Libyen im Ausverkauf









Was wird aus Libyen ohne Gaddafi – Drei Gedankengänge
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Von Hubertus J. Schwarz   23. Oktober 2011


Berlin, Deutschland – Während sich die Medien noch mit immer perfideren Bildern von Gaddafis Leichnam unterbieten. Die Leser sich nicht zwischen morbider Faszination und Empörtheit entscheiden wollen. Steht mit dem Untergang des Fixsterns Gaddafi die Frage im Raum: Wie geht es jetzt weiter mit Libyen? Drei Gedankengänge.

Warum wählen, wenn man führen kann? Die Rebellen setzen sich als stärkste Kraft durch. Mit dem Bestreben, die öffentliche Ordnung zu wahren. Sie konzentrieren weiter Exekutive, Legislative und Judikate bei sich. Als Militärpolizei bleiben sie in den Städten aktiv, regulieren die Verteilung von Hilfsgütern in der Bevölkerung und leiten Prozesse beziehungsweise Fahndungen gegen die ehemaligen Machthaber. Alles gute Gründe um demokratische Wahlen zu verschieben und eine militärische Präsenz zu halten.

Für die Bevölkerung ändert sich so nichts Grundlegendes. Solange sich die Lage langsam wieder normalisiert, was man dort als Besserung deuten könnte, wird es auch keine größeren Erhebungen geben. Und ohne Demonstrationen auch keine panischen Machthaber, die den Feuerbefehl geben. Den Schrecken des Krieges und das Gesicht des getöteten Sohnes noch vor Augen, werden die Menschen dort sehr genau abwägen, ob es sich lohnt erneut auf die Straße zu gehen. Und sich einem Machthaber entgegen zu stellen, den man noch nicht einschätzen kann.

Das Rebellenheer etabliert sich so als neue Führungsriege.
Der Handel mit dem Öl wird schnell von den ehemaligen Rebellen aufgenommen, um dem maroden Haushalt auf die Beine zu hieven. Denn nach wie vor ist Libyen eines der Wirtschaft stärksten Länder Afrikas und wird diese Rolle auch nicht freiwillig abtreten wollen. In der Vergangenheit hat der Staat ärmere Länder auf dem Kontinent intensiv mit finanziellen und materiellen Mitteln unterstützt. Aus dieser Vorarbeit könnten Gefallen eingefordert werden. Das und der Ölhandel wären eine Möglichkeit sich früh aus einer Abhängigkeit gegenüber dem Westen zu lösen.

Diesen Status quo müssten die Westmächte so hinnehmen. Solange das ohne neue Repressionen gegen die Zivilbevölkerung abläuft. Dann erst dann kann die NATO Sanktionen verhängen. Und ihre Truppen auf dem Fuß umdrehen und nach Libyen zurückmarschieren lassen. Truppen, die noch nicht mal Zeit hatten, sich zu Hause ordentlich zu duschen...

Vielleicht werden Reformen versprochen und bis zu einem gewissen Level auch umgesetzt. Wenn man dadurch den Zuspruch und das Vertrauen der Bürger gewinnt, ist das ein prächtiges Mittel um den eigenen Führungsanspruch zu untermauern. Und solange daraus nicht der konkrete Wunsch nach Wahlen Form annimmt, bleibt die Machtstruktur, mit den vormaligen Rebellen an der Spitze, bestehen. Die Rebellion wollte von Beginn an keine konkrete, ethnologische Haltung durchsetzen, sondern einfach nur die bestehende Machtsituation um Gaddafi aufbrechen. Sich jetzt im Nachhinein einem politischen System zu unterwerfen und damit die Macht zwangsläufig freizugeben ist ein Weg, dem sich in der Geschichte nur wenige Sieger verschrieben haben. Und noch weniger mit Erfolg. Was Libyen und die Menschen dort dann haben, ist nur wieder ein neues Regime. Eine Militärdiktatur.

Mullahs mit Vision. 
Die Machtstrukturen um den implodierten Fixstern Gaddafi sind zerschlagen. Gehen wir einmal davon aus, dass sich auch die Rebellen mehr oder minder auflösen. Sei es, dass die Kämpfer einfach zu ihren Familien und in ihre Heimatorte zurückkehren. Jetzt wo es kein konkretes Feindbild mehr zu bekämpfen gilt. Oder sich die verschiedenen Gruppierungen wieder ihrer Differenzen erinnern. Differenzen, die dem einenden Banner der Rebellion bis dahin untergeordnet waren. Diese Gruppierungen sind die verschiedenen Stämme in Libyen, mehr oder minder islamische, also religiöse, Strömungen oder politische Interessensgruppen. Die alle für sich einen zunehmend umfassenden Führungsanspruch stellen. Und sich wahrscheinlich nur in einem Punkt einig sein werden. Dem, keine ausländische Instanz als Vormund zu akzeptieren.

Auch die NATO kann kein zweites Afghanistan gebrauchen. Sie wird einem zerrüttenden, Geld und Sympathien kostenden Stellungskrieg mit immer fanatischeren Milizen liebend gern aus dem Weg gehen. Was Libyen dann hat, ist ein Machtvakuum. Und ein Volk, das sich nach Jahren des pseudo-sozialistischen Gedankengutes und dem narzisstischen Führerkult um Gaddafi nach einer wirklichen Ideologie sehnt.

