I’m back again

© Tanja Gahr / Im Back Again / joe 8 / 2013
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Ein in Deutschland und Österreich verkanntes Problem – Einblick in das Tagebuch eines Drogensüchtigen
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Von Hubertus J. Schwarz   22. November 2013

Graz, Steiermark – Das Problem: Kokain. Die Therapie: Entzug in der Klinik. Eine Reportage mit dem Output der etwas anderen Art - Einblicke in das Tagebuch eines Drogenkranken. 

Tag 0.
Bin wieder da. Raus aus der Ambulanz, der Vorbereitung für den Entzug, und hinein in die selbst gewählte Isolation. Nur mit Sporttasche und einem Müllsack voll mit meinem Zeug stehe ich vor dem Eingang der Klinik. Yippie ya yeah Schweinebacke. Yippie. Ya. Yeah.

Die Aufnahme ist wie beim letzten Mal. Meine Sachen werden durchleuchtet. Ich fühl mich dabei selbst irgendwie ausgezogen. Ist vielleicht aber auch, weil ich grad nichts eingeworfen hab. 

Dann der Test. Becher vollmachen für die Analyse und dabei auch noch Publikum haben. Toll. Bin gespannt, was sie alles in meiner Pisse finden. Substitol und mein liebes Kokain. Schneeweißer Freund, der zum Gegner geworden ist. Dennoch ein Gefährte, in guten wie in schlechten Tagen. Wobei die schlechten überwogen haben. Ich kenne nur noch Scheißtage und Ok-Tage. Dazwischen gibt es nichts. Heute war definitiv ein Scheißtag.

Tag 1.
65 Stunden ohne Pulverschnee. Davon 48 in der Klinik. In mir brodelt es. Wenn ich ans Essen denke, kommt’s mir gleich hoch. Dabei ist überhaupt nichts mehr drinnen, was hochkommen könnte. Schlafen und trinken kann ich auch nicht. Dabei hab ich so verdammt Durst. Zwischen Fieberwahn und Schweiß und Kotze versucht ein Pfleger mir Wasser und Tabletten einzuflößen. Ich brech ihm alles auf seinen scheißweißen Kittel. Irgendwie witzig. Aber Lachen geht grad auch nicht. Ich zittre wie ein panischer Welpe. Heiß und Kalt wechseln sich ab wie beim Ping Pong. Es ist wie die ärgste Grippe, nur noch schlimmer. Und es hört nicht auf.  

Tag 2.

Tag 3.
… …

Tag 4.
… … …

Tag 5.
Ich kann wieder schreiben. So halbwegs. Die letzten Tage waren Horrortrip. Mein Kopf Beton, die Welt um mich der Presslufthammer.

Tag 6.
Bevor ich in die Ambulanz und dann hier in die Klinik gekommen bin, habe ich Dinge gesehen. Insekten, die unter meiner Haut krabbelten. Konnte spüren, wie sie sich bewegen die Arme hinabkrabbeln und sich dann an den Fingerkuppen aus meinem Fleisch wühlen. Sie waren überall. Kamen am Ende immer mit dem Schneeflocken-Freund. Die Erinnerung daran, was ich alles getan habe, als die Insekten da waren, ist schlimm. Die dunklen Flecken meiner Tränen in den Kissen sind stille Zeugen meines Versagens. Dann kommt der Pfleger und gibt mir etwas, um das Kokain und die Viecher zu vergessen.

Tag 7.
Es dämmert. Tagelang. Die Vorhänge in meinem Zimmer sind zugezogen. Ich verstecke mich vor allem. Den Geräuschen, den Gerüchen, dem Geziefer, den Gesichtern der anderen Menschen. Ich verstecke mich.

Tag 8.
Noch immer sehe ich weiß. Noch immer sehe ich Schneeflocken. Ich habe nichts zu tun, außer zu schwitzen, zu schlafen und wenn es schlimm wird zur Ausgabe zu gehen und mir etwas geben zu lassen. Ich denke nach, über alles, woran ich mich erinnern kann. Den ersten Kick mit 16. Über das Ausprobieren, das Süchtigwerden. Dann der totale Absturz. Gedealt, gezockt, verloren und festgenommen. Gefängnis und der erste Entzug mit Methadon. 

Tag 9.
Als ich vor ein paar Jahren aus dem Knast kam, war ich das erste Mal seit der Pubertät wieder clean. Neuer Job, neue Wohnung, neue Freundin, alte Bekannte. Und mit den alten Kumpels kamen auch vergangene Versuchungen wieder. Als dann etwas schief lief, suchte ich Trost bei Schneeflocke. Und meine Liebe nahm ich mit. Es dauerte nur ein paar Wochen, dann war ich wieder einer der Blaulippenzombies. Zuhause gab sich jetzt auch die Freundin den Schuss.

Tag 10.
Irgendwann ging es nicht mehr. Freundin weg, Job auch. Niemand braucht einen zitternden Zombie in Führungsposition. Ich war da schon wieder auf Substitol. Das war billiger, sauberer als Schneeflocke. Hab mich dann eingeschlossen. Alle Drogen das Klo runtergespült und gewartet. 

