Ich träumte vom Zirkus

© ahnungsvoll / Ich träumte vom Zirkus / Wien / 2011



Philipp Harnoncourt im Gespräch über Regie 
und den Traum vom Zirkus
________________________________________________________
Das Gespräch führte Hubertus J. Schwarz   17. Juni 2011


Wien, Österreich – Philipp Harnoncourt ist dieses Jahr zum vierten Mal bei der Styriarte dabei. Er übernimmt die Inszenierung des Festival-Herzstücks “Die verkaufte Braut”. Einer tschechischen Oper von Bedřich Smetana. Gerade aus Prag zurück spricht er über Kultur, Impressionen und seinen ganz eigenen Traum vom Zirkus.

"Eigentlich habe ich als Kind immer vom Zirkus geträumt. Manchmal denke ich mir, letztlich ist es genau das geworden. Ich finde, das skurrile Element in der Kunst ist, dass man immer die Chance hat, die Dinge wahnsinnig ernst zu nehmen. Du spielst eine Geschichte, du spielst von Menschen, die sehr ernste Gefühle haben. Ein Gefühl, das jemand hat, ist immer ernst, trotzdem ist es auf der Bühne nur gespielt. Diese irrsinnige Spannungsbreite zwischen Spiel und Ernst ist für mich das ganz Besondere in diesem künstlerischen Beruf. Es steht jedem frei. Man kann ein Bild hinmalen und sagen, ‚das ist nur ein Bild‘. Man kann aber auch ein Jahr daran malen und sagen, ‚für mich ist das Tod oder Leben, für mich ist das alles, da steckt meine ganze Leidenschaft drinnen‘."

 Herr Harnoncourt, Sie haben schon in verschiedensten Bereichen gearbeitet. Sie haben unter anderem Theaterstücke und Opernaufführungen inszeniert, Raum- und Lichtkonzepte entworfen und waren als technischer Direktor für das ImPulsTanz-Festival in Wien tätig. Wer hat Sie bei Ihrer Arbeit besonders geprägt?

Die Leute vom Serapions Theater, mit denen ich im Odeon in Wien zwei Produktionen gemacht habe, haben mich sehr beeidruckt. Das waren jeweils Produktionen, wo die finanzielle Ausstattung nicht besonders groß war, dafür waren sehr viele andere Freiheiten vorhanden. Das Odeon ist eigentlich kein Theater, sondern ein extrem atmosphärischer, historischer Raum. Wir konnten unsere Projekte an dem Ort proben, wo wir sie dann auch gespielt haben. Das ist super ungewöhnlich.
Es ist viel weniger Geld im Spiel, das Team ist viel kleiner et cetera. Aber ich konnte die Probe nach unseren Bedürfnissen einteilen und nicht danach, wie in den Theatern seit hunderten von Jahren geprobt wird – nämlich nach ganz betimmten Zeiten und Pausen. Ich kann sehr oft an Orten arbeiten, an denen auch gespielt wird. Orte, die man selbst neu erfinden muss. An so einem Ort muss man sich erst selbst überlegen‚ ‚was kann überhaupt in so einem Raum, der selbst schon ein Bühnenbild ist, die Bühne sein?‘. Ich muss sehr viel improvisieren, aber ich darf auch viel improvisieren. Theater in sich lebt ganz oft davon, dass sehr vieles nur angedeutet wird und vieles mit spielerischen Mitteln ersetzt wird. Eigentlich ist die materielle Knappheit – man muss es leider so sagen – oft sehr wohl etwas Inspirierendes.

Sie inszenieren gerade für die Styriarte die Oper „Die verkaufte Braut“ von Bedřich Smetana. Das Stück wird in der Helmut-List Halle aufgeführt. Wie gestaltet sich die Arbeit in diesen Räumlichkeiten für Sie?
Die Chance, dass etwas Sensationnelles passiert, ist bei einer freien Produktionsform eigentlich größer als bei einer standardisierten. Das in Graz ist ein Bereich dazwischen, es ist natürlich kein freies Event, sondern eines, das solide produziert und finanziert ist. Aber es findet in keinem Theater, sondern in einer ehemaligen Fabrikshalle, die neutral ist, statt. Es ist wie eine Schuhschachtel. Man muss von vorn herein schon relativ viel Gespür haben, um in so einen Raum überhaupt eine Atmospähre zu schaffen. Die Zuseher sollen letztendlich auch abseits von Musik, Gesang und Orchester unterhalten werden.

