Es wird still in Siena

© ahnungsvoll / Ferner Himmel im Straßengewirr / Siena / 2010






















Eine kafkaeske Impression aus dem Herzen der Toskana 

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Von Hubertus J. Schwarz   22. Mai 2011


Siena, Italien – Dieses architektonische Machwerk was sich da Siena nennt und das über Jahrhunderte mit sich selbst verwachsen zu sein scheint. Der Ort wirkt in sich verschlungen und ruhig da, ruhiger als ich es erwartet hatte. 

Während ich durch die engen Gassen nahe des Stadtkernes wandle wird mir bewusst wie still es ist. Nicht still im eigentlichen Sinne, auch ohne Menschen ist der Ort immer noch voll von Geräuschen. Dem des Regens der von Terrassen und Balustraden hinein in die engen Straßenschluchten fließt. Oder dem Klang meiner harten Schuhsohlen auf dem Straßenpflaster. Es ermangelt der Stadt dennoch in erstaunlicher Weiße dem Leben. Kein Mensch ist zu sehen, nicht eine Stimme zu hören. Und dabei sollte die Stadt vor Betriebsamkeit und Lebensfreude nur so summen. Eine ruhige, italienische Stadt auerhalb der Siestaphasen entbehrt jeglichem gesunden Menschenverstand. Irgendetwas ist hier gewaltig faul. 

Ich mag nicht glauben, dass es der Regen ist, der die Bewohner und Besucher Sienas derart verschreckt zu haben scheint. Doch auch der Domplatz liegt ebenso verlassen da, wie es mein Weg bisher gewesen ist. Was mich aber ehrlich gesagt nicht sonderlich wundert.

Dieses unvollkommene, in schwarz und weiß gehauene, Monstrum einer Kirche. Wie ein geschändetes Zebra liegt sie, im Herzen der Stadt, nun vor mir. Mit zerrissenen Gliedern und nur noch als Abglanz dessen zu erahnen, was ihr einst an Größe und Erhabenheit zugedacht war. Es sollte die größte Kirche der Christenheit werden. Ein Symbol für Macht, Reichtum und Glauben, den sich die Sienesen Anfang des 13. Jahrhunderts setzen wollten. Letztendlich sind nur das Querschiff und einige verstreute Wände entstanden. Dennoch als eine der schönsten und eindrucksvollsten gotischen Bauten Italiens gepriesen, bin ich selber nur mässig beeindruckt. Die Motivation reicht nicht einmal aus meine Camera zu zücken. Was zum Teil auch daran liegt, dass sie sich verzweifelt dagegen wehrt an die nasse, Regen geschwängerte Luft, geholt zu werden. Wer will es ihr verübeln…

Derweil setzt der Regen unverdrossen weiter ein. Wird stärker, bis der Himmel all seine Schleusen öffnet und die Stadt mit mir darin badet. Es gießt, es stürmt, es hagelt und schneit. Kaskaden von Wasser ergießen sich über mir und zeigen der‚ garantiert witterungsfesten‘ Jacke ihre doch sehr begrenzten Fähigkeiten auf. Ich verwünsche meine verkommene Fantasie und versuche das Bild einer überdimensionalen Badewanne mit mir, armen Etwas, darin zu verdrängen. Oder besser, die Vorstellung an eine Badewanne, mit einem Abfluss in den es mich gießen könnte.

Natürlich haben plötzlich alle Tavernen und Läden geschlossen und der einzige Passant dem ich bei meiner sinnlosen Flucht vor dem widerlich klammen Nass begegne mustert mich mit einem dermaßen verstörtem Blick, dass ich mir nun wirklich geistesgestört vorkomme. Dabei sehe ich, meiner Meinung nach, gar nicht aus wie der grenzdebile, deutsche Klischeetourist. Weder habe ich meine modischen Sandalen mit den grauen Socken an. Noch umschmeichelt die beinahe obligatorische Brusttasche meinen, doch schon recht ansehnlichen, Bierbauch und den billigen Schlapphut, der das Nichtvorhandensein einer Haarpracht kaschieren sollte, habe ich auch nicht dabei.