Ein Kalter Entzug ist heftig. Von Ersatzdrogen wie Substitol runter zu kommen ist viel krasser als von Kokain. Bei Substitol fängt der Spaß nach vier Tagen erst an. Epileptische Anfälle, Hirnschläge, der ganze Zirkus kommt mit den Substitutionsmitteln. Daran bin ich beinahe krepiert. Durchgehalten hab ich auch nicht lange. Irgendwann hab ich dann von der Klinik gehört. Von Walk About.

Tag 11.
Hier gibt es statt Substitol Methadon. Flüssigkeit statt Tablette. Und jedes Mal, wenn ich zur Ausgabe komme, gibt es etwas weniger davon für mich. Ein warmer Entzug. 

Mein Zimmer ist kahl. Krankenhausbett. Schreibtisch, Sessel, kleiner Schrank. Der Luxus: ein eigenes Bad. Alles Schmucklos. Es wirkt so, als ob man hier nicht lange sein wird. Das gibt mir Hoffnung.

Tag 12.
Die Umstellung ist verdammt hart. Jetzt, nach etwa 12 Tagen hab ich das Gefühl, es wird besser. Wobei besser auch nur heißt, dass ich mich nicht mehr mit dem nächstbesten spitzen Gegenstand, der mir in die Finger kommt, abstechen möchte. Ich habe Angst. Alles wirkt so nah und so verdammt laut. Ich verkrieche mich unter meine Decken. Schalte die Welt ab, wenigstens für einen Moment.

Tag 13.
Langsam begreife ich wieder, warum ich hergekommen bin. In den letzten Tagen habe ich abwechselnd das Methadon, die Pfleger oder mich verflucht. Draußen wäre ich entweder an einem Eigenentzug verreckt, oder schon längst wieder drauf und voll bis obenhin. In der Klinik ist etwas, das mich davon abhält. Vielleicht die Medikamente, vielleicht die Gesichter der anderen Patienten, vielleicht die Ärzte und Pfleger, oder die Klinik selbst. Wahrscheinlich alles zusammen. Wenn es hinkommt noch eine Woche, dann bin ich clean. Ein Ok-Tag.

Tag 14.
Gespräche mit der Psychologin, den Therapeuten. Jeden Tag bekomme ich etwas weniger von der Ersatzdroge. Und jeden Tag wirkt dafür die Welt um mich herum realer, näher, intensiver. Ich beginne wieder zu fühlen. Und das macht genau so viel Angst, wie es aufregend ist.

Tag 15.
Ich bin clean. Darf vom Entzug in den ­Entwöhnpart der Klinik. Hier ­bekomme ­ich einen Stundenplan, Kurse und Termine für Gruppentherapien oder Einzelgespräche. Ich vermisse weder das Handy, noch das Notebook oder die Blaulippen aus der Szene. In ein paar Monaten kann ich ein neues Leben beginnen. Einmal mehr. Und dann vielleicht für immer ohne den Schneeflocken-Freund.


Infobox.
Drogensucht. Durch regelmäßigen Konsum eines Sucht- mittels hervorgerufene physische und/oder psychische Abhängigkeit. 

Substitutionsmittel. Zuführung von normalerweise im Körper vorkommenden Substanzen zur Behandlung oder Verhütung von Mangelsymptomen. Ersatzdrogen sind Substitutionsmittel, die den Drogenkranken den Entzug erleichtern sollen. 

Methadon. Synthetisches Opioid, das zur Schmerzbehandlung und zur Substitutionstherapie bei Morphin- oder Heroinsucht verwendet wird. Entzugssymptome sind wesentlich milder. Wirkt als Analgetikum. 

Substitol. Österreichischer Handelsname für ein Morphin, das als Ersatzdroge genutzt wird. Es wird gegen schwere Schmerzzustände verschrieben. Als Substitutionsmittel stark umstritten, da die Einnahme zu starken Nebenwirkungen, wie etwa Erbrechen, Euphorie, Inkontinenz, Sedierung oder Atemnot führt. 

Warmer Entzug. Umgangssprachliche Bezeichnung für eine Sucht-Entziehungskur mit therapeutischer und ärztlicher Betreuung, in der man auf ein leicht zu reduzierendes Substitutionsmittel umgestellt wird, um eine langsame und schonende Entwöhnung zu gewährleisten. 

Kalter Entzug. Umgangssprachliche Bezeichnung für eine Sucht-Entziehungskur ohne therapeutische oder ärztliche Betreuung. Da sich die Drogenkranken meist unvorbereitet und ohne medizinische Kenntnisse zu behandeln versuchen, können die auftretenden Mangelerscheinungen schwere Depressionen, Psychosen und akute Selbstmordgefährdung hervorrufen. 

Walkabout. Eine Therapiestation für Drogenkranke des Ordens der Barmherzigen Brüder, die im Jahr 2004 am Grazer Stadtrand gegründet wurde. Der etwa dreiwöchige Entzug wird rund um die Uhr von Ärzten und Pflegepersonal betreut. Angebote aus den Bereichen Sozialberatung, Klinische Psychologie, Sport-, Kreativ-, Ergo- und Physiotherapie unterstützen die Patienten bei der Wiederwahrnehmung von sich selbst und der Umgebung. Für den Entzug stehen 10 Plätze, für die Entwöhnung 20 Plätze zur Verfügung.


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Die gesamte Titelstory gibt es in joe08 zu lesen.
Illustration: Tanja Gahr