Der Weg der Toten

© ServusTV / Illustrationen von Claudia Maier und Christopher Eder / 2015





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Wie die alten Ägypter den Tod sahen
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Von Hubertus J. Schwarz      27. Oktober 2015

Hamburg, Deutschland – Der Weg zur Erleuchtung führt am Tod vorbei. Die buddhistische Lehre empfiehlt, sich nicht von Gedanken an den Tod ablenken zu lassen. Das Leid im Leben zu akzeptieren, hat Vorrang. 

Der steinige Weg zur Läuterung  
Im Alten Ägypten bereiteten die Menschen ihr Leben im Jenseits mit besonderer Hingabe vor. Der aufwändige Prozess der Einbalsamierung und Mumifizierung dauerte im Idealfall 70 Tage. Er sollte den Verstorbenen auf das Totengericht vorbereiten, denn dort wartete ein alles entscheidender Spießrutenlauf. Nach damaligem Glauben erhielt nur Einlass in das ägyptische Reich der Seligen, wer alle Rätsel im Jenseitigen Land zu lösen vermöchte - ein Totenreich voller Gefahren. 

Dämonen versuchten die Seelen der Toten mit Stöcken, Netzen, Fallen und Speeren einzufangen. Die so Verfolgten konnten sich nur retten, indem sie die geheimen Namen der Quälgeister aufsagten. Hatten sie das Totenbuch, die zentrale Glaubensschrift, im Leben aufmerksam studiert, kannten sie die rettenden Formeln. 



Nach bestandener Prüfung gelangten sie in das jenseitige Reich des Osiris, dem Gott des Todes und der Wiedergeburt. Dort vereinten sich Seele und Körper des Verstorbenen wieder. Aus diesem Grund war es für den Totenkult im Alten Ägypten unabdingbar, den Zerfall der sterblichen Hülle aufzuhalten – sie wurde im nächsten Leben noch gebraucht.

 Diese Prüfung war im Alten Reich, der frühesten Periode der ägyptischen Hochkultur zwischen 2700 und 2200 v. Chr., ausschließlich für das Königshaus vorgesehen. Erst im Verlauf des Mittleren Reiches um 2137 bis 1781 v. Chr. erweiterte sich das Konzept auf alle Gesellschaftsschichten. Damit ist das Alte Ägypten die erste Kultur, aus der uns ein konkretes Totengericht überliefert ist.  

Die bekanntere, allerdings erst ab dem Neuen Reich von 1550 bis 1070 v. Chr. praktizierte Form der Totenprüfung sah vor, das Herz des Verstorbenen in der Unterwelt zu wiegen. Als Gegengewicht wurde eine Feder eingesetzt. Sie symbolisierte die Göttin der Harmonie und des Ausgleichs, Maat. Pendelten sich Herz und Feder auf selber Höhe ein, so galt der Tote als fähig, sich von seinen Sünden reinzuwaschen. 

© ServusTV / Die Dreifaltigkeit der Seele  / 2015
Die Dreifaltigkeit der Seele
In der altägyptischen Mythologie wurde die Seele eines Menschen in mehrere Aspekte gegliedert, von denen jeder eine eigene Aufgabe wahrnahm. Zwar sind die überlieferten Definitionen teilweise widersprüchlich und unklar, gemein war den Glaubensvorstellungen jedoch die Trennung der Seele in die Bestandteile Ka, Ba und Ach. 

Der Aspekt Ach war ein Zustand, der erst im endgültigen Totenreich zur Entfaltung kam. Bestand der Verstorbene die Prüfungen des Jenseits, so konnte seine Seele als Ach-Wesen über die Erde wandeln. Zumeist wurde sie dann als schwarzer Ibis dargestellt, ein Geisterwesen, das magische Kräfte besaß und auch in der Welt der Lebenden umhergehen konnte. 

