Empathie Waldorf

© Taxiarchos228 / Dornach / 2011





Von Minibarbaren, Papierfliegern und Atompyhsik - Rudolf Steiners Pädagogik
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Von Hubertus J. Schwarz   26. Februar 2011



  

Dornach, Schweiz – Waldorf das heißt Rudolf Steiner. Dieser Mann ist der Ur-Patron einer Pädagogik, die den eigenständig handelnden und im Idealfall dabei auch noch denkenden Menschen ins Zentrum stellt.

Rudolf Steiner war ein Freigeist des letzten Jahrhunderts. Seine gnostische Glaubenslehre und die Lebensphilosophie, die er im Laufe seines Lebens entwickelte, beeinflussen noch heute die philosophischen und pädagogischen Lehrinstitute der westlichen Welt. Insbesondere die von ihm gegründete Waldorfschule ist Austragungsort der Einstellung, die Rudolf Steiner geprägt hat.
Ähnlich wie es Goethe im 18. Jahrhundert tat, so beschäftigte sich Rudolf Steiner im 20. Jahrhundert mit vielen geisteswissenschaftlichen Thematiken und Fragestellungen. Eine Fülle von mehr als 42 Bänden mit Schriften und über 5.000 Vorträge zeugen von seiner breit gefächerten Arbeit. Doch weder war Rudolf Steiner der Anthroposophen Messias noch der Halbgott als den ihn viele, die seine Ideen leben und lehren, gerne sehen. Dennoch hat die Schulform, deren Grundstein er gelegt hat, so manchen Vorzug, der den staatlichen Schulwesen in Deutschland und Österreich mittlerweile beinahe gänzlich abhanden gekommen ist. 

Das beginnt schon mit der Gliederung des gesamten Schulwesens. Im Waldorfkindergarten können Eltern ihren Sprösslingen den freien Umgang mit Natur und ein soziales Miteinander näher bringen lassen. Mindestens zwei Betreuer begleitet die jeweilige Gruppe. Die Kinder sind viel draußen und es wird besonderer Wert darauf gelegt, dass jeder kleine Charakter die Aufmerksamkeit bekommt, die er braucht und sich dabei dennoch frei ausleben und entfalten kann.

Solange also keine hoch cholerischen Miniatur Barbaren sich völlig frei entfalten und so ihre tyrannische Herrschaft auch auf den Kindergarten ausweiten, haben Eltern nicht mehr Sorgen als den enormen Verschleiß der Strampelanzüge. 
Denn die Kinder sollen schließlich die Natur in all ihren Aspekten kennenlernen, was tägliche Schlammschlachten mit einschließt. Das bei jedem Wetter. Ob es stürmt, schneit, hagelt oder sich die Erde auftut, die Kinder werden hinausgesetzt. Wessen Immunsystem dem nicht gewachsen ist, wird so ganz natürlich ausgelesen. Schließlich steht die Waldorfidiologie für eine Rückführung zur Natur. Zumindest teilweise und nur solange das nicht den Kaffeeautomaten im Lehrerzimmer betrifft.

'Das Goetheanum / kulturelles Zentrum der Waldorfpädagogik' © ahnungsvoll / 2009
Hat der Junior die Jahre im Kindergarten überlebt, wird er direkt in die erste Jahrgangsstufe der eigentlichen Waldorfschule übernommen. Acht Schuljahre nun stehen die Kleinbürger unter der mehr oder weniger eisernen Herrschaft eines Klassenlehrers. Und zwar nur von einem. Ob die Beschränkung auf einen Lehrer pro Klasse einen tieferen Sinn hat oder einfach aus Mangel an Freiwilligen zustande kam, hat noch kein Naturforscher herausgefunden.

Der Unterricht selber ist in Epochen von jeweils einem Monat Länge unterteilt. In jeder Epoche beschäftigt sich die Klasse intensiv mit einer speziellen Thematik. Sei es Rechnen, Schreiben, Geschichte, Atomphysik oder Angriffstaktiken von Papierfliegern auf den Lehrkörper. In diesen acht Schuljahren der Unterstufe genießen die Kinder noch den ultimativen Vorteil in der Schule nicht durchfallen zu können. Die Begründung dafür ist ebenso einleuchtend wie naheliegend:

Kinder sind deshalb Kinder, weil sie sich noch entwickeln. Und da jeder ein anderes Tempo hat, wäre es fatal nur nach Leistung zu messen.

Der eine lernt schnell, der andere wieder langsam. Aber letztendlich sollen alle auf den gleichen Stand kommen. Jeder auf seine Weiße. Das zumindest ist das Idealziel. In den ersten Schuljahren ist das Leben für die Kinder also sehr sorgenfrei, solange sie natürlich nicht an einer der allgegenwärtigen Wachsmalblöckchen ersticken.

Im späteren Schulverlauf kommen zu dem Epochen Unterricht dann noch andere Fächer hinzu. Sprachen wie Französisch, Englisch und oft auch Russisch, aber auch exotischere Inhalte wie Gartenbau, Schmiedekunst oder der Klischeeklassiker Eurythmie. Generell wird in den Waldorf- oder den Rudolf-Steinerschulen besonderer Wert auch auf handwerkliche Unterrichtsinhalte gelegt. Das heißt jedoch nicht, dass dagegen die anderen, konventionelleren Themen zurückstehen. Den letztendlich habe die Schüler mit dem Abitur mindestens den gleichen Stand wie alle staatlichen Schulbetriebe es auch vorschreiben. Im Gegenteil, durch die zusätzlichen Fächer wird einem Waldorfschüler ein noch sehr viel weiter gefasstes Wissen vermittelt. 

Neben dem schon genannten Schmieden beschäftigen sich die Klassen im Schulverlauf zum Beispiel auch noch mit Korbflechten, Schreinern, Schneiderei oder Weben. Im Fach Gartenbau wird er Umgang mit verschiedensten natürlichen Ressourcen gelehrt. Sei es das Anbauen von Kartoffeln oder Tomaten, das Imkern oder der Hanfanbau. Wobei dies selbstverständlich und ausschließlich nur dazu dient, Hanfseil herzustellen. Natürlich! Diese praxisnahen Stunden dienen dazu die Kinder auf das Leben nach 2012 vorzubereiten und so den Grundstock für eine Zivilisation nach dem Mayageddon zu legen.

'Erythmie aktiv' © ahnungsvoll / 2009 / Hamburg

Ein anderer, interessanter Aspekt der Steiner Schulen sind die vielen Projekte. Es gibt Monatsfeiern, zu denen die einzelnen Klassen oder Jahrgänge ihre Lehrinhalte präsentieren. Dabei kommt besonders dem Fach Eurythmie eine große Rolle zu. Eurythmie ist eine Bewegungslehre. Sie soll den Kindern das Bewusstsein für die eigene Haltung, Bewegung und den Körper an sich erweitern. Dabei geht es ebenso um Geschicklichkeit wie auch um eine künstlerische Darstellung und Körperbeherrschung. Eine Art Tanzform. In der komplexe Formen und Emotionen in Bewegung und mit der eurythmischen Lautsprache ausgedrückt werden. Tatsächlich wird man nie einen Waldorfschüler sehen, der gebeugt und krumm geht. 

Unter der Hand wird dabei aber auch gemunkelt, es handle sich bei Eurythmie um eine PR-Kampanie der Stoffindustrie, die ihre neuen Produkte billigen Praxistests unterziehen wollen. Denn teilweise muten die luftigen Eurythmietrachen Trachten sehr befremdlich an und verschrecken nicht wenige Unwissende. Neben den Darbietungen aus dem Eurythmieunterricht gibt es im Laufe der Schulzeit noch etliche weitere Projektarbeiten für die Schüler. Ein Vermessungspraktikum, ein Industrie- und Vertriebspraktikum, ein Landwirtschaft- oder Landbaupraktikum und andere Jahres- oder Semesterarbeiten. Und nicht zu vergessen die Kunstreisen ins europäische Ausland.

Besonders das Landbaupraktikum ist vielen Missverständnissen und Klischees ausgesetzt. Inhalt dieses Monates ist es für immer jeweils zwei Schüler auf einem Bauernhof oder landwirtschaftlichen Betrieb zu lernen und zu arbeiten. Ablauf, alltägliches Leben und der artgerechte Umgang mit Tier und Bauer.
In dieser Zeit müssen die meisten nur jeweils einen Zweikampf mit einem Bären überleben und drei Schweine mit einem Holzpflock schlachten. Strom und fließendes Wasser aus einer Leitung sind dagegen wirklich verpönt und werden den Probanden nur in Ausnahmefällen gestattet.

'Aufblick in das Goetheanum' © ahnungsvoll / 2010 / Dornach

Ein dritter Bereich, der aus dem normalen Schulalltag fällt, sind die sogenannten Klassenspiele. Es gibt etwa alle drei Jahre die Möglichkeit für jede Klasse für etwa eineinhalb Monate ein Theaterstück einzustudieren und sich mit Bühnenbild, Kostümarbeit und Beleuchtungstechnik zu beschäftigen. Dabei haben viele Waldorfschulen ihre eigenen Traditionen entwickelt und neben regulärem Stoff wie Shakespeare gibt es sowohl Musical als auch fremdsprachige Aufführungen, die besonders in den Oberstufen teilweise ein beeindruckendes Niveau erreichen. 

Ebenso wie die Schulorchester. Denn es ist zwar keine Pflicht aber dennoch beinahe überall verbreitet, dass jedes Kind ein Musikinstrument erlernt. Die musischen Qualitäten werden nach Rudolf Steiner sehr hoch gehalten und so sind regelmäßige Orchester Aufführungen die Folge. Je nachdem wie begnadet das Orchester ist, sind diese Darbietungen teilweise sogar hörbar.

Ab der Mittelstufe dann gleicht sich der Alltag mehr und mehr dem staatlichen Schulwesen an. Das heißt es gibt sowohl Noten, als auch die Konsequenz sitzen zu bleiben. Handwerkliche Unterrichte treten in den Hintergrund und auch der Epochenunterricht ändert sich in den bekannten Stunden Turnus der staatlichen Anstalten. Bis die Schüler am Ende genau dieselbe Abiturprüfung ablegen wie reguläre Gymnasien oder Gesamtschulen.

Solange der eigene Wurf an Kindern also nicht gänzlich debil ist und ohne stumpfe Lehranweisung hoffnungslos hilflos bleibt, ist die Waldorfschule eine wirkliche Alternative. Besonders wenn ein Kind musisch und künstlerisch begabt ist und den Hang zur Eigenständigkeit mitbringt, kann es für die Entwicklung Gold wert sein, sich über die oberflächlichen Klischees hinweg zu setzen. Denn das war Rudolf Steiners Anliegen und ist noch heute der Kerngedanke seiner Schulform.

Eigenständigkeit, Charakter und die Kunst bilden den schönen Menschen.