Habemus Mamam


D


Die Päpstin und ihr Kind – eine Liveschaltung zur Stunde der Geburt
______________________________________
Von Hubertus J. Schwarz   2. Dezember 2013

 Vatikan, Vatikanstadt – Es gibt ein altes Gerücht, das besagt, im Mittelalter habe sich eine Frau als Mann ausgegeben und sei so bis zum Amt des Papstes aufgestiegen. Die Sage berichtet weiter, dass diese Frau schwanger wurde und ein Kind gebar. Heute sind sich die meisten Historiker darüber einig, dass diese Geschichte ins Reich der Legenden gehört. Aber was, wenn doch mehr dahinter steckte – eine Liveschaltung zur Stunde der Geburt. 

 Am Rande eines Herzinfarktes und vor den Türen des allerheiligsten Schlaf­gemachs. Krampfhaft versucht die enorme Gestalt Haltung zu wahren. Darius di Rezzi, der Leibarzt des Papstes, ringt nach Atem. Er hat die Strecke von seinem Quartier bis zum Flügel des Pontifex in Rekordgeschwindigkeit zu­ rückgelegt und das zu einer Uhrzeit, zu der sonst nur sein Schnarchorgan eine nennenswerte Aktivität entfaltet. 

Der Dienstbote, der ihn aus seinem Schlummer gerissen und her gelotst hatte, hüllt sich weiter in beeindruckend störrisches Schweigen. Ein hektischer Blick den Gang hinab. Dann öffnet der Diener ohne viel Federlesens die Tür, gerade soweit, um das Ungetüm von Leibarzt hindurch zu bugsieren und schließt sie augenblicklich wieder hinter Di Rezzi. 

Auf der anderen Seite herrscht schummriges Licht. Das Bett des Papstes wirkt übergroß, beinahe einschüchternd. „Eure Heiligkeit?“ Di Rezzi zögert. Dann kommt Bewegung in den Berg aus Decken, Polstern und Laken. „Eure Heiligkeit, könnt Ihr mich hören?“ Der Deckenberg stöhnt. „Eure Heiligkeit, hört Ihr mich?“ Nun fragt er schon beinahe rabiat. „Um Himmelswillen, ja. Und nun hört auf zu brüllen!“ antwortet der Decken­berg. 

Di Rezzi schluckt. „Wie ist das Befinden Eurer Exzellenz?“ Mühsam kommt das Gesicht des Papstes unter den Polstern hervor. Schweißperlen stehen auf den schönen, glatten Zügen des Heiligen Vaters. Er ist von unbestimmbarem Alter und zierlicher Gestalt. 

Aber durch seinen ansonsten herrischen Auftritt hatte er sich vor einem Jahr gegen die Mitbewerber um den Stuhl Petri durchgesetzt. Vielleicht auch, weil sich die konkurrierenden Kardinäle das Amt des Papstes gegenseitig noch viel weniger gönnten, als einem unbekannten Bischof aus der Provinz. 

Johannes war als Übergangslösung gedacht, bis sich eine der streitenden Parteien um das Pontifikat gegen die anderen durchsetzen würde. Bisher hatte er sich jedoch als fähiges Oberhaupt der Christenheit erwiesen. Armenhäuser wurden errichtet und die Steuern gesenkt. Un­ter seiner Führung wurden auch die Aquädukte Roms wieder instand ge­setzt. Die Ewige Stadt befand sich seit dem Amtsantritt Johannes VIII. auf dem Weg der Läuterung. 

