Paranoide Hypochondraische Megalomatie

© Wolfgang Schnuderl , Bildbearbeitung: Christopher Eder / Paranoide Hypochondraische Megalomatie / joe 8 / 2013
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Das hybride Gesicht des Wahns – Eine Dreifaltige Selbsteinschätzung
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Von Hubertus J. Schwarz   22. November 2013

Graz, Steiermark – Der Wahnsinn in seinen verschiedenen Ausdrucksformen war den Menschen schon immer ein treuer, aber ungewollter, oft auch unerkannter Begleiter. Größenwahn, Krankheitswahn, Verfolgungswahn. Das sind drei Paradebeispiele für den Irrsinn. Der Versuch sich in die Situation der Betroffenen hinein zu versetzen. – Eine dreifaltige Selbsteinschätzung.

 megalomanisch. Der Größenwahn.
Vorhang auf, die Bühne ist Palast. Barocker Himmel über Marmor, Samt und Gold. Er ist angefüllt mit Rängen und Namen von Edlen und Damen. Sie hofieren sich und ihre Nächsten. Schmieden Ränke und sind in ihrer glänzenden Pracht nur durch ihre Redseligkeit noch zu übertreffen. Alle sind meiner Einladung gefolgt. Natürlich. Wollen diesem Schauspiel beiwohnen. Livrierte Pagen huschen durch den hochkarätigen Pfuhl aus blauem Blut und bleicher Haut. Sie sind fahrig. Wissen darum, dass ich jeden ihrer Schritte beobachte. Dennoch mischt sich in das Summen der Gespräche an diesem Abend oft das Klirren der Gläser, die zwischen Gästen zerschellen.

Überall im Saal umringen Gruppen geiler Junker die Gestelle der Kleider in denen irgendwo verborgen jungfräuliche Erbinnen staken. Die Maiden hoffen, erkoren zu werden. ­Hoffen ­es so sehr in ihrem verdreht romantischen Denken. Das Gewirr aus Stoff ist für die Paarungswilligen kaum Hindernis. So wie ein maroder Zaun für Hengst und Stute nicht mehr ist als einfach lästig. Opulente Gewänder. edle Stoffe. Reich an allem, Spitze, Falten, Farben und Ziergestein. An diesem Abend tanzen die Liebestollen ihren neckischen Reigen mit wenig Zurückhaltung.

Die eitlen Väter stehen Abseits. ­Beäugen ­das Treiben ihrer Zucht. Gepudert bis zur Unkenntlichkeit, in Gicht und Gier und falschem Glanz begriffen, lauern sie wie die Geier, bereit ihren Segen jedem zu verwehren, der Mitgift und Ansprüchen nicht gerecht wird. Oder dagegen lohnende Partien in den Stand der Ehe zu drängen. Am besten vom Fleck weg.
 
© Bastian Meier / Paranoide Hypochondraische Megalomatie / joe 8 / 2013
Die Mütter der Kitze kümmern sich kaum. Sie sitzen trunken an den Tischen. Zocken ihre Gatten in den Ruin. Tratschen und sind sich ihrer Oberflächlichkeit in wohligem Maße bewusst. Alkohol ertränkt alle Nervosität. Nur das schrille Kichern, das ab und an aus der Kakophonie des Banketts emporsteigt, stört die aufgesetzte Ausgelassenheit.

Die Luft in dem großen Festsaal ist schwanger von den Aromen der Menschen. Ein Sud aus Parfüm, Riechsalz, Schweiß, den Düften der Speisen und Kerzen. Bis unter die himmelhohen Decken stapeln sich die Gerüche. Mengen sich und wabern als schwere Wolke über den Perücken der Feiernden. Erlesendes wird gereicht. Dem Alkohol immer mehr zugesprochen. Die Menschen warten. Warten auf mich. 

Der Pfuhl aus blauem Blut steht angespannt im festlichen Saal. Meine Anwesenheit liegt in der Luft. Lässt die Kinder nun doch leiser werden und auf die Schöße der Ammen flüchten. Vergällt den buhlenden Böcken aus Hohem Haus ihr Ziehen und Zerren um die Töchter. Ich gebe einem der Diener ein kaum merkliches Zeichen. Sie alle haben zu verstehen gelernt, mir jeden Wunsch, jeden Befehl von den Lippen zu lesen, noch ehe ich aussprechen muss. Es knallt. Heroldsstab auf Boden. Schlägt ein, zwei, dreimal. Bis sich die Häupter der Menge zu dem neuen Klang gewandt haben. 