Sie sind gerade aus Prag zurückgekommen, wo Sie versucht haben, ein Gefühl für den tschechischen Tanz und die Ausdrucksweise dort zu bekommen. Wie hilft Ihnen Recherche bei Ihren Inszenierungen?
Es ist fast immer so, dass es eine umfangreiche literarische Spurenlage gibt. Parallel dazu gibt es natürlich eine inhaltliche. „Die verkaufte Braut“ ist relativ stark mit der tschechischen nationalen Bewegung verbunden. Das Stück von Smetana gilt als die erste tschechische Nationaloper, nach der sich die im Entstehen begriffene nationale Bewegung Tschechiens gesehnt hat. Man braucht eben solche Kunstwerke, die einen bewegen und die einem Identifikation und so etwas wie ein Symbol geben. Und so betreibe ich halt meine bezahlten Privatstudien zu einem begrenzten aber irgendwie doch immer sehr interessanten Thema. In diesem Fall ist das natürlich eine unendliche Suche, die man in dem Maße betreibt, wie Zeit dafür ist. In manchen Fällen habe ich mehr Zeit und dann erfahre ich auch viel. Manchmal geht es sehr schnell und man erfährt nicht ganz so viel. Dieser Beruf und diese Arbeit funktionieren für mich als Bildungsmaschine. Anfangs weiß ich wenig über das Projekt, am Ende weiß ich meist mehr als alle anderen darüber. Wir haben herausgefunden, dass es schon vor der Uraufführung in der Tschechei eine deutsche Erstfassung gab. Smetana selbst hat sie von einem Prager Dichter übersetzen lassen, vorgeführt wurde sie allerdings nie. Die Textfassung, die wir machen, ist tatsächlich noch nie aufgeführt worden.

Welchem Gestaltungselement widmen Sie sich am intensivsten und was machen Sie daraus?
Als ich begonnen habe im Opernbereich zu arbeiten, war für mich ziemlich schnell klar, dass ich auf Aspekte wie Raum, Bühnenbild und Beleuchtung gleichermaßen Einfluss nehmen wollte. Bei einem Projekt wie dem hier finde ich es zum Beispiel praktisch, dass alles in meiner Hand ist. 
Die Möglichkeiten von Musik, Klang, Atmosphäre, die durch Töne erzeugt wird, zusammen mit schauspielerischen Elementen, mit bildhaften Elementen, Licht und Kostüm – all das – Musik, Theater – ist für mich der Traum eines darstellerischen Gesamtkunstwerkes.

© ahnungsvoll / Ich träumte vom Zirkus II / Wien / 2011

Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe, für die Sie ihre Projekte ausrichten?
Ich interessiere mich vor allem für ein Publikum zwischen 20 und 40. Manchmal ist es schockierend, wenn man genauer darauf achtet, wer in die Vorstellung kommt. Meistens findet man Leute, die etabliert sind, Geld und eine gewisse kulturelle Tradition haben. Solche Leute sind in der Gefahr, in einem Kulturghetto zu existieren, in dem es nur alte Menschen gibt, die alte Musik schätzen und bei denen es keinen Platz für Neues gibt. Dabei verschmäh‘ ich diese Besucher nicht, ich würde mir nur manchmal wünschen, dass auch Menschen in die Oper kommen, die noch nie dort waren. Denn gerade diese Besucher sind interessant. Sie reagieren noch nicht so abgebrüht, wie etwa das Fachpublikum von der Presse. Das ist zwar einigermaßen gebildet, sieht dabei aber den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich kenne keine Kunstform, die nicht mit jungen Menschen kommunizieren könnte. Neues entsteht ja gewissermaßen durch die Beschäftigung mit Dingen, die es schon lange gibt. Ich finde, es sollte jede Produktion auch vor jüngerem Publikum Bestand haben.

