© Jan Steffen Peters / Neal Medlyn unzensiert / 2014 |
Neal Medlyns Pop Star Series gehen ins Finale
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Von Jan Werum 16. Juni 2014
Hamburg, Kampnagel – Gesellschaftskritik getarnt als
Pop-Konzert: Der preisgekrönte Performance-Künstler Neal Medlyn zieht
auf Kampgnagel alle Register und beweist, warum er einer der Höhepunkte
des Live Art Festivals ist.
Schräge, traurige Klaviertöne erfüllen
die gut besuchte Halle. Es dauert einige Sekunden, bis man die Töne als
Britney Spears Song „Everytime“ identifiziert. Der New Yorker
Performance-Star Neil Medlyn steht unauffällig, in ein weißes Nachthemd
gekleidet, neben der Bühne. Soweit wie in Spears Videoclip zu
„Everytime“ kommt es nicht (sie verübte Suizid in der Badewanne). Die
Stimmung ist gleich zu Anfang auf dem Tiefpunkt, als Medlyn das Publikum
auffordert an eine Zahl zwischen Eins und Zehn zu denken. „Ist es die
Drei?“ Kopfschütteln im Publikum. „See y´all I am magic“ ruft Medlyn und
freut sich wie eine Teenie-Göre, die zwei neue Likes auf ihr Profilbild
bekommen hat.
Keine Atempause für Zuschauer und Performer. Medlyn tanzt. Er tanzt grauenvoll,
bewegt seine Hüften wie ein hinkendes Nasehorn und schreit: „Whats up Sacramento, my pussy is hanging out, I am
scared, rock out with your cocks out, I need more beer“. Die Situation
ist verwirrend, doch abermals lässt Medlyn dem Publikum keine Chance
nachzudenken, denn er liegt schon, nur mit einem Candy- String
bekleidet, auf dem Boden und zankt mit dem ebenfalls auf der Bühne
befindlichen Kameramann.
Der String reißt. Zuckerperlen rollen geräuschvoll über den schwarzen Bühnenboden. Medlyn rafft sich auf, doch anstatt sich zu erheben, zeigt er dem Publikum mit gespreizten Beinen seine Kronjuwelen. Fremdscham ist in den Gesichtern der Zuschauer abzulesen. „I can´t remember what I did last night“, ruft er und erzählt im nächsten Moment eine biblisch wirkende Geschichte über einen Bär.
Plötzlich ist der Kameramann zum Bär transformiert. Er wird im weiteren Verlauf sein Pendant sein. Sie kitzeln sich. Medlyn greift zum Mikro und singt von „hot ice“ und „cold fire“. Anschließend kämpfen die beiden. Nach dem Kampf gibt der Bär Medlyn ein Bonbon. Schwere Traurigkeit überkommt Medlyn. Mit gesenktem Kopf und leeren Augen steht eher im warmen Scheinwerferlicht. Er wirkt abwesend. Es kommt erneut zur Rangelei. Sie wälzen sich wie sechsjährige und berühren jede ihrer Körperregion.
Der String reißt. Zuckerperlen rollen geräuschvoll über den schwarzen Bühnenboden. Medlyn rafft sich auf, doch anstatt sich zu erheben, zeigt er dem Publikum mit gespreizten Beinen seine Kronjuwelen. Fremdscham ist in den Gesichtern der Zuschauer abzulesen. „I can´t remember what I did last night“, ruft er und erzählt im nächsten Moment eine biblisch wirkende Geschichte über einen Bär.
Plötzlich ist der Kameramann zum Bär transformiert. Er wird im weiteren Verlauf sein Pendant sein. Sie kitzeln sich. Medlyn greift zum Mikro und singt von „hot ice“ und „cold fire“. Anschließend kämpfen die beiden. Nach dem Kampf gibt der Bär Medlyn ein Bonbon. Schwere Traurigkeit überkommt Medlyn. Mit gesenktem Kopf und leeren Augen steht eher im warmen Scheinwerferlicht. Er wirkt abwesend. Es kommt erneut zur Rangelei. Sie wälzen sich wie sechsjährige und berühren jede ihrer Körperregion.
Ein Hin und Her zwischen Himmel und Hölle. Das wird auch an der nächsten Szene
deutlich: Eine weitere Person tritt plötzlich ins Scheinwerferlicht. Sie
trägt eine Hannah-Montanna-Kappe (Synonym für Popstar Miley Cyrus) und
liest den beiden einen Schwur über sexuelle Enthaltsamkeit vor, wie ihn
viele amerikanische Mädchen unterzeichnen. Oftmals wird ihnen im Vorfeld
erzählt, dass Kondome wie Roulette sind und Tränen AIDS übertragen. Die
beiden legen den Eid der sexuellen Abstinenz ab, um im nächsten Satz
das Publikum auf eine Kuschelparty auf die Bühne zu bitten.
Partizipation ist erwünscht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trauen sich drei Frauen auf die Bühne. Medlyn und der Bär (der sich mittlerweile in ein Baby verwandelt hat) füttern sie mit Süßigkeiten, während die beiden Performer jeweils eine Geschichte erzählen. Während Medlyns Geschichte abermals hochmoralisch ist, erscheint die kurze Anekdote des Babys als genau das Gegenteil: Eine Geschichte über einen betrunkenen Mann und dessen Geschlechtsteil. Medlyn schickt das Baby erbost weg und ruft flehend nach purer Milch. Er singt „cry me a river“.
