Ich seh den Sternenhimmel

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 Die Neuauflage des Ego-Shooting Veteranen im Test für die aktuelle Konsolengeneration
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Von Hubertus J. Schwarz   3. Januar 2014


Berlin, Deutschland – Activisons neuster Streich, Call of Duty: Ghost, soll die Spieler auch auf der aktuellen Konsolen-Generation einfangen. Was zu Beginn noch exotisch frisch erscheint, endet in zu viel Pathos und einer patriotisch versalzenen Suppe. Dennoch liefert der Titel unerwartete Ansätze, die mitreißen.

Ich seh den Sternenhimmel sang seiner Zeit Hubert Kah als er im Nachthemd auf der Neuen Deutschen Welle ritt. Damals meinte er die Liebe, und obwohl die Konstruktion mehr als wacklig ist, kommt mir doch dieser Song wieder in den Sinn, während ich in der Anfangssequenz von Call of Duty: Ghosts, das Firmament betrachte. Die Szenerie des Videospiels hat freilich wenig mit Liebe, Lust und Heiterkeit zu tun. Schon der kurze Moment, in dem ich innehalte, um den Kosmos und eine beeindruckend detaillierte Erde zu bestaunen, kostet meinem Kosmonauten-Alter-Ego das Leben: Neustart der Mission.

Denn meine Spielfigur schwebt nicht allein im All. Der furiose Auftakt zu Activions neustem Videospiel bildet ein Angriff unbekannter Astro-Soldaten auf die U.S.-amerikanische Raumstation ODIN. Sie ist jedoch keine gewöhnliche orbitale Basis, sondern vielmehr ein gigantisches Geschütz in der Erdumlaufbahn. Zwar gelingt es die Angreifer abzuwehren, doch konnten diese noch das Abschussprogramm der ODIN starten. Während so einige Sprengköpfe unaufhaltbar die Erde ansteuern, löse ich alias der amerikanische Astronaut, die Selbstzerstörungsfunktion der Raumstation aus, um den Start weiterer Raketen zu vereiteln. 

Ich leugne nicht, dass die ersten Einstellungen aus Call of Duty: Ghosts mich fesseln. Während des Gefechts um die ODIN reisen Explosionen mehr und mehr Module der Raumstation auseinander. Mitten in den herumschwirrenden Teilen liefert sich die amerikanische Besatzung einen verbissenen Kampf mit den Angreifern. Überall um mich herum sirren Geschosse und Splitter, detonieren Treibstofftanks oder schweben erschossene Kosmonauten vorüber. Und im Hintergrund zieht die prachtvolle Sicht auf unseren blauen Planeten vorbei. Das alles geschieht in grandioser 1080p Auflösung und weckt einmal mehr das dringende Bedürfnis nach einem Fernseher, der dieser grafischen Bildgewalt eher gerecht wird.  

© Activision Publishing / Call of Duty Ghost / 2014
 
Auch die Handlung des Ego-Shooters scheint denkwürdig, zumindest ihr Grundgerüst. In nicht allzu ferner Zukunft schließen sich die Staaten Südamerikas, mehr oder weniger freiwillig zu einer Föderation unter der Knute Venezuelas zusammen. Dieser neu entstandene Machtblock bringt die Vormachtstellung der U.S.A. in arge Bedrängnis. Denn die Öl- und Gasvorkommen Alaskas wie auch des Mittleren Ostens, aus denen Nordamerika bisher seine Energie bezog, sind versiegt. Um sich als Alpha-Leader der Nationen zu behaupten, wird das Projekt ODIN realisiert: eine orbitale Erstschlagwaffe mit verheerender Sprengkraft. 

Ähnlich wie seiner Zeit die Raketenbasen auf Kuba für die Vereinigten Staaten nicht tolerierbar waren, so fühlt sich nun die Föderation provoziert – Geschichte wiederholt sich hier in gespiegelter Form. Die Folge ist der Angriff auf die Raumstation und ein Raketenabschuss mit fatalen Folgen. Denn die gestarteten Sprengsätze detonieren in Kalifornien, Nevada, Texas. 

