Ich. Bin. Noch. Online.

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 Bin ich vernetzt und doch allein – Eine Selbsteinschätzung [2]
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Von Hubertus J. Schwarz   26. Januar 2012

Zürich, Deutschland – Studenten sind im Werdegang begriffen. Studenten sind eine Kraft mit der man rechnen muss. Studenten sind aber auch Konsumenten. Wie erleben, wie konsumieren sie Medien. Eine Selbsteinschätzung. 

In der Uni herrscht die Unverbindlichkeit. Ich bin anwesend. So anwesend, wie ein stereotyper Student in der Früh nun einmal sein kann. Physisch vorhanden, soviel ist sicher. Mein Intellekt aber nimmt eine spätere Bahn. Das zumindest ziehe ich aus meinem Phlegmatismus. Acht Uhr ist einfach zu früh! 
Allmählich regen sich die Lebensgeister. Meine Finger huschen über die Tastatur des Macbooks und suchen im Internet nach Neuigkeiten. Facebook ist Anlaufstelle Nummer Eins. Der Chat selbst jetzt am Morgen in vollem Gange. „Schon gehört?“ und „Wusstest du schon?“ Ich tausche mein Wissen aus der rudimentären Blicklektüre und dem, was mir mein Handy an Nachrichten der kostenlosen Zeitungsapplikationen geliefert hat gegen Meldungen der anderen. Ein Basar für Informationen aller Art. 

10:01 Uhr. Die nächste Lehrveranstaltung beginnt. Und das Staccato der tippenden Finger auf Tastaturen setzt wieder ein. Untermalt gnadenlos den Vortrag mit einer Kakophonie aus Tastenanschlägen. Der Dozent, ein Scheinriese. Seine Worte verlaufen sich zwischen den Reihen des Hörsaals. Die Vorlesung findet irgendwo in weiter Ferne statt. Ohne mich.
Ich bin online. Ein einsames Rudiment im Meer des World Wide Web. Konsument aus tausenden Quellen, die diesen virtuellen Ozean speisen. Erlebe in einem Moment wie auf meinem Bildschirm Demonstrationen zu Straßenschlachten mutieren – drei Tote und 750 Verletze in Ägypten. Im nächsten Augenblick blättere ich durch eine Bilderreihe mit dem neusten aus Hollywood. Und dann scrolle ich mehr durch Zufall, als durch alles Andere, über eine Studie mit dem Thema: das Konsumverhalten der Studenten. Wie erleben Studierende die Medien? Fragt die Studie Wie erlebe ich Medien? Frage ich.

Ich; ich bin online. Verfolge auf Twitter die US-Wahlen, lese die Nachrichten auf den Webseiten der großen, deutschen Medien, schaue Bilder in Fotostrecken und versuche die unablässigen Meldungen meiner Facebook oder Google+ Kontakte zu ignorieren. Mittlerweile habe ich Konten bei Google Reader, Blogger, Twitter, Posterous, Youtube, Viemo, Audioboo, Picasa, Flickr, DeviantART, Fotolia, Putpat, Simfy, Skype, MSN, ICQ und etlichen E-Mail Anbietern. Es geht nicht darum all das aktiv zu nutzen, es geht darum alles nutzen zu können!

Ich. Bin. Online. Und muss mir aus dem Pfuhl an Informationen das picken, was mich interessiert. Funktioniert mittlerweile richtig gut. Ich bin zum Ausblender geworden. Was gerade nicht von Interesse ist, wird weggeklickt, pausiert und stumm geschaltet. Oder kommentiert. Der Kommentar ist meine Stimme, meine Waffe. Mit ihm pflüge ich durch den Brodem aus virtuellem Geschwätz und hinterlasse eine mal mehr, mal weniger breite Schneise meiner Meinung. Und damit bin ich nicht allein. Wie die Maden im Speck fressen sich die User durch das Netz und hinterlassen ihre ganz eigene Spur der Verwüstung. Solange bis nur noch ein abgenagter Knorpel des Kommentierten übrig bleibt. Manchmal stoßen wir Nutzermaden auch auf Inhalte an denen zu viel hängt. Dann ist es positiv und notwendig, wenn wir mit unserer Meinung als Werkzeug das Überflüssige abkratzen.

Die Sonne drückt ihr Licht durch die Fensterscheiben des Saales. Spiegelt sich im Bildschirm meines Computers. Ich sehe in mein eigenes, stumpfes Gesicht. Es ist Nachmittag. Das, was mich aus meinem digitalem Delirium gerissen hat, war das ungehaltene Aufmerksamkeitshusten des Dozenten. Der arme Mann hatte schon kurz nach Beginn der Vorlesung den Kampf um die Aufmerksamkeit aufgegeben. Ernsthaft gegen das Heer aus Laptops und Macbooks anzutreten wäre aussichtslos. Wir Studenten lassen uns von einem Lehrkörper aus Fleisch und Blut schon lange nichts mehr beibringen! Die Lehrveranstaltung ist zu Ende. Laptops klappen, ich entschwinde.

Wie konsumiere, wie erlebe ich also Medien. Vornehmlich virtuell. Das Internet ist mittlerweile ein so reichhaltiger Pfuhl, gefüllt mit allem an Wissen, was sich der Student nur wünschen kann, dass es für den alltäglichen Bedarf mehrmals lebenslänglich ausreicht. Das sagt auch die Studie, Studenten nutzen das Internet als primären Informationskanal. Allerdings überwiegend nur dann, wenn das Angebot gratis ist. Für mich sind Informationen und Nachrichten selbstverständlich. Fachmagazine, mit einem engen aber dafür umso intensiveren Fokus auf ein spezielles Gebiet sind die einzigen Produkte für dich ich noch Geld ausgebe. Tageszeitungen, das totgesagte Medium Radio oder Fernsehen haben keine Chance. Es sei denn, man bietet mir einen Mehrwert der ganz speziell meinen Bedürfnissen zugeschnitten ist.


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