Die Methusalems der Natur


© ServusTV / Illustrationen Claudia Maier / 2015



Sechs Rekordhalter aus dem Tierreich
__________________________________  
Von Hubertus  J. Schwarz      17. Oktober 2015

Salzburg, Österreich – Im Vergleich zu den meisten Tiere lebt ein Mensch besonders lang. Das durchschnittliche Alter beträgt in Deutschland und Österreich um die 80 Jahre. Damit ist die Menschheit aber bei Weitem nicht die langlebigste Spezies.


Jeanne Louise Calment  
Homo Sapiens | Der älteste Mensch
Jeanne Louise Calment  1997 starb Jeanne Louise Calment an der Côte d'Azur. Geboren wurde die Französin 1875 ebenda, in der Gemeinde Arles. Nach der Heirat mit ihrem Cousin zweiten Grades, einem vermögenden Landbesitzer, führte Calment ein ruhiges Leben. Sie beschäftigte sich mit Tennis, Radfahren, spielte viel Klavier und sang Opern. 

Nachdem sie ihren Gatten und ihre Tochter zu Graben getragen und schließlich den Unfalltod des einzigen Enkels erlebt hatte, verkaufte Calment 1965 ihre Wohnung an einen Rechtsanwalt. Im Gegenzug erhielt sie die Zusicherung einer monatlichen Leibrente von 2.500 Francs. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits 90 Jahre alt. Dreißig Jahre später starb der Rechtsanwalt, fortan musste dessen Witwe die Rentenzahlung ableisten. Bis zu diesem Moment hatte Calment bereits den dreifachen Marktwert der Wohnung ausgezahlt bekommen. 

Einer breiten Öffentlichkeit wurde Calment 1988 bekannt, als sie erzählte, wie sie im Alter von 14 Jahren dem Maler Vincent van Gogh begegnet war. Mit 113 gehörte sie schon damals zu den Supercentenarians, den wenigen Menschen, die das 110te Lebensjahr überschritten haben.  Bis ins hohe Alter blieb Calment körperlich aktiv, mit 85 begann sie zu fechten und noch mit 100 fuhr sie Fahrrad. Nach eigener Aussage tat sie jedoch nie etwas Besonders, um gesund zu bleiben. Auch rauchte sie Zeit ihres Lebens. Ihre Langlebigkeit führte die Französin auf den Verzehr von Knoblauch, Gemüse, Portwein und Olivenöl zurück. 1997 starb Jeanne Calment im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen. Damit ist sie die nachweislich älteste Person, die je gelebt hat.

Grönlandwal
Balaena mysticetus | Das älteste Säugetier
Diese Walart ernährt sich von Plankton und erreicht eine Länge von bis zu 18 Metern. Dabei nimmt der vergleichsweise großproportionierte Kopf annähernd ein Drittel der Gesamtlänge ein. Allein die Zunge kann um die 900 Kilo wiegen. Sein ausschließlicher Lebensraum in den arktischen Meeren bedingt eine Anpassung an die niedrigen Temperaturen. Die vor der Kälte schützende Fettschicht wird bis zu 60 Zentimeter dick. 

Forscher wurden durch die Erzählungen einiger Inuit auf das hohe Alter der Tiere aufmerksam. Diese hatten ein Exemplar erlegt, in dessen Haut noch steinerne Harpunenspitzen steckten, die seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr zur Jagd verwandt wurden. Der Wal musste also eine Hatz überlebt haben, die mehr als 120 Jahre zurücklag. Nach einer systematischen Untersuchung von Zellgewebe kamen Wissenschaftler auf ein Alter von 211 Jahren. Damit ist der Grönlandwal das Säugetier mit der höchsten Lebenserwartung. 

Die durchschnittliche Lebensdauer eines Grönlandwals liegt dagegen bei 40 Jahren. Die intensive Bejagung im 19. Jahrhundert bedrohte den Fortbestand der gesamten Art akut. 1931 wurden die verbleibenden Tiere als erste Spezies überhaupt unter den Schutz des Völkerbundes gestellt. Weltweit gibt es zurzeit eine Population von 5.000 und 8.000 Exemplaren.

Islandmuschel Ming
Arctica islandica | Das älteste Tier 
2006 trugen Wissenschaftler am Meeresboden vor Island eine gesamte Kolonie von rund 6000 Muscheln ab, um ihre Lebensumstände zu untersuchen. Dabei entdeckten die Forscher der walisischen Bagor University und der Iowa State University ein Exemplar, dessen Alter sie auf über 400 Jahre schätzen. 

Die exakte Lebensdauer bestimmte man schließlich über die Schale der Molluske. Vergleichbar mit Bäumen besitzen auch Muschelschalen Jahresringe, über die sich das Alter ablesen lässt. Zynischerweise führte das Öffnen zum Tod des Tieres, die hohe Dichte der Ablagerungen im Inneren jedoch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Die erneute Datierung der Außenseite ergab, dass die Islandmuschel 507 Jahre alt wurde. 

Die Presse taufte das Tier daraufhin auf den Namen Ming. Benannt nach der Herrscherdynastie, die um das Geburtsjahr der Muschel 1499 das Kaiserreich China regierte. Damit hält die Muschel den Rekord für das älteste Tier abseits der Schwämme.


Grannenkiefer Prometheus 
Pinus aristata | Die älteste Pflanze
Lange galten die Bäume aus den USA als die ältesten Lebewesen unseres Planeten. Um die 5000 Jahre lang wachsen einzelne Exemplare bereits. Ihre Höhe reicht dabei aber nicht über 20 Meter hinaus. Der Umfang mancher Bäume nahm in 100 Jahren um kaum 3 Zentimeter zu. Das Verbreitungsgebiet der Kieferngewächse reicht von den Bergen Kaliforniens über Arizona und New Mexico bis nach Colorado. 

Mit einer Bohrkernprobe datierte man 2012 das Alter einer Grannenkiefer auf 5066 Jahre. Der Baum steht im Inyo National Forest zwischen Nevada und dem Death Valley in einer Höhe von 3000 Metern. Zu seinem Schutz wird die genaue Position jedoch nicht bekannt gegeben. 

Die für die Altersforschung wichtige Radiokarbonmethode zur Datierung von organischen Materialien beruht maßgeblich auf der Altersmessung einer 1964 gefällten Grannenkiefer. Ihr Stamm wurde zum Referenzmuster der weltweit angewandeten Methode. Abgeschlagen hatte das 4862 Jahre alte Exemplar ein Geografiestudent, dem erst beim Zählen der Jahresringe bewusst wurde, wie lange der Baum bereits existierte.
Methusalem der Meere
Anoxycalyx joubini | Der älteste Organismus
Dieser Organismus lebt am Boden des antarktischen Ozeans. Der Riesenschwamm gilt mit einem wahrscheinlichen Alter von über 10.000 Jahren als eines der ältesten Lebewesen. Thomas Brey und Susanne Gatti, Forscher der deutschen Polarstern-Expedition, errechneten 1996 die Lebenspanne des Exemplars anhand seines Sauerstoffverbrauchs. 

Die Gattung der Anoxycalyx kann einen Durchmesser von einem Meter und eine Höhe von bis zu zwei Metern erreichen. Ihre Ernährung beruht hauptsächlich auf den Resten abgestorbener Tiere und Pflanzen die auf den Meeresgrund herabsinken. Trotz ihrer immobilen Lebensweise werden die Schwämme als Tiere klassifiziert.

Sein hohes Alter erreicht dieser Methusalem der Meere durch einen reduzierten Stoffwechsel und Sauerstoffverbrauch, den geringsten aller bekannten Tierarten. Dies verlangsamt zwar das Wachstum der Anoxycalyx, dämmt damit aber auch den Alterungsprozess ein. Zusätzlich dazu produzieren Bakterien, die in Symbiose mit den Schwämmen leben, ein natürliches Antibiotikum, das vor Keimen und anderem aggressivem Befall schützt.
King's Holly
Lomatia tasmanica | Der älteste Klon
Die Pflanze aus der Familie der Silberbaumgewächse existiert seit geschätzt 43.600 Jahren. Sie besteht als kollektive Lebensform aus einem einzigen Genet mit rund 500 Schösslingen. Im Südwesten Tasmaniens bedeckt sie eine Fläche von über 1,2 Kilometern. Damit ist sie nicht nur eine der langlebigsten, sondern auch größten und seltensten Lebewesen. 

Zwischen 2 und 8 Meter hoch werden die einzelnen Klonableger, die sogenannten Rameten. Wie vergleichbar alte Pflanzenbestände, so wächst auch die Lomatia ausgesprochen langsam. Messungen an verschiedenen Auswüchsen ergaben ein durchschnittliches Dickenwachstum von 0,3 Millimetern pro Jahr. 

Der Genet wurde 1934 von dem tasmanischen Pflanzenforscher Deny King entdeckt und nach ihm benannt. Die Datierung beruht auf einem 1991 entdeckten fossilen Blatt, das sich als identisch mit den lebenden Exemplaren erwies. Es kann jedoch nicht mit abschließender Gewissheit davon ausgegangen werden, dass dieser Fund tatsächlich von einem vormaligen Klon der Pflanze stammt.


________ 


Zum interaktiven Rätsel geht es unter ewigesleben.servustv.com