Das schreit förmlich nach Sternstunde für radikal islamische Propaganda und einer Rückführung zum orthodoxen Glauben. Oder, nicht ganz so pessimistisch: Das klingt nach einer Chance für religiöse, muslimische Strömungen sich wieder mit dem Volk gemeinzumachen. Um den Menschen einen Halt inmitten der zerbröckelnden Strukturen des alten Systems zu geben.

Die Frage dabei bleibt. Wie sehr werden es fundamentalistische Gruppierungen schaffen, einen prägenden Einfluss auf die Menschen in Libyen auszuüben. Der Iran tanzt bei dieser Vorstellung Sumba. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich die Vision eines islamischen Libyens festfrisst. Die westliche Welt dagegen fürchtet einen neuen, nahöstlichen Staat, in dem Hasstiraden der Mullahs an der Tagesordnung sind. Anti-westliche im Allgemeinen und anti-amerikanische im Speziellen.

Hilfe ohne Wirtschaft. Es gibt noch einen dritten Kurs, denn das Land fahren könnte. Ob dieser bei den aktuellen Querelen praktizierbar ist, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Libyen durchaus die Mittel und die Infrastruktur besitzt, um sich schnell von diesem Bürgerkrieg zu erholen. Es gibt das Öl, die Beziehung sowohl nach Afrika als auch in den Westen und die arabische Welt im Osten. In dieser Reihenfolge. Um für die Bevölkerung aber eine langfristige und positive Verbesserung zu erwirken, reicht die bloße Wiederinstandsetzung nicht aus.

Internationale Hilfsorganisationen müssen ungehindert agieren können. Also ohne jedes Mal einen Genehmigungskrieg auszufechten, um einem sterbenden Kind zu helfen. Wenn die Menschen darauf bauen können, dass Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung und körperliche Unversehrtheit gewährleistet werden. Dann wächst die Chance auf ein selbstbestimmtes Libyen potenzial.

Müssen sich die Libyer aber noch tagtäglich darum sorgen, wie sie sich und ihre Familie unbeschadet durch den Tag bringen, dann bleibt nicht viel Energie um sich darüber hinaus weiter für Reformen starkzumachen.

Die Menschen brauchen Hilfe, die nicht mit wirtschaftlichen Interessen verbunden ist und nur gegen Schürfrechte gewährt wird. Der NATO sei einfach mal gutgläubig unterstellt, dass sie in Libyen keinen bloßen Wirtschaftskrieg führt, sondern die Menschenrechte im Vordergrund stehen. Das irgendwo immer auch Eigeninteresse mitspielt ist ja natürlich und legitim, solange es nicht an erster Stelle steht.

Was das Land nicht gebrauchen kann, ist weiterhin die exzessive Präsenz von Militär, egal aus welchem Lager und welchem übrigen Teil der Welt. Das schafft nur ein Gefühl der Unterdrückung und Bevormundung im Volk. Es schürt Aggressionen auf beiden Seiten. Die Devise: Militär raus! Ärzte, Bildung, Nahrung und Wasser rein!

Damit ist aber die Frage nach einer politischen oder, wie auch immer gearteten, gesellschaftlichen Ordnung noch nicht gestellt. Demokratie, Gottesstaat, Sozialismus, Stammesthing oder Emirat?

Das, was für Libyen am besten ist, muss nicht unbedingt eine Demokratie sein. Ob diese Art Politsystem, das auf unsere westliche, pseudonihilistische Gesellschaft zugeschnitten wurde, imNnahen Osten überhaupt funktionieren kann, steht schon länger im Raum. Eine Gemeinschaft, in der Vetternwirtschaft, Handel und Bestechung zum allgemeinen Umgang gehören, erscheint in unseren trüben Augen als mittelalterlich und unfair. Wenn aber jeder jeden besticht und alle mit ihren Vettern wirtschaften, dann kann das auch eine Art von Gerechtigkeit ausmachen.

Bedenkt man das kulturelle Erbe des nördlichen Afrika und die noch immer verwurzelte und praktizierte Stammeskultur, so scheint ein loser Stammesbund mit einem zentralen Thing oder Rat als ernsthafte Alternative. In gewisser Weise geht diese Idee auch in eine demokratische Richtung, bezieht aber archaische und patriarchalische Züge mit ein. Die im Stammeswesen noch vorherrschen und kaum von heute auf morgen weg zu dividieren sind. Zusätzlich hätte es nicht diesen faden Beigeschmack der bösen, gottlosen Westdemokratie. Aus demografischer Sicht bietet diese Lösung eine nicht zu unterschätzende Erfolgschance. Denn so hätte jede Volksgruppe ihren Vertreter im Rat und wüsste so um die Wahrung ihrer Interessen. Wenn dann noch der Weg für Bildung freigemacht wird und sich das Land nicht in eine gottgegebene oder andere Abhängigkeit flüchtet, dann könnte dieses Land vielleicht wirklich auf eine gute Zukunft hoffen.


Nachtrag 24. Oktober 2011:

Nun, drei Tage nach dem Tod des ehemaligen MachthaberMuammar al-Gaddafi hat der Übergangsrat der Rebellen das Land für befreit erklärt. In ganz Libyen gab es Feste. In Bengasi kündigte der Ratsvorsitzende Mustafa Abdul  Dschalil vor zehntausend feiernden Menschen ein rechtsstaatliches Libyen an. Er versprach die Einhaltung der Menschenrechte und eine Rechtsprechung auf der Basis des Islam. Die Nachrichtenplattform n-tv berichtet über diesen, von vielen erwarteten, ersten Schritt zu einem islamisch orientierten Libyen.


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