Und nie hatte der Papst Schwäche gezeigt. Bis jetzt. „Nein Dottore, mir geht es nicht besonders. Hat mein Diener euch berichtet?“. Entnervt hebt Di Rezzi die Schultern. „Kein Wort wird mir gesagt! Ich wurde aus meinem Schlaf gerissen und wie ein störrisches Maultier zu Euch geführt.“ Er überspielt seine Nervosität mit der gewohnten Portion aufgesetzten Griesgrams. „Was also fehlt Eurer Heiligkeit?“ 

Bevor Johannes antworten kann, schiebt sich der Leibdiener und Schlüsselherr des Pontifex durch die Tür. Sergius Caparragi, ein Mann von geringem Wuchs, den er aber mit seinem großen Einfluss mehr als wett macht. Hinter ihm versuchen einige rot gewandete Gestalten noch einen Blick ins Innere des Zimmers zu erhaschen, bevor das Schloss zuschnappt. „Ah, Caparragi. Gut, dass Ihr da seid. Was geht hier vor?“ 

Auch Di Rezzi hatte die mittlerweile eingetroffenen Kardinäle bemerkt. Langsam dämmert ihm, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht. Bei einer einfachen Magenverstimmung pflegten die Vertreter der Christenheit nicht vor der Tür des Pontifex auf Neuigkeiten über seinen Stuhlgang zu lauern. 

Schlüssel­herr und Papst tauschen vielsagende Blicke. Di Rezzi wirft den seinen von einem zum anderen und wartet auf eine Antwort. Schließlich hebt Caparragi an: „Di Rezzi, was Sie jetzt erfahren, das müssen wir mit allerhöchster Vorsicht behandeln. Ich möchte, dass Sie dem Heiligen Vater beim Blute Christi und allen Heiligen schwören, dass Ihre Lippen versiegelt bleiben, jetzt und in Zukunft!“ Ohne recht zu begreifen, nickt der Leibarzt. 
 
Caparragi tritt an die Seite des Bettes. „Es begann heute bei der Prozession zur Lateranbasi­lika.“ Er bedeutet Di Rezzi näher zu kommen. Der tut wie ihm geheißen und beide blicken einen Moment hinab auf das blasse, schweißfeuchte Gesicht des Heiligen Vaters. Johannes nickt schwach. Dann schlägt der Leibdiener die Decken zurück. 

Die Gruppe sensationslüsterner Würdenträger vor dem Schlafgemach des Papstes ist inzwischen auf mehr als zwei Dutzend Kardinäle angewachsen. Dazu kommen einige Bischöfe, Abgesandte, etliche einfache Priester, ein Bettelmönch aus Genua und der Küchenchef mit seinen Gehilfen. Sie alle geifern danach zu erfahren, was hinter der Tür zu den päpstlichen Gemächern vor sich geht. 


Als der Ca­parragi den Kopf aus der Tür streckt, drängt sich sogleich ein kardinalroter, morbid neugieriger Pfuhl aus Leibern um ihn. Nicht eben freudig überrascht mustert er die Meute verhinderter ebenso unverblümt zurück. „Leichenfledderer, elende...“ murrt er düster. Freilich nur so laut, dass man ihn noch vor den Palastmauern deutlich hören kann, aber doch so leise, dass man glauben könnte, sich verhört zu haben. Caparragi ist ein Meister des Stadionflüs­terns. „Du da, Bursche!“ Er fixiert einen debil dreinblickenden Bediens­teten des Küchenchefs. „Geh und hol saubere Tücher und eine Schüssel voll Wasser. Sauberes Wasser. Beeil dich!“ Und bevor noch jemand das Wort an ihn richten kann, hat er die Tür schon wieder ins Schloss gehämmert. 

Di Rezzi starrt auf das leichte Unter­kleid des Papstes. Ungläubig und ohne zu begreifen, was es hier vor sich hat. Er sieht den schwer atmenden Leib. Und er sieht den prallen, hochschwangeren Bauch, der den Stoff des Nachthemdes spannt. Trotz des Offensichtlichen ist er nicht in der Lage, das Bild in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Schwangerschaft und Papstwürde, für den Leibarzt sind diese beiden Komponenten so unvereinbar wie Feuer und Wasser. Und dennoch liegt deren Verschmelzung hier vor ihm und spottet jeglicher Konvention. Ein Papst in den Wehen. Ein schwangerer Vater der Christenheit. Plötzlich bäumt Johannes sich auf und unterdrückt nur mit Mühe einen Schrei. 

Die Wehe bricht den Bann. Di Rezzi verdrängt alles Zögernde aus seinem Handeln. Der Arzt in ihm übernimmt das Ruder. Er sinkt an der Bettstatt des Papstes nieder und beginnt den Mutterbauch abzutasten. 