Das Baby betritt erneut die Bühne. Medlyn stürzt sich auf es und ersticht es. Der Säugling zerfetzt wie eine Piñata; Bonbons fliegen durch die Gegend. Nach dem Mord schreit Medlyn erneut verzweifelt nach reiner Milch. Er ist am Ende seiner Kräfte. Seine Zeit scheint abgelaufen zu sein. Er schluckt einen der Bonbons. Keine drei Sekunden später lechzt er nach Sex und setzt zum finalen Akt an.
Er singt Britneys Erfolgssong „Baby One More Time“ und tanzt dieselben schaurigen Tanzschritte wie Spears auf den MTV Music Award 2007. Medlyn schaut ins Publikum und und ruft in dessen Richtung „Y´all see I am magic“, verlässt die Bühne und hinterlässt ein verunsichertes fast ratloses Publikum, das erst nach einigen langen Sekunden zu klatschen beginnt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trauen sich drei Frauen auf die Bühne. Medlyn und der Bär (der sich mittlerweile in ein Baby verwandelt hat) füttern sie mit Süßigkeiten, während die beiden Performer jeweils eine Geschichte erzählen. Während Medlyns Geschichte abermals hochmoralisch ist, erscheint die kurze Anekdote des Babys als genau das Gegenteil: Eine Geschichte über einen betrunkenen Mann und dessen Geschlechtsteil. Medlyn schickt das Baby erbost weg und ruft flehend nach purer Milch. Er singt „cry me a river“.
Das Baby betritt erneut die Bühne. Medlyn stürzt sich auf es und ersticht es. Der Säugling zerfetzt wie eine Piñata; Bonbons fliegen durch die Gegend. Nach dem Mord schreit Medlyn erneut verzweifelt nach reiner Milch. Er ist am Ende seiner Kräfte. Seine Zeit scheint abgelaufen zu sein. Er schluckt einen der Bonbons. Keine drei Sekunden später lechzt er nach Sex und setzt zum finalen Akt an.
Er singt Britneys Erfolgssong „Baby One More Time“ und tanzt dieselben schaurigen Tanzschritte wie Spears auf den MTV Music Award 2007. Medlyn schaut ins Publikum und und ruft in dessen Richtung „Y´all see I am magic“, verlässt die Bühne und hinterlässt ein verunsichertes fast ratloses Publikum, das erst nach einigen langen Sekunden zu klatschen beginnt.
© Jan Werum / Neal Medlyn auf dem Live Art Festival / 2014 |
Licht und Schatten der Amerikanischen Gesellschaft geschickt getarnt als Pop-Ikone. Neil Medlyn ist nicht umsonst ein
preisgekrönter Künstler. Mit dem vierten Teil seiner Pop Series gelingt
es ihm den Weltstar Britney Spears perfekt abzubilden. Spears wird von
Medlyn als eine schizophrene Person mit vielen Identitäten dargestellt,
die ähnlich wie Goethes Faust zwei Herzen in der Brust trägt. Zum einen
der Bär und zum anderen die Bibelgeschichten-Erzählerin. Der
verführerische Popstar und die brave Schülerin. Immer wieder verführt
der Bär beziehungsweise das Baby die brave Spears mit berauschenden
Bonbons und verleitet sie zu Eskapaden, an die sich die enthaltsame
Spears später nicht mehr erinnern will. Solche symbolisierenden Szenen
wiederholen sich immer und immer wieder, schaffen eine Rhythmus im
Stück.
So ist es Medlyn gelungen, einen roten Faden erkennen zu lassen,
der Spears langsam aber sicher von einem prüden Vorstadtmädchen zu einer
sexhungrigen, wilden Partymaus transformiert. Schade ist lediglich,
dass dieser nur für Britney Spears-Kenner zu sehen ist und viele der
Zuschauer, während des Stücks, ratlos und gähnend dreinschauen. Sie
verstehen die immer wiederkehrende Kritik des Performers an der
schizophren wirkenden Spears nicht, die nicht nur für die
Identitätskrisen eines medialisierten Popstars steht, sondern auch
metaphorisch für Medlyns gespaltenes Heimatland (USA) stehen könnte. Ein
Land, das immer wieder mit Schwarz/Weiß, Arm/Reich, Gläubig/ungläubig
Konflikten zu kämpfen hat und sich dabei oftmals ziemlich
widersprüchlich verhält.
Ähnlich wie bei Britney geht es auch für die
Weltmacht USA in den letzten Jahren bergab. Republikaner und Demokraten
behindern sich gegenseitig im Kongress. Peinliche Überwachungsskandale
häufen sich. Immer mehr Experten sehen China als die neue Weltmacht.
Auch Britney Spears klammert an alten Positionen, doch hat sie ihren
Platz schon lange an die exhibitionistisch grelle Miley Cyrus aus
Nashville Tennessee verloren. Die wissenden Zuschauer haben sichtlich
Spaß an der Show, feiern Medlyn und dessen schräge Tanzeinlagen.
Dem
Performer selbst ist es egal, welche Botschaft der Zuschauer mit
Nachhause nimmt, versichert er. Er möchte keine vorgegebene Botschaft
transportieren. Das tut er auch nicht, aber er zeigt mit dem Finger auf
die Problematik der Medialisierung, auf die Problematik seines Landes,-
erkennbar nur für reflektierte, eingefleischte Britney Fans.
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