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Von Kinostürmern, Popcorn-Massakern und dem Flugzeugverhalten der Unwissenden
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Von Hubertus J. Schwarz  18. April 2011


Graz, Steiermark – Sie sieht ihn, er Sie. Beide erkennen sich in genau dem Moment in dem es für keinen mehr ein zurückgibt. Man sieht noch wie er sich mit aschfahlem und ausdruckslosem Gesicht zwischen seine Kameraden auf eine der langen schmalen Pritschen im inneren des Flugzeuges niederlässt. Dann schließt sich die Ladeluke und der Truppentransporter rollt auf die Startpiste davon.

Sie steht nunmehr allein und verlassen auf dem Rollfeld des Militärflughafens, während ihr Mann seinen Flug in den Krieg antritt. Es beginnt zu regnen. Sie steht immer noch und starrt auf den Punkt, an dem das Flugzeug in der Ferne verschwunden ist. Dann setzt die Musik aus und die Leinwand wird schwarz...

Nun bricht ein Tumult los der einem mittelalterlichen Schlachtengetümmel in Nichts nachsteht. Die Leiber der Menschen brechen sich zwischen den Wellen roter Kinosessel. Jacken, abgetrennte Gliedmaßen, Popcorn und halb leere zwanzig-Liter-Eimer gefüllt mit Cola fliegen über die vielköpfige Masse. Eine ältere Dame, die sich offensichtlich im Film geirrt hat, wird von einem der Hausgroßen Popcorn Becher begraben und gnadenlos von den Nachdrängenden niedergetrampelt. Man hört gelangweilte Kinder schreien, entnervte Ehemänner brüllen, hysterische Frauen schluchzen und Hunde bellen.

In den vorderen Reihen, nahe der Leinwand tobt das Gemetzel am heftigsten. Kinobesucher im Blutrausch und mit steifen Nacken vom stundenlangem Emporstarren kämpfen erbittert darum schnell aus dem Saal zu gelangen. Es herrscht reger Schwarzhandel mit den Visitenkarten von Ergotherapeuten und Masseurstudios.

In den oberen Reihen dagegen wird nur noch wild und ziellos um sich gehauen und gekratzt. Der Dunst von stundenlang zusammengepferchten Menschen hat sich hier knapp unter der Decke angestaut. Es ist infernalisch heiß und die ausgedorrten Kadaver der zertrampelten, armen Seelen erschweren das Vorankommen für die Übrigen zusehends. 
In den Logen des Saales basteln sich einzelne Gruppen von frustrierten Kinobesuchern in ihrer kalten Wut über das ungenügende Ende des Filmes aus den Cola Dosen und Popcorn Bechern Panzerungen für den Vorstoß auf den Ausgang am anderen Ende des Kinos.

Dort hat sich mittlerweile ein regelrechter Pfropfen aus Körpern gebildet. Das ehemals weiß gewandete Personal des Kinos baumelt bereits an einigen Filmplakatständern. Der Mob hat sie an den roten Absperrkordeln aufgeknüpft. Der aufgebrachten Masse stellen sich nun Stoßtruppen der Putzkolonne entgegen. Bewaffnet mit Persil und Besen dreschen sie wild auf den Sud aus Menschen ein und drängen ihn unter Mühen hinaus auf die Straße. Dort zerstreut sich die Menge.


Von Niemandem beachtet, läuft unterdessen auf der in Fetzen hängenden und besudelten Leinwand der Abspann. Der nunmehr verlassene Kinosaal ist in unwirkliches Licht getaucht. Bis auf die sinnliche Filmmusik ist Nichts zu hören.


Dann jedoch bewegt sich ganz hinten in der obersten und abgelegensten Reihe des Raumes etwas. Zwei Augenpaare blitzen unter einer schützenden Wand aus rotem Samt der Kinosessel und den aufgeweichten Bechern der Konsumsüchtigen auf.

Dort hat ein Pärchen den Ansturm ausgesessen, um nun dem Film auf angemessene Art zu würdigen. Sie genießen die letzten Momente der Musik und beschauen sich den liebevoll illustrierten Abspann.

Dann kommt, worauf sie gewartet hatten. Die Leinwand wird von einer letzten Szene erhellt. Einer Szene die all die Furien, welche die Stimmung am Ende eines Filmes immer wieder aufs Neue zerstören müssen, nie sehen werden.


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