzfurthner:
Nicht zuletzt
auch wegen der wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler, die wir bislang
gewinnen konnten! Jello Biafra, der Ex-Sänger der Dead Kennedys, Robert
Picardo, bekannt als Hologramm in Star Trek Voyager, Amber Benson, bekannt als
Tara in Buffy the Vampire Slayer, die wunderbaren Pranksters The Yes Men, aber
auch österreichische Prominenz wie Gerald Votava, Michael Ostrowski und Alfons
Haider (bekommt Ohrfeige)...
Kommissar
Moloshnikov:
Angeber. Sagen
Sie es doch gleich... Sie brauchen also noch Zeit! (es läutet das Telefon;
spricht ins Telefon) Ja, ja? Gerne. Ja. Ich komme dann auch auf einen Tee
vorbei, General. Ja.
Regisseur
Grenzfurthner (sieht Schlüssel in Moloshnikovs Hosentasche, nimmt ihn an sich
und versucht die Handschellen zu öffnen):
Grmm... grmmm.
Dreck.
Kommissar
Moloshnikov (zu Grenzfurthner):
Aber Herr
Genosse! Das ist ja stümperhafte Arbeit. Aber Sie haben Glück! Man hat mir
gerade mitgeteilt, dass unsere Führung bereit ist, Ihnen noch Zeit einzuräumen.
Wir kümmern
uns in der Zwischenzeit um das Arschloch Haneke.
Regisseur
Grenzfurthner:
Manchmal
besuche ich Ihren General Gogov und bringe ihm West-Pralinen mit, auf die er
dann spucken darf. Dann bin ich unglaublich stolz! Darf ich jetzt gehen?
Kommissar
Moloshnikov:
Sie dürfen.
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Den gesamten Grenzgänger gibt es in joe08 zu erleben