Der heutigen Vorstellung einer Seele kommt der Ba-Aspekt am nächsten. Ihm wurde die Fähigkeit zugesprochen, einen Leib beweglich zu halten. So stellte man Ba oft als agiles Vogelwesen mit menschlichem Kopf dar. Das Ka stand hingegen für die Lebenskraft, die den Körper eines Menschen mit Energie versorgte. Dieser Seelenaspekt wird zumeist als Hieroglyphe aus zwei angewinkelten Armen dargestellt. Starb ein Mensch, so verließen das Ka und Ba den Körper durch dessen Mund. War der Tote erstarrt, so begannen die aufwendigen Bestattungsrituale. 

Den Abschluss der Einbalsamierung bildete das Mundöffnungsritual. Ein essenzieller Akt des Totenkultes, der mit speziellem Werkzeug durchgeführt wurde und strengen Regeln unterlag. Nach der Vorstellung im Alten Ägypten kehrten die zwei im Sterben getrennten Seelen Ka und Ba so wieder in den Körper zurück. Nur dann konnte der Tote seine Reise durch die Duat, die Unterwelt, antreten. 


© ServusTV / Das westliche Urgewässer / 2015
Das westliche Urgewässer
Nach ägyptischem Glauben lag der Eingang zum Jenseits weit im Westen, weshalb auch alle Totenstätten und Gräber auf der Westseite des Nils gebaut wurden. Nachdem sich die Aspekte Ka und Ba wieder im Körper des Verstorbenen vereinigt hatten, konnte er als Seeleneinheit in Richtung Duat aufbrechen. 

War der Tote an den Rand der Welt gelangt, dort wo die Himmelsgöttin Nut auf den Gott der Erde, Geb, traf, fand er das Tor zur Unterwelt. Umspült wurde die Pforte von Nun, dem Urwasser, das schon seit dem Anbeginn der Zeit existierte. Pharaonen dürften auf einer eigenen Barke übersetzen, normale Bürger mussten zu Fuß durch die unsteten Gewässer waten. 

Dabei betrachtete Heh, Herr des Urgewässers, die ankommenden Toten. Als Gottheit stand er sowohl für die räumliche, wie auch zeitliche Unendlichkeit. Er versinnbildlichte, dass der Eingang zum Jenseits nicht für die Lebenden zu erreichen war. 

Einlass in die Duat wurde nur denen gewährt, die die Formeln zum Öffnen des Tores in korrekter Betonung und Reihenfolge aufzusagen vermochten. Darauf öffnete sich das Portal unter dem wachenden Auge des Horus und der Tote konnte passieren. 


© ServusTV / Die Sieben Tore der Unterwelt / 2015
Die Sieben Tore der Unterwelt
Auf seinem Weg durch die Duat musste der Verstorbene nun sieben weitere Tore durchschreiten, über denen Schlangen lauerten oder die von spitzen Dolchen gesäumt waren. Vor jedem Tor warteten bösartige Dämonen, die den Wanderern mit Speeren, Messern und Steinen zusetzten.  

Der so Verfolgte konnte sich retten, wenn er die geheimen Namen der drei Quälgeister in richtiger Reihenfolge aufsagte. Viele Ägypter investierten noch im Leben in aufwendig gearbeitete Totenbücher. Die kostbare Ausführung sollte ihnen helfen, sich im rechten Moment an die Bannsprüche zu erinnern.  

Jedes der sieben Tore war einer Gottheit gewidmet. Und jede wollte gnädig gestimmt werden. So musste der Tote mit wohlgewählten Worten um ein sorgenfreies Leben im Jenseits bitten. Um den Unsterblichen zu gefallen, ließen sich die Verstorbenen in ihre besten Gewänder kleiden.  

© ServusTV / Das Totengericht des Osiris / 2015


Das Totengericht des Osiris 
Auf dem Höhepunkt der Reise gelangte der Verstorbene vor das Totengericht. Nur wer auch hier für würdig befunden wurde, durfte auf ein Weiterleben als geläuterte Seele im Jenseits hoffen, allen anderen drohte ewige Verdammnis.