Mit dem auftauchen dieses Big-Players und einer damit einhergehenden neu arrangierten Bündniskonstellation der Welt beweisen die Denker hinter der Kriegssimulation, dass sie aktuelle politische Tendenzen zu deuten wissen. Es ist eine bisher von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend ignorierte Tatsache, dass die Staaten Südamerikas im Schatten der Auseinandersetzungen im Mittleren Osten und davor des Kalten Krieges, von Schwellenländern zu Industrienationen gereift sind. 

Sollten es Argentinien und Brasilien schaffen, die kürzlich entdeckten Energievorkommen in ihren Hoheitsgewässern förderbar zu machen, so währen sie auch in diesem Sektor unabhängig. Wer um die politisch so instabile Lage Südamerikanischer Nationen weiß, für den ist der Zusammenschluss dieser Länder unter der Führung eines radikalen Regimes wie dem Venezuelas nicht undenkbar. In weiterer Folge und mit dem unausgeschöpften humanen Potenzial, wie auch den gewaltigen Ressourcen des Kontinents, könnte sich Südamerika zu einer Instanz profilieren, auf die man hören muss. Solch eine Entwicklung wäre kein unbekanntes Phänomen, wenn auch unter anderen Vorzeichen, so könnte es doch ablaufen wie bei den asiatischen Tigerstaaten in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts - nun vielleicht als Jaguar-Nationen.

Noch aber verbinden die meisten, besonders äquatoriale Staaten wie Bolivien mit ihrer Armut, den Drogenkartellen und unberechenbarer Korruption, dass sich die wirtschaftliche Gewalt dieser Nationen entfesselt. Was geschehen wird, wenn sie ihre Interna in den Griff bekommen, lässt sich nur erahnen. Zwar vernachlässigt das Entwicklerteam gesellschaftskritische Aspekte sträflich, indem weder die historischen Zustände Venezuelas noch die aktuellen Missstände in diesem Krisenherd Südamerikas, wie auch den inneren Koliken der USA  ausreichend beleuchtet werden. Das Gedankenspiel von Call of Duty; Ghosts ist mit diesem Wissen im Hinterkopf dennoch wirklich spannend und macht mir, so spekulativ und oberflächlich es letztendlich auch bleibt, Lust auf mehr.

Zehn Jahre später. Die ehemaligen Südstaaten der U.S.A. liegen nach dem Raketenbombardement in verstrahltem Schutz und giftiger Asche. Sie bilden nun die Grenze zwischen dem ausgedehnten Machtbereich der Föderation und dem, was einst die stolzeste Nation Nordamerikas war. Nach einem erbitterten Krieg dieser beiden Parteien haben die Streitkräfte ein Patt erreicht. Doch der nächste Angriff Südamerikas steht schon bald bevor.

Ich schlüpfe nach meinem Weltraumabenteuer in die Rolle eines jungen Mannes, der die Raketeneinschläge in Kalifornien mit seinem Bruder hautnah erlebt hat. Inzwischen sind die beiden beim Militär und auf einer Patrouille im Grenzgebiet zu Mexiko. Während dieser Missionen stoßen mein Team und ich auf die Spur einer beinahe schon legendären Elite-Einheit, der Ghosts. Und auf ihren ärgsten Widersacher, der es sich zum Ziel gesetzt hat, jedes einzelne Mitglied der Truppe zu töten. 

Ich kon­s­ta­tie­re: Amerika sieht sich als Underdog einem südamerikanischen Großreich mit Weltmacht-Ambitionen gegenüber. Als Teil der U.S.-amerikanischen Streitkräfte gilt es, diesen Anspruch zunichtemachen, den Angriff der Föderation abzuwehren, parallel den Unheil verkündenden Aktivitäten des Feindes in Chile nachzugehen und ihre Energielieferanten, Förderplattformen in der Antarktis, zu sabotieren, während auch noch der Ghost-Killer auf seine Chance wartet -  viel zu tun, für meinen Protagonisten.

© Activision Publishing / Call of Duty Ghost / 2014 

In gewohnt pseudopatriotischen Dialogen werde ich Häppchen für Häppchen mit diesen wichtigen Informationen gefüttert. Im Gegensatz zu früheren Ablegern der Reihe bleibe ich dieses Mal relativ konstant in der Haut eines einzigen Protagonisten und springe nicht wild von Spielfigur zu Spielfigur. Das ermöglicht es, den Charakteren eine umfangreichere Hintergrundgeschichte mit auf den Kriegspfad zu geben. Leider verpatzt Activision hier seine Chance und führt mich kaum in die Psyche der Protagonisten. Auch die an sich spannend anmutende Story um die Ghost-Truppe wird nicht näher beleuchtet. 

Als Quelle dient meist ein ergrauter Befehlshaber der Army, der die aktuellen Missionsziele an Bruderherz und mich weitergibt. Der stattlich trainierte Oldtimer ist nicht nur ein Obermacker der dezimierten aber nach wie vor einsatzfähigen U.S.-Army, sondern auch Vater der Hauptfigur und, wie es Zufall und in der Hinsicht leider recht plattes Storyboard wollen, ebenso emeritiertes Mitglied der Ghosts. Das aber erfährt man erst im Verlauf der Handlung, wenn man sich würdig gezeigt hat und in die Reihen dieser Elite aufgenommen wird. 

Leider verfällt die Rhetorik der Protagonisten recht bald in derlei typisch amerikanisches Heldengeseire. In einem Satz bemerkt der Vater noch, dass er außer seinen Söhnen nichts mehr auf dieser Welt habe, was ihm lieb sei. Nur um direkt nach dem nächsten Luftholen, seine Sprösslinge auf eine Kamikazemission in die atomar verseuchte Grenzzone zu schicken. Im Nachhinein verklärt er diesen Kurzschluss seines elterlichen Beschützerinstinkts, anders kann ich mir diese leicht groteske Vorstellung nicht erklären, als Test. Nun hat er gesehen, dass seine Brut würdig ist, als Ghosts in die Fußstapfen des alten Herrn zu treten. 

Das Ganze ist, zumindest in meinem Empfinden, das genaue Gegenteil von „Ich muss euch vor Gefahr schützen“ und dadurch ungewollt komisch. Dieses größte Manko, das hohle Geschwafel aller Beteiligten, zieht sich neben der Handlung als roter Faden durch das Spiel. Was mich vor einem narrativen Schock während der erklärend-verklärenden Zwischensequenzen rettet, sind die ansprechend und beinahe künstlerisch gestalteten Animationen. Aus geometrischen Figuren formt sich die Handlung, während Papi neue Infos über die aktuelle Lage, den Ghost-Killer und die Vorgeschichte des Spiels vom Stapel lässt. Das sieht wenigstens ansprechend aus.

Glücklicherweise beschränkt sich die ohnehin recht überschaubare Kommunikation der Akteure während der übrigen Handlung, also der Kampf- und Schleichszenen auf die knappen Kommandos meiner Mitstreiter.

So bleibt ausreichend Muse, um detailreiche, eindrückliche Landschaftspanoramen zu bestaunen. Die als Evolution oder gar Revolution viel beschworene Engine des Titels verdient zwar weder die eine noch die andere Bezeichnung wirklich. In Wahrheit büßt sie im Vergleich zu Konkurrenzspielen wie Killzone-Shadow Fall ihre breite Brust ein. Texturen, besonders aber die grandiosen Lichteffekte des Mitbewerbers bleiben überzeugender. Dennoch bieten die Level mit ihren abwechslungsreichen Schauplätzen genug für das verwohnte Auge, um zu beglücken. Die intelligent strukturieren Passagen im Orbit oder im Wasser des arktischen Meers führen eindrucksvoll vor, wie Spielführung funktioniert, ohne mir das Gefühl aufzudrängen, einen von vornherein strikt abgesteckten Kurs nachlatschen zu müssen.

Die zerstörten Großstädte wurden mit einiger Hingabe zum Detail erstellt und führen den Protagonisten kreuz und quer über die amerikanischen Kontinente. Im Dschungel Boliviens wird die eine oder andere Geisel befreit, ein Ghost-Trupp verübt völkerrechtlich sehr bedenkliche Anschläge im Herzen Caracas und muss zwischen den verfallenen Casinos von Las Vegas um ihr Leben kämpfen. Die Videospielreihe ist berühmt für die kunterbunte Variation ihrer Handlungsorte und mit dem zehnten Teil, Call of Duty: Ghosts, setzt der Publisher Activison diese Tradition munter fort.  