Sie sind gerade aus Prag zurückgekommen, wo Sie versucht haben, ein Gefühl für den tschechischen Tanz und die Ausdrucksweise dort zu bekommen. Wie hilft Ihnen Recherche bei Ihren Inszenierungen?
Es ist fast immer so, dass es eine umfangreiche literarische Spurenlage gibt. Parallel dazu gibt es natürlich eine inhaltliche. „Die verkaufte Braut“ ist relativ stark mit der tschechischen nationalen Bewegung verbunden. Das Stück von Smetana gilt als die erste tschechische Nationaloper, nach der sich die im Entstehen begriffene nationale Bewegung Tschechiens gesehnt hat. Man braucht eben solche Kunstwerke, die einen bewegen und die einem Identifikation und so etwas wie ein Symbol geben. Und so betreibe ich halt meine bezahlten Privatstudien zu einem begrenzten aber irgendwie doch immer sehr interessanten Thema. In diesem Fall ist das natürlich eine unendliche Suche, die man in dem Maße betreibt, wie Zeit dafür ist. In manchen Fällen habe ich mehr Zeit und dann erfahre ich auch viel. Manchmal geht es sehr schnell und man erfährt nicht ganz so viel. Dieser Beruf und diese Arbeit funktionieren für mich als Bildungsmaschine. Anfangs weiß ich wenig über das Projekt, am Ende weiß ich meist mehr als alle anderen darüber. Wir haben herausgefunden, dass es schon vor der Uraufführung in der Tschechei eine deutsche Erstfassung gab. Smetana selbst hat sie von einem Prager Dichter übersetzen lassen, vorgeführt wurde sie allerdings nie. Die Textfassung, die wir machen, ist tatsächlich noch nie aufgeführt worden.

Welchem Gestaltungselement widmen Sie sich am intensivsten und was machen Sie daraus?
Als ich begonnen habe im Opernbereich zu arbeiten, war für mich ziemlich schnell klar, dass ich auf Aspekte wie Raum, Bühnenbild und Beleuchtung gleichermaßen Einfluss nehmen wollte. Bei einem Projekt wie dem hier finde ich es zum Beispiel praktisch, dass alles in meiner Hand ist.
Die Möglichkeiten von Musik, Klang, Atmosphäre, die durch Töne erzeugt wird, zusammen mit schauspielerischen Elementen, mit bildhaften Elementen, Licht und Kostüm – all das – Musik, Theater – ist für mich der Traum eines darstellerischen Gesamtkunstwerkes.

Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe, für die Sie ihre Projekte ausrichten?
Ich interessiere mich vor allem für ein Publikum zwischen 20 und 40. Manchmal ist es schockierend, wenn man genauer darauf achtet, wer in die Vorstellung kommt. Meistens findet man Leute, die etabliert sind, Geld und eine gewisse kulturelle Tradition haben. Solche Leute sind in der Gefahr, in einem Kulturghetto zu existieren, in dem es nur alte Menschen gibt, die alte Musik schätzen und bei denen es keinen Platz für Neues gibt. Dabei verschmäh‘ ich diese Besucher nicht, ich würde mir nur manchmal wünschen, dass auch Menschen in die Oper kommen, die noch nie dort waren. Denn gerade diese Besucher sind interessant. Sie reagieren noch nicht so abgebrüht, wie etwa das Fachpublikum von der Presse. Das ist zwar einigermaßen gebildet, sieht dabei aber den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich kenne keine Kunstform, die nicht mit jungen Menschen kommunizieren könnte. Neues entsteht ja gewissermaßen durch die Beschäftigung mit Dingen, die es schon lange gibt. Ich finde, es sollte jede Produktion auch vor jüngerem Publikum Bestand haben.

Kunst ist etwas sehr, sehr Weites. In meiner Arbeit gehört es dazu, permanente Brücken vom Gestern ins Heute und ins Morgen zu schlagen.


_________