In der altägyptischen Mythologie fand der Prozess in einer Halle von unermesslicher Größe statt. Von den Rängen blickten 42 Gottheiten auf die Toten herab. Osiris, Herrscher über die Unterwelt, thronte unter einem Baldachin und wachte als oberster Richter über den Prozess.

Im Zentrum der Szenerie stand die Waage des Schicksals. Der schakalköpfige Anubis, Gott der Toten, legte das Herz des Verstorbenen auf eine der Waagschalen. In der anderen lag eine Feder. Sie symbolisierte die Göttin der Harmonie und des Ausgleichs, Maat. Nur diejenigen, deren Herzen ebenso schwer waren wie Maat, waren würdig für das Weiterleben als geläuterte Seelen. Während die Schalen sich auspendelten, musste der Tote das sogenannte „negative Sündenbekenntnis” rezitieren. Dabei protokollierte der ibisköpfige Gott Thot.

Nicht hab ich bewirkt das Leiden der Menschen, 
Noch meinen Verwandten Zwang und Gewalt angetan. 
Nicht habe ich das Unrecht an die Stelle des Rechtes gesetzt, 
Noch Verkehrs gepflegt mit dem Bösen.

War nun das Herz schwerer als die Feder, also von Sünde belastet, verschlang Ammit das Herz des Toten. Dieser „Große Fresser” lauerte unter der Waage und besaß die Gestalt eines Hybriden, mit dem Hinterteil eines Nilpferdes, dem Vorderkörper eines Löwen und dem Kopf eines Krokodils.

Die endgültige Verdammnis
Ohne Herz war der Verstorbene dazu verdammt, im dunklen Teil der Duat auf ewig vor sich hinzuvegetieren. In der Hauptsache wurde dieser Ort der unumkehrbaren Hölle als Finsternis ohne Licht, ohne Schwerkraft und ohne jegliches Geräusch dargestellt.  

Da dieser Ort den Gegensatz zur Welt der Lebenden bildete, standen die Verdammten kopfüber, konnten so nichts essen oder trinken, da alle Nahrung wieder aus ihren Kehlen heraus rann. So mussten sie sich von ihrem eigenen Kot und Urin ernähren. 

Zu allem Überdruss machten Dämonen auch in dieser völligen Finsternis Jagd auf die Unglücklichen, zerrissen ihre Leiber oder schmissen sie in einen See aus Feuer. Ähnlich wie die Dreifaltigkeit der Seele oder das Totengericht findet sich auch diese Vorstellung einer brennenden Verdammnis in späteren Religionen wieder. 


© ServusTV / Die geläuterte Trinität / 2015
Die geläuterte Trinität
Pendelte sich die Waage mit Herz und Feder auf gleicher Höhe ein und hatte der Tote seine Bitten richtig vorgetragen, so galt auch diese letzte Prüfung als bestanden. Der Verstorbene durfte als geläuterte Seele im hellen Teil der jenseitigen Welt weiterleben.

Hier existierten die Menschen in Gestalt ihrer Ach-Seele. Aber auch als Abbilder ihrer früheren Gestalten. Dieses Totenreich des Osiris stellten sich die Ägypter als sorgenfreie Oase und Kopie ihrer eigenen Welt vor. Hier gingen sie den Berufen aus ihrem früheren Leben nach und ehrten die Götter. Daher rührt auch der Name Earu, was übersetzt soviel wie Gefilde am Flussufer bedeutet.

Von diesem Ort konnten die Seelenaspekte des Toten nun wieder in dessen mumifizierte Hülle zurückkehren und sie bei Nacht bewohnen. Während sie bei Tage in der Manifestation ihrer geflügelten Ach-Seelen dem Sonnengott Re in seiner Barke über den Himmel folgten.


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