© Activision Publishing / Call of Duty Ghost / 2014 

Die Steuerung variiert dabei im Vergleich zu den Vorgängern nur wenig. Activison hat es komplett versäumt, Attribute der Next-Gen Konsolen in das Spiel zu intrigieren. Weder wurde das neue Touchpad des PS4 Controllers sinnvoll belegt noch springt der Titel auf Sprachbefehle oder Gesten mit dem Kinect der Xbox an. Besonders Interaktionen mit Stimme und Bewegung wären bei richtiger Umsetzung eine tolle Erweiterung der Call of Duty Reihe gewesen.

Mehrwert in Form alternativer Aktionsmöglichkeiten gibt es dann aber doch noch. Zusätzlich zu den Soldaten des Einsatztrupps komme ich in den Genuss einen für den Kampf abgerichteten Hund steuern zu können. Diese Einlagen lockern das Spielgeschehen merklich auf.

Und auch für die einsamen Seelen gibt es eine Spielwiese um sich beim Ballern in trauter Mehrsamkeit zu ergehen. Der Multiplayer-Modus bietet mit mehr als einem Dutzend Karten reichlich Platz, um sich zu zweit ein gemütliches Scharfschützennest zu bauen oder ein Schlachtfeld Sit-in zu veranstalten. Wer sich dabei gerne von der Sonne braten lässt, der kämpft in einer geplünderten Wüstenbasis ums Überleben, Dschungel- oder urbanere Labyrinthe sind auch reichlich vertreten. 

Nicht zuletzt habe ich die Möglichkeit in einer verfallenen Burg im schottischen Hochland um Ehre oder Rang zu fechten. Dem Detailgrad dieser Mehrspielerinhalte ist dabei deutlich anzumerken, dass dieser Inhalt einen mächtigen Stellplatz im neuen Universum von Call of Duty: Ghosts zugedacht ist. Erstmals ist es auch möglich, den eigener Kämpfer individuell zu gestalten und mit einem personalisierten Waffenpaket auszurüsten. Das, die zahlreichen zusätzlichen Extras, Modi und Variationen im Multiplayer Modus, bescheren schnell mehr Spielstunden auf dem Konto, als es die Hauptstory schafft. 

© Activision Publishing / Call of Duty Ghost / 2014
Wem das immer noch nicht reicht, für den hat Activision ein ganz besonderes Schmankerl auf Lager: Extinction. In diesem Hybrid aus Rundenangriffen, Aufbauspiel und Mehr- oder Singleplayer kämpfe ich mich durch eine abgeriegelte Kleinstadt irgendwo in den ehemaligen Vereinigten Staaten. Der Clou, mein Feind besteht nicht aus böse gesinnten Kämpfern anderer Nationen, sondern aus Aliens. 

Es ist also meine Aufgabe jedes Nest auszuräuchern und am Ende das ganze Areal mit einer Atombombe hoch zu lagen. Im Verlauf des Spiels werden die Aliens immer gefährlicher, zu Beginn kaum mehr als hundeartige Wesen, kämpfte ich am Ende gegen mutierte Nashornartige. Die verdammt düstere Atmosphäre heizt die Stimmung dabei zusätzlich an und der Schwierigkeitsgrad ist nicht zu unterschätzen. Call of Duty: Extinction könnte ohne Probleme als separates, eigenständiges Spiel verkauft werden. 

Call of Duty ist ein Rentner unter den Ego-shootern und sein Facelifting  stand dringend an. Insbesondere im Hinblick auf den Start der neuen Konsolengeneration mit Xbox One und PS4. Die Umsetzung in Call of Duty: Ghost ist weitestgehend gelungen. Bleibt aber letztendlich doch hinter den Erwartungen zurück, schlicht deshalb, da es aus den guten Ansätzen zu wenig macht. Letztendlich ist auch der zehnte Teil der Serie nicht viel mehr als Taubenschießen auf hohem Niveau.  


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