Die Köpfe recken sich zu mir, hoch auf der großen Empore am Kopf des Saales. Gespräche verstummen. Sie alle sehen mich und ich sehe sie. Dann bricht ein Beifallssturm los. Ich muss nichts sagen, nichts tun, außer nur für sie zu strahlen. Der Blick nach unten, in das Meer aus erregten Gesichtern ist grandios. Nein, ich bin grandios. Die Menge spiegelt in ihrem frenetischen Jubel nur meine Herrlichkeit. Ich bin so unverzichtbar für sie, wie die Sonne. 

Und wie das gleisende Zentralgestirn überstrahle ich alles und jeden um mich herum. Ohne mich wären sie nichts, ohne mich wären sie verlorene einsame Seelen, verirrt in der Finsternis. Aber ich bin ja da. Tauche die Welt in meinen Glanz und lasse sie so prachtvoll erscheinen, wie es meinen Augen angemessen ist. Das Sein in seiner ganzen Schönheit dient nur allein dem einen Zwecke: mir zu gefallen. Denn ich bin großartig.

© Bastian Meier / Paranoide Hypochondraische Megalomatie / joe 8 / 2013
paranoid. Der Verfolgungswahn.
Ein gehetzter Blick über die Schulter. Zu flüchtig, um wirklich bestätigen zu können, was hinter mir liegt. Dabei doch eindrucksvoll genug, um der Furcht neue Nahrung zu geben. Es rauscht in meinen Ohren. Mein gespannter Herzmuskel pocht schnell, beinahe schmerzhaft. Das Dunkel kommt von allen Seiten auf mich zu. Ich spüre unzählige Augen, boshafte Blicke, die sich in meinen Rücken bohren, und die Angst. Die Angst ist mein stetiger Begleiter. Ein Schatten, der in jeder Sekunde meines Lebens über mir schwebt. Drohend, übermächtig. Es ist die Furcht vor denen, die mich verfolgen.
 
Es gibt keinen Freund mehr auf der Welt. Niemanden, dem ich trauen kann. Sie alle wissen es. Beobachten mich. Ich merke es an der Art und Weise, wie man mir auf der Straße begegnet. Passanten machen einen Bogen um mich. Zeitungsleser, die in ihrem krampfhaften Bemühen mich nicht zu beachten doch genau das gegenteilige Tun beweisen. Die beiläufigen Bemerkungen meiner Freunde: „Geht es dir gut“, „Was hast du erlebt, was unternommen.“ – Heuchler! Sie alle wissen es genau. Fragen nur, um mich in Sicherheit zu wiegen. Aber ich habe sie durchschaut und jetzt, wo ich das System erkannt habe, wundert mich nichts mehr. Der Feind hat jeden Winkel meines Lebens infiltriert. Ich bin nirgendwo mehr sicher. Habe niemanden mehr. Ich bin allein.

hypochondrisch. Der Krankheitswahn.
Die Welt ist ein einziger gigantomanischer Pfuhl. Voll von Erregern, Bakterien, Viren, Insekten, Viechern, Dreck, Schmutz, Menschen, Abschaum, ekelhaftestem Gekreuch. Und inmitten dieses dysfunktionalen Molochs stake ich.

Gesund im Geist und krank am Leib muss ich miterleben, wie ich zugrunde gehe und niemand mir Glauben schenken mag. Dabei ist es doch so klar und offenkundig. Da, der braune Fleck auf meiner Schulter. Gestern war er noch nicht dort. Und dieses ständige Ziehen in den Waden und dann noch das grässliche Sausen in den Ohren. Oh, ich fürchte das Schlimmste: Pest, Syphilis, Malaria, womöglich alles zusammen. Würmer habe ich mit Sicherheit auch. Es ist schrecklich. 

Ärzte, diese Handlanger des Bösen. Kurpfuscher, Quacksalber alle miteinander! Sie können mir alle gestohlen bleiben mit ihren beeindruckend dilettantischen Diagnosen. Keine sichtbaren Beschwerden – von wegen! Ich bin im Siechtum begriffen. Sensenmann und ich tanzen ein feistes Ringelrein. Der Sensenheini ist es sicher nicht, der schon mächtig außer Puste ist…




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Den Rest der Titelstory gibt es in joe08 zu lesen.
Fotos: Bastian Meier  
Bildbearbeitung: Christopher Eder