Und doch scheine ich irgendetwas gründlich missverstanden zu haben. Der Blick des Ureinwohners. Dieses grenzenlose Erstaunen, das dann beeindruckend schnell in Abneigung und schließlich in Verachtung umschlug machen mir zu schaffen. Vielleicht hätte ich ihm als Willkommensgruß eine Packung Spagetti darbieten sollen. Vielleicht ist er aber auch nur einer der armen, verwirrten Seelen, die es noch nicht verkraftet haben, dass nach Jahrhunderten der Amtsinzucht nun wieder ein Deutscher auf dem Stuhl Petri sein Unwesen treibt.


© ahnungsvoll | Einsame Gestalt im Unwetter | Siena / 2011

Schließlich rette ich meinen durchnässten Körper aus den Fluten und schaufle mir, frei von Rücksicht, meinen Weg in eine übervolle, kleine Bar. Ein Irish Pub in Siena, und ich dachte abstruser kann es nach dem mutierten Dom und dieser toskanischen Sintflut nicht mehr kommen. Hier also sind die ganzen Menschen abgeblieben. Und jetzt, da ich mitten im wohlig warmen Zentrum der Masse, vor mich hin tropfe, sehe ich auch den Grund für die Straßenabstinenz der Sienesen. Fußball. Und Siena liegt unrettbar im Rückstand. Damit wer auch die Frage um die geisterhafte Stille geklärt. Keine Tore, kein Jubel.

Ich lasse mich indes von der morbid apokalyptischen Stimmung nicht weiter entmutigen und platziere mich direkt an der Theke. Blickkontakt, bestellt, bezahlt, bedankt. Und dann beeindrucke ich die ebenso kleine wie hübsche, junge Wirtin mit der urdeutschen Kunst des Ex-und-weg. Das über und über mit Tattoos bekritzelte Mädchen würdigt mich indes keines Blickes. Was ich als Kenner natürlich gleich richtig als Code für "Zeig mir mehr, großer, starker Mann" deute. Leider verlässt mich der Durst und die finanzielle Schubkraft um mir noch eines der überteuerten Getränke zu leisten.

Abgesehen davon hat mein Körper, durch meine nasskalte Odyssee, schon so viel Flüssigkeit aufgenommen, dass ich jede Wasserleiche vor Neid erblassen lassen könnte. Ich verkrieche mich also in die, der Fußballmeute abgewandten Seite der Bar. Blicke direkt auf die Piazza del Combo und bis auf eine einsame, leicht verwirrte Gestalt die fröhlich im Regen tanzt ist niemand zu sehen. Der Anblick des nun verlassenen Platzes, den man ausschließlich voll von Menschen kennt hat etwas Ernüchterndes für sich. Dennoch sehe ich weiter versonnen in das stürzende Nass. Einerseits um den wollüstig, auffordernden Blicken der Kellnerin zu entgehen. Andererseits, weil die Sienesen, deren Niederlage auf der Leinwand und in Breitbild noch monumentaler wirkt, nun nach einem Ventil für ihre Frustration suchen. Meine Tarnung bewehrt sich diesmal und ich bleibe unbehelligt. Der Lynchmop fällt über ein armes britisches Ehepaar her, dass sich in landesüblicher Tracht also in Shorts, grässlich unpassenden Hemden und mit obligatorischem Sonnenbrand, in dem Pub ein wenig Heimat erhofft zu haben schien. Tz, Anfänger, haben es nicht besser verdient. Das nun folgende Massaker ist meiner gebeutelten Seele nun doch zu wider und ich verlasse das zum Schlachthaus verkommene Etablissement.

Es hat aufgehört zu Regnen. Ich begehe nun den Platz vor dem wuchtigen Rathaus. Auch hier sind die Spuren der Medici unverkennbar, wie beinahe überall in der Toskana so haben sie auch in dieser gewirkt.

Nun, in beeindruckender Geschwindigkeit, beginnt sich die Piazza zu füllen. Die Touristen strömen, dass es eine wahre Freude ist und beleben das Pflaster und die Gassen rund um den Campo. Und mit ihnen einher kehrt auch er Lärm und Geruch zurück. Ich muss mir seichtes Geplänkel, Urlaubsgezeter und dilettantische Vorträge aus billigen Reiseführern anhören. Muss die Ausdünstungen der schwitzenden, fettigen Subjekte ertragen und beginne den Regen inständig zu missen. Nur Minuten zuvor hatte ich noch wild auf ihn geflucht. Was die Menschheit alles bewirken kann.



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'Bevölkerte Piazza nach dem Sturm' © ahnungsvoll

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