Endzeitstimmung

© Christopher Eder / Apokalypse now / 2012




Inferno in Graz, denn die Maya hatten recht 
[ Apocalyspe Now I ]
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Von Hubertus J. Schwarz   31. Januar 2012

Graz, Steiermark – Graz steht in Flammen. Die Erde bebt. Der Himmel ist von Wolkenmassen bedeckt. Blitze zucken, ab und zu sieht man einen Engel mit verkohlten Flügeln auf die Häuser hinab stürzen. In den Gassen rennen panische Gestalten. Im Grunde also ein Tag wie jeder Andere, wäre da nicht dieses Datum: Es ist der 21.12.2012.

Dort wo die Stadt nicht in Flammen steht, ist sie ein einziges Trümmerfeld aus Schmutz, Abfall, Leichen, leeren Coca-Cola Dosen und ausgebrannten Autowracks. Der von den Maya prophezeite Untergang ist da. Die Mur ist zu einem dampfenden Pfuhl aus Schlick und Säure geworden. Einzig ein paar vernichtungsresistente Enten dümpeln noch in der radioaktiv schimmernden Masse. Auf der Murinsel steht ein Fischerchor aus Engeln, schunkelt und singt zu den apokalyptischen Trompeten das Halleluja. 

Die ganze Welt ist vernichtet und als letztes Bollwerk gegen den Weltuntergang steht nun auch Graz vor dem Abgrund. Mayagottheiten manifestieren sich nun in der Steiermark und sammeln sich zum infernalischen Höhepunkt ihres Vernichtungszuges durch die Welt.

Am Hauptplatz führt Ek Chuah – der Kriegs- und Kakaopflanzengott, nebenbei eine unschlagbare Kombination – seine provisorische „Ballspielmannschaft des Schicksals“ aus Mönchen des Franziskanerklosters an. Gegner der schon sehr lädierten Kleriker ist eine Rotte Camazotz. Ihr Kapitän – der heilige Bernhard. Er hat sich vor ein paar Minuten spontan vor den Überresten des Blue Tomato Stores reinkarniert. 

Die Camazotz sind Götter in der Gestalt von Fledermäusen. Ihre Angewohