Makellos

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Gedanken über die Wahrscheinlichkeit vom Makel
Ein Impuls
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Von Hubertus J. Schwarz   20. Oktober 2011

Zürich, Schweiz – Wahrscheinlich kann, wahrscheinlich darf, das makellose Wort nicht für jeden gleich gelten. Sollte es sie doch geben, eine Sprache die in sich vollkommen, dann wären es Sätze, die in dem Menschen, der sie aufnimmt, etwas berühren. Uneingeschränkt. Und ohne Frage nach dem Wer oder Wann. Diese Lyrik könnte zu jeder Zeit den Menschen verstummen und lauschen lassen.

Und doch würde sie in ihm nichts auslösen, denn das Perfekte ist schon für sich der Ultimativ. Kann nichts anregen, nichts nähren, was es übertrifft, ohne sich selber dadurch zu zerstören. Sie wäre in ihrer Vollendung gleich einem süßen Ende – Stillstand.

Aber was, wenn jeder anders über den Ausdruck denkt. Die Schrift, die Rede ohne Makel unmöglich? Gerade da wir ein so unterschiedliches Empfinden dafür haben, was schönen Klang ausmacht. Fantastische Kopfgeburt also, die genauso tot geboren scheint wie die Frage nach der Schönheit selber.

Nein! Denn die Menschen teilt in der Sprache so viel weniger, was sie unterscheidet. Als dass uns Dinge verbinden, in denen wir einander gleichen. Wir alle sind irgendwo Mensch. Haben Ähnlichkeit. Und aus all dem Gemeinsamen muss es eine goldene Mitte geben, die jedem entspricht.

Der Wille uns auszudrücken entspringt einer Quelle. Durch die Zeit hat das Rinnsal Sprache sich viele Wege zur Bedeutung gegraben. Einige dieser Flussläufe haben zu einem Ziel geführt, andere sind versandet. Manche sind groß, fließen träge und sind dabei reich an verschiedensten Arten. Dann wieder gibt es schnelle Wasser, zu unruhig als dass Vielfalt Platz hätte sich zu entfalten. Die aber in ihrer Strömung so quirlig und unstet sind, dass man nicht müde wird, ihnen zu folgen. Genauso wie es Sprachen gibt, die schwer und voluminös wirken. Nicht schön sind, dabei aber präzise. Und andere, die wundervoll klingen, aber immer hohl und karg im Sinn bleiben.

Es gibt so viele Sprachen, Dialekte und Schriften, die ins tobende Meer des Ausdrucks fliesen. Sich dort vermengen und doch nicht verbinden um zu einem großen Ganzen werden. Hybridem Gemenge aus zahllosen Inhalten. Bedeutungslos, ziellos, den Gezeiten und Naturgewalten ausgesetzt.

Und wir, die Menschen, die dem einen oder anderen Flusslauf gefolgt sind, stehen nun ratlos an den Ufern dieses uneinigen Meeres. Sehen einander, können uns aber über die laut tosenden Wasser nicht verstehen. Nur wenige nehmen die mühselige Fahrt auf sich und setzen in kleinen, literarischen Booten ans andere Ufer über. Die meisten verharren. Und so verständigen wir uns mit Gebärden. Wie unsere Urväter, bevor sie den Willen zu sprechen fanden.

Dabei ist Sprache das, was uns zum dem gemacht hat, was wir heute sind. Der Mensch ist ohne das Wort nur ein Tier, das zu lieben gelernt hat. Und was ist schon Liebe, wenn man ihr keinen Ausdruck zu geben vermag? Liebe ist die Quintessenz der Schönheit. Durch Liebe wird Schönes geboren und Schönheit der die Zuneigung fehlt, wird nie makellos sein. Vollkommenheit kann also nur aus sich selber bestehen, wenn es den Menschen gibt, der sie bemerkt. Gerade deshalb braucht es ein Mittel um zu vermitteln. Das Werkzeug Sprache, durch das der Mensch Zeugnis ablegen und neues zeugen kann.


Warum nehmen wir nicht die Anstrengung auf uns und teilen das Meer? Wandern an seinem Grund und sammeln uns von dort all das kostbare Meeresgut, das es braucht, um eine vollkommene Sprache zu schaffen. Eine, die jedem anheimfällt. Anstatt weiter am Strand entlang zu schleichen und allenfalls schimmelnde Wrackteile zu finden. Wertloses Treibholz, das in allen Farbfacetten brennt, deren Flamme dabei aber nicht wärmen kann.

Dagegen könnte eine Sprache, geeint mit allen Vorzügen aus dem Meer der Ausdrücke, reine Poesie sein. Nicht mehr nur ein Werkzeug. Eine Wesenheit, für die Verständnis kein Maßstab mehr sein muss. Die nur empfunden und nicht begriffen werden kann.




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