Über die Schulter ruft er Caparragi zu, als sei dieser ein einfacher Diener: „Bringt frische Laken und Wasser!“ Und zu dem stöhnenden Häuflein Elend: „Ihr müsst pressen, wenn die Wehe kommt, eure Heil... konzentriert euch einfach auf das Pressen.“ Stöhnend sinkt der Körper zurück in die Kissen. Di Rezzi fährt fort, den Unterleib zu untersuchen. „Ich spüre keine Druck­punkte oder Verhärtungen, das Kind liegt in der rechten Lage und...“ Der Schrei der nächsten Wehe unterbricht den Arzt. Die Frau drückt den Rücken durch. Dann folgt Wehe auf Wehe, Schrei auf Schrei, bis sich zwischen die Laute der Mutter ein weiterer mischt. 

Das Neugeborene begrüßt die Szenerie, in die es da hineingerutscht kommt, mit reichlich Dezibel. Di Rezzi greift sich das plärrende Würmchen und nabelt es von seiner Mutter ab. Johanna liegt schwer atmend in den zerknitter­ten Laken. Ihr Blick verfolgt dabei jede Bewegung der beiden Männer, wie durch einen Schleier. Di Rezzi, ganz routinierte Hebamme, nickt den Neuankömm­ling zufrieden ab, schlägt ihn in ein Tuch und lässt das Paket in sehnsüchtig ausgestreckte Arme wandern. 

Johanna strahlt schwach. Für einen Moment ist sie nur noch Mutter eines Kindes. Und Papst. Caparragi und Di Rezzi blicken sich ernst an. Beide wissen, was nun folgen muss. Beide ahnen, dass dies alles verändern wird. Nur über die Frage, wer von ih­nen die Büchse der Pandora öffnen soll, sind sie sich noch uneins. Dann gibt sich der Leibarzt einen Ruck. Mit drei großen Schritten durchmisst er den Raum, öffnet das Schloss und sieht sich unvermittelt dem Moloch aus rotgewandeten Würdenträgern gegenüber. 
 
Er drückt die Tür sanft hinter sich ins Schloss. Die Kardinäle, Diener und Abgesandten verfolgen jede seiner Regungen. Di Rezzi blickt über die Menge, dann breitet er die Arme aus: „Es ist ein Mädchen.“


Die Legende um die Päpstin Johanna
_____________________________

Die Legende um die Päpstin Johanna wird seit dem 13. Jahrhundert über­ liefert. Zum ersten Mal berichtet der Dominikaner Jean de Mailly um 1225 von einem weiblichen Papst.

Der päpstliche Kaplan Martin von Troppau schreibt in seiner Chronik der Päpste 1277 von einer Päpstin Johanna.

Das Schicksal Johannas variiert von Version zu Version. In manchen wird Johanna hingerichtet, in anderen Abschriften abgesetzt und zur Buße verurteilt.

Das Kind wird einmal als Junge und späterer Bischof von Ostia, dann wieder als Mädchen mit den Namen Agnes oder Gilberta bezeichnet.

Die Authentizität dieser Berichte ist stark umstritten. Zumal es keine zeitgenössischen Quellen gibt und sich die Autoren nur auf Jahrhunderte alte Erzählungen stützen konnten.

Der Ursprung der Johannafabel wird auf verschiedene Faktoren zurückge­ führt. Die Bekanntesten sind: Eine Satire auf den als „weibisch“ geltenden Papst Johannes VIII. ; Der Name einer römischen Gasse „Vicus Papessa“, die allerdings auch nach einer alten italienischen Familie mit gleichem Namen benannt sein könnte; Die Weihschrift in der Gasse „P.P.P.P.P.P.“ angeblich für „Petre, Pater Patrum, Papisse Prodito Partum (Petrus, Vater der Väter, enthülle die Niederkunft des weiblichen Papstes)“.





_________



Die gesamte Ausgabe joe09 gibt es auch online.
Illustration: Lilly Mörz