© Carla Reveland / Attack / 2014 |
Die ewige Suche nach der richtigen Antwort
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Von Katharina Börries 16. Juni 2014
Hamburg, Kampnagel – Der
israelische Künstler Ariel Efraim Ashbel
führt seine Zuschauer in die Welt der
Anthropologie. Dass diese Welt nicht staubtrocken und
langweilig sein würde, war bei einer Live-Performance zu erwarten.
Stattdessen erstreckte sich ein wahrer Urwald aus Möglichkeiten auf der
Kampnagel-Bühne; belehrend und vor allem eines: vielseitig.
Ashbel zeigt eindrucksvoll, wie er mit einem Paradoxon den Abend füllen
kann.
Es
ist ein Auftritt der fantastischen Fünf als die Performer wortlos auf
die Bühne treten. Stereotypen einer modernen Welt: Das schwangere
Schneewittchen gesellt sich zur brünetten Lolita-Lady-Gaga, ein
tätowierter Robinson Cruseo beäugt eine junge Jamie Lee Curtis im
Butler-Gewand und auch ein drolliger Vetter-It-Verschnitt tapst durch
eine Umgebung voller bauklotzartiger Gebilde. Die moderne Addams Family
tastet sich langsam an das heran, was Ihnen gegeben ist. Und so
vollbringt sie eine Reise vom orientierungslosen Naturzustand über die
Götzenanbetung bis zur Neuzeit voller philosophischer Ansätze. Von Hegel
bis Oscar Wilde.
Dass
jeder seiner Rolle gerecht wird, hat maßgeblich mit den Kostümen zu
tun, die von Anfang an den Grundstein für ein gedankliches
Schubladensystem legen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass gerade die
in sehr hotte Hotpants gekleidete Lady Gaga zu den geflochtenen von der
Decke hängende Ketten mitten im Raum greift und lasziv daran
herumschwingt. Ebensowenig verwundert Schneewittchen, das tatsächlich
die Flucht-Szene aus dem Disney-Klassiker nachspielt und dabei trotz
Babybauch und bravem Äußeren hingebungsvoll kreischt. Lediglich Vetter
Ist beeindruckt mit ungeahnten tänzerischen Fähigkeiten.
© Carla Reveland / Immobile / 2014 |
© Carla Reveland / Jane / 2014 |
Die White
People als Völkerschau entwickeln sich entlang einer Linie, die
vorgegeben scheint. Und doch bilden sie immer wieder ein Kollektiv. Was
zu Beginn höchstens durch den gleichen Nagellack erkennbar ist,
manifestiert sich nach und nach in einheitlichen Zusammentreffen. Etwa,
wenn die fünf eine Göttin im goldenen Bodysuit anbeten oder sie kurz
darauf als tanzende Volksbelustigung feiern und ausgelassen dazu singen.
Zerrüttet
werden diese Gruppen-Momente durch die Funktion der Darsteller als
Saboteure der durchgehenden Handlung. Ist ein Part des großen Ganzen
abgeschlossen, wird umgebaut, platziert und neu inszeniert; Bauklötze
werden verschoben, hochgewachsene Topfpflanzen neu arrangiert, bis sie
schließlich zu Queens „Bohemian Rhapsody“, mit eingerichteten Mikros und
rauschenden Windmaschinen zum Mittelpunkt werden.
Ashbel setzt wenig auf Überraschungen. Das Gezeigte ist zwar nicht vorhersehbar, aber doch allseits bekannt. Die Performer spielen und man weiß, dass sie es tun. Wie damals von Brecht begründet, gibt es hier keinen Platz für ausgeklügelte Rollenkonstrukte. Vielmehr dominiert die flache Darstellung von Klischees. Unterstützt wird sie durch eine besonders gelungene Szene, die den Voyeurismus des Spektakels mehr als deutlich macht. Zu bassreichen Sounds treten die Akteure paarweise auf einen Laufsteg, der die Schubladen im menschlichen Denken offenbart. Es ist ein Scharade-Spiel, das die Lächerlichkeit dieser alltäglichen Sortiererei vorgeprägter Vorstellungen hervorhebt. Wenn die pralle Göttin und die zarte Lolita nebeneinander her schreiten, weiß man, dass der Gegensatz „Fat / Thin“ zutrifft. Oder wenn bei „Day / Night“ ein wacher aufgerichteter Mensch voranschreitet, der nächtliche eher lasziv kriechend und dunkel daherkommt. Einen besonderen Höhepunkt erzeugt ein Einwurf, den die meisten wohl einfach als Ergänzung abtun würden: Die Paarung „Performance / Theater“ stellt Kunstformen gegenüber, die sich im Laufe des Stückes immer wieder annähern, aber nie ganz eins werden können. Performance ist offen prozesshaft, situativ und vergänglich; klassisches Theater hingegen ist meist abbildend und wenig diskursiv. Eine Kritik am traditionellen Theater. Doch auch dieses Doppel vergeht. Alles löst sich in der oft diskutierten Schere von Arm und Reich auf. Die meisten Begrifflichkeit sind im Endeffekt reine Spekulation. Man feiert die Existenz von Vorurteilen, von Stereotypen und Klischees. Warum gerade in diesem Moment ein lebendiger Kartoffelsack erscheint, ist nur ein weiteres Mysterium auf dem Weg zur Aufklärung.
Ashbel setzt wenig auf Überraschungen. Das Gezeigte ist zwar nicht vorhersehbar, aber doch allseits bekannt. Die Performer spielen und man weiß, dass sie es tun. Wie damals von Brecht begründet, gibt es hier keinen Platz für ausgeklügelte Rollenkonstrukte. Vielmehr dominiert die flache Darstellung von Klischees. Unterstützt wird sie durch eine besonders gelungene Szene, die den Voyeurismus des Spektakels mehr als deutlich macht. Zu bassreichen Sounds treten die Akteure paarweise auf einen Laufsteg, der die Schubladen im menschlichen Denken offenbart. Es ist ein Scharade-Spiel, das die Lächerlichkeit dieser alltäglichen Sortiererei vorgeprägter Vorstellungen hervorhebt. Wenn die pralle Göttin und die zarte Lolita nebeneinander her schreiten, weiß man, dass der Gegensatz „Fat / Thin“ zutrifft. Oder wenn bei „Day / Night“ ein wacher aufgerichteter Mensch voranschreitet, der nächtliche eher lasziv kriechend und dunkel daherkommt. Einen besonderen Höhepunkt erzeugt ein Einwurf, den die meisten wohl einfach als Ergänzung abtun würden: Die Paarung „Performance / Theater“ stellt Kunstformen gegenüber, die sich im Laufe des Stückes immer wieder annähern, aber nie ganz eins werden können. Performance ist offen prozesshaft, situativ und vergänglich; klassisches Theater hingegen ist meist abbildend und wenig diskursiv. Eine Kritik am traditionellen Theater. Doch auch dieses Doppel vergeht. Alles löst sich in der oft diskutierten Schere von Arm und Reich auf. Die meisten Begrifflichkeit sind im Endeffekt reine Spekulation. Man feiert die Existenz von Vorurteilen, von Stereotypen und Klischees. Warum gerade in diesem Moment ein lebendiger Kartoffelsack erscheint, ist nur ein weiteres Mysterium auf dem Weg zur Aufklärung.
Um
diesen zu ebnen, werden vor allem Zitate verwandt. Woher sie stammen
wird nicht erwähnt, man erkennt vielleicht Oscar Wilde, der Rest bleibt
schleierhaft. Ebenso ist es mit der Literatur. Von einer halbnackten
Dame präsentiert, könnte sie das visuelle Geschehen erklären. Doch die
Momente sind flüchtig. Im Endeffektt bleibt es aber der eigenen
Betrachtung überlassen, wie viel Zusammenhang anerkannt wird. Dieser
besteht zumindest zwischen Anfang und Ende der künstlerischen Evolution.
Sie scheint komplett konträr zu verlaufen. Die äußerlich zivilisierten
Menschen müssen erst lernen, zurechtzukommen. Als das Outfit dem
Entwicklungsgrad später nicht mehr entspricht, handeln sie hingegen
logisch und im wahrsten Sinne des Wortes gezielt. Der im Untertitel der
Performance angekündigte pornographische Aspekt „Notes on the national
pornographics“ wird angeschnitten, aber nicht ausgereizt, als die
Figuren nacheinander in tarzanähnliche Kostüme schlüpfen und der Mann in
der Runde weit mehr als nur Bananen auf einem Teller präsentiert. Der
Grund? Vielleicht der Ansatz Back to the Roots. Dieser wird erhört, als
auf einmal ein Erzähler auf die Bühne tritt, und die bisherigen Schritte
mit dem Publikum nachvollzieht. Passend zum Vorjahresthema „Human Zoo“
des fünften LiveArt-Festivals, wird durch Tierpark-Gründer Hagenbeck der
Voyeurismus erläutern, den jeder im Raum in diesem Moment durchführt.
Die Ebene der Schaulustigkeit wird erst durch ein Tau, dann durch einen
einfachen Klebestreifen erweitert, bis man sich fühlt wie in einem
Museum. Als die als Ausstellungsstücke drapierten Wilden schließlich den
sprechenden Referenten mit einem Volltreffer und lautem Knall
erschießen und damit die Ebenen wieder voneinander lösen, ist die
Verwirrung perfekt.
Der Mix aus Party, Forschung und Extravaganz ist nicht zum Verstehen gemacht. Stattdessen erfüllt er wunderbar aber auch das diesjährige Thema Exzess. Es wird in all seinen Facetten ausgespielt, ob als Überbetonung herkömmlicher Gesten oder in Form von ausladenden tänzerischen Einlagen, die, im Gegensatz zu vielen Performances, durchaus ästhetisch sind. Die Darsteller verstehen es, sich der Herausforderung des „Excess yourself“ zu verstehen.
Der Mix aus Party, Forschung und Extravaganz ist nicht zum Verstehen gemacht. Stattdessen erfüllt er wunderbar aber auch das diesjährige Thema Exzess. Es wird in all seinen Facetten ausgespielt, ob als Überbetonung herkömmlicher Gesten oder in Form von ausladenden tänzerischen Einlagen, die, im Gegensatz zu vielen Performances, durchaus ästhetisch sind. Die Darsteller verstehen es, sich der Herausforderung des „Excess yourself“ zu verstehen.
© Carla Reveland / Hagenbecks Mord / 2014 |
© Carla Reveland / Ariel Efraim Ashbel Himself / 2014 |
Nach
dem Tod des Redners betritt ein nahezu mumifizierter Chor die Bühne und
sieht sich langsam umherschreitend forschend um. Das Bühnenverhältnis
kehrt sich um: Die Beobachter werden zu den Beobachteten. Man fragt
sich: Geht es hier um die Moderne und jede Menge Gesichts-OPs, oder gibt
es einen tieferen Sinn? Man überlegt noch immer, als der Chor mit eher
schiefen Höhepunkten Hegls „Phänomenologie des Geistes“ zitiert. Bei so
starkem Tobak bedarf es einer Anzeigetafel, die den Text verstehbar
macht. Denn der Text als Gesang zieht und zieht und zieht sich, bis nur
noch einzelne Laute übrig bleiben und die Zeit nur so dahinrinnt.
Überforderung macht sich breit, hier wird der Exzess sichtbar.
Schneewittchen, das in der wilden Phase seiner Mitstreiter bereits
Pocahontas’ „Colours of the Wind“ präsentierte, trällert im Gegenzug mit schönen Tönen eine Hassschrift gegen eben genannten Philosophen.
Zumindest
das Ende des Zusammenspiels bringt letztendlich eine Stimmung mit sich,
die die bedrückenden und undurchsichtigen Irrungen und Wirrungen der
anthropologischen Welt deutlich macht. Was sich anschließt, ist zu
diesem Zeitpunkt kaum noch zu erwarten; die während des Chorauftritts
langsam abwärts sinkende Spannungskurve schnellt nach oben. Und das auf
ungewöhnliche Art und Weise mit dem Abspann. Präsentiert auf dem nackten
Rücken der zitierenden Schönheit übernehmen die Buchstaben, die Ashbel
selbst mit einem Mini-Beamer auf sie wirft, die fließenden Bewegungen
des Körpers. Im Hintergrund haben die Performer wieder zu einer Einheit
gefunden und spielen mit der musikalischen Leitung ein Lied, das nach
und nach verklingt. Bis es wieder vollends still ist.
Zwei
Stunden voll menschlicher Psychologie und Beobachtung. Die Performance
des israelischen Berliners ist ein gelungenes Schauspiel der besonderen
Art, auch wenn es deutliche Längen gab. Eine ausgeprägte, möglicherweise
auch eingebildete Symbolik, Nacktheit und Overacting bedienen Klischees
ebenso stark, wie sie inhaltlich reflektiert werden. Somit wird das
Ganze zu einer großen Inszenierung menschlichen Denkens.
Wie auf dem besagten Laufsteg treffend gegenübergestellt, ist Performance nicht Theater. Sie lässt sich nicht verallgemeinernd interpretieren und in Schubladen einordnen. Vielleicht ist es das, was Ariel Efraim Ashbel an diesem Abend zeigen wollte. Der Titel der Performance widerspricht dem Inhalt sehr deutlich. So bleibt am Ende doch wieder die Frage: Kann ich verstehen was ich gesehen habe? Oder ist auch „All white people look the same to me“ wieder ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass der vergängliche Genuss auf viele Wege zu interpretieren ist?
Wie auf dem besagten Laufsteg treffend gegenübergestellt, ist Performance nicht Theater. Sie lässt sich nicht verallgemeinernd interpretieren und in Schubladen einordnen. Vielleicht ist es das, was Ariel Efraim Ashbel an diesem Abend zeigen wollte. Der Titel der Performance widerspricht dem Inhalt sehr deutlich. So bleibt am Ende doch wieder die Frage: Kann ich verstehen was ich gesehen habe? Oder ist auch „All white people look the same to me“ wieder ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass der vergängliche Genuss auf viele Wege zu interpretieren ist?