Schatten über New York

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Die virtuelle Realität bekommt mit Ubisoft's Engine Evolution eine neue Definition
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Von Hubertus J. Schwarz   9. Dezember 2013

Hamburg, Deutschland – Mit Snowdrops stoßt Ubisoft seine neue Rendering-Engine aus dem Schatten und führt parallel das Action-Adventure Tom Clarcys - The Devision ins Licht. Die Videospielschmiede beraumt damit eine Revolution an, die vielleicht doch nur eine Evolution ist.  

Hört, hört: „Das chaotische, heruntergekommene New York City wird durch einen dynamischen Tag/Nachtzyklus in Szene gesetzt.“ Oder vielleicht: „Um die Stimmung weiter zu vertiefen, reagieren Oberflächen mit unerreichter physikalischer Genauigkeit.“ Spätestens aber, wenn sich eine Marketingabteilung den Gassenhauer*: „Mach dich bereit für die nächste Generation des Gamings“ nicht verkneifen kann, springen bei den Skeptikern unter uns die Defensivmechanismen an. Das überhörte PR-Deutsch beeindruckt nicht mehr, schreckt im Gegenteil sogar ab. Zu oft verbirgt sich hinter der postulierten Revolution, nicht viel mehr als Recycling.

In diesem Fall aber, und deshalb ist es vielleicht klug, nicht jede Pressemitteilung ungelesen in den Spam-Ordner zu verbannen, steht hinter den Worthülsen die Premiere der neuen Engine der Videospielschmiede Ubisoft. Und auch auf den zweiten Blick weckt das Programm mit dem klingenden Namen „Snowdrops“ einige Erwartungen.

Entwickelt wurde die Engine für die dystopische Spielwelt von „Tom Clancys - The Devision“. In dem Action-Adventure schlüpft der Spieler in die Rolle eines Agenten, der gegen das Chaos einer sich zerfressenden Gesellschaft ankämpfen muss. Zeitgemäß nehmen Online- und Multiplayer-Elemente einen großzügigen Platz im Gameplay ein. Der Entwickler bezeichnet die Vernetzung als „100% sozial“. Es ist barrierefrei möglich in ein laufendes Spiel einzusteigen. Sei es unterwegs mit Tablet und Smartphone oder vielleicht kurz nach dem Aufstehen, um dem Spielpartner aus der hinteren Mongolei, der gerade eine Feierabend-Session einlegt, bei seiner Partie zu assistieren. 

Schauplatz der Geschichte ist New York. Eine verheerende Pandemie tobt über die Stadt die niemals schläft hinweg. Die Bevölkerung reagiert auf eine solch unerwartete Bedrohung, wie es eine kopflose Maße nun einmal zu tun pflegt. Nachdem die Infrastruktur ausgefallen ist, Nahrung und Wasser rar werden, zerfasert sich die Gesellschaft innerhalb weniger Tage im Chaos. 

Dieses fatale Szenario aktiviert eine geheime Militäreinheit - The Devision. Deren Mitglieder sind unabhängig agierende, taktische Agenten, die unauffällig unter den Menschen New Yorks leben - es sind Schläfer. Ihre Aufgabe besteht darin, den endgültigen Zusammenbruch der allgemeinen Ordnung zu verhindern. Jedoch zeichnet sich hinter dem vermeintlich willkürlichen Virus ein erschreckendes Muster ab. 

© 2013 Ubisoft Entertainment
Das Spiel interpretiert dabei ein Werk des Schriftstellers Tom Clancy. Vielen wird er durch die populäre Verfilmung eines anderen seiner Romane bekannt sein: „Jagd auf Roter Oktober“ mit Sean Connery.

Seit Ubisoft die Spielefirma von Clancy, Red Storm Entertainment aufgekauft hat, belebte die Symbiose zwischen der Marke „Tom Clancy“ und Ubisoft den Videospielmarkt. Ganze Titelreihen, wie Ghost Recon, Rainbow Six und Splinter Cell entstanden in dieser Zeit. 2008 sicherte sich Ubisoft die Namensrechte an Clancys gesamten Werken. Damit hat der französische Publisher die unbefristete Erlaubnis, auch weiterhin Spiele, Filme und sonstige Produkte unter der Marke Tom Clancy zu verkaufen.

Mit der Snowdrops Engine und Titel, wie Assassin‘s Creed - Blag Flag, dem im neuen Jahr erwartenen Watch Dogs und eben The Devision will Ubisoft mehr als nur einen Fuß in die vielbelagerte Tür der neuen Konsolengeneration mit Xbox One und PS4 bekommen.

© Ubisoft Entertainment / 2013
Snowdrops zeichnet sich durch einen besonderen Hang zu Detail verliebten und realistischen Lichtverhältnissen aus. Die fließenden Übergänge zwischen Tag und Nacht ergeben eine Dämmerung, die den Namen auch verdient hat. Dabei erfasst ein System aus Lichtsonden, die auch in Filmproduktionen genutzt werden, nahezu die komplette Oberflächenstruktur der Spielkarte und rendert dementsprechend angepasste Lichtverhältnisse im Bezug auf Tageszeit und Witterungsverhältnis. 

Dieser Ablauf ist so dynamisch gestaltet, dass auch vom Spieler beeinflusste Aktionen einbezogen werden. Das mögen ganz banale Tätigkeiten sein, die aber eine ungeheure Realitätssteigerung bewirken können. Vom Öffnen eines Fensters in der Spielwelt, bis zum durchschießen einer Wand. Snowdrops registriert selbst kleine Veränderungen, wie die, den Spielverlauf nicht wesentlich beeinflussenden, Einschusslöcher und lässt Sonnenstrahlen hindurchfallen. 

Eng damit verwoben ist das Wetter. Es ist beeindruckend, seiner Spielfigur dabei zusehen zu können, wie sie dem Schnee beim schmelzen zusieht. Was die Lichtverhältnisse und die dynamische Umgebung anbelangt, steht Snowdrops und damit das The Devision auf dem Gipfel dessen, was aktuell durch computernaimierte Grafiken erreicht werden kann.

Dabei hatte alles so simpel begonnen. Die Urgeneration der Videospiele kannte weder Dreidimensionalität noch Schattierungen oder überhaupt eine nennenswerte Farbvariation. Weder die Tic-Tac-Toe Simulation „OXO“ aus dem Jahre 1952 oder „Tennis for Two“, basierten auf mehr,als bloßen Lichtimpulsen auf einer dunklen Grundfläche. Auch dessen geistiger Nachfolger, der Klassiker „Pong“ glänzte nicht durch seine Detailverliebtheit oder gar Farbenpracht. Daran änderte sich bis in die 80´ Jahre auch nicht viel. „Pacman“ brachte dann Schwung in die Tristesse der farbfreien Videowelt - es war bunt. Bis zu annähernd realen Darstellungen von Mensch und Tier sollte es aber noch zwei weitere Jahrzehnte dauern. Exkurs Ende.

© Ubisoft Entertainment / 2013
Mit der beinahe exponentiellen Leistungssteigerung der Computer Hard- und Software, im neuen Jahrtausend vervielfältigen sich auch die Möglichkeiten der Entwickler. Snowdrops stellt den neusten Stand dieser Evolution dar. 

Allerdings, und das ist der bittere Wehrmutstropfen oder, um im Bild zu bleiben, die Schattenseite in The Devision, man kann sie selten störungsfrei genießen. Wie beim Blick durch Google Glass generiert das Spiel ständig Informationen, die es dem Spieler mitteilt - ob er will oder nicht. Der Spielcharakter scheint durchgängig von einem dichten Schwarm flirrender Informationen umgeben. Und die versperren die Sicht auf das Wesentliche, eine irrsinnige Optik.

Dennoch bleibt der Eindruck, wenn auch leicht getrübt, dass Ubisoft mit Snowdrops den nächsten Schritt in Richtung des imaginären Wahrnehmungsäquators getan hat, hinter dem mit bloßem Auge nicht mehr zu unterscheiden ist, ob die in einem Spiel gezeigten Bilder, reale Aufnahmen oder computergenerierte Grafiken sind. Weiter so. 

*Gemeint ist das Synonym für ein populäres Lied, nicht das Metzelwerkzeug aus der europäischen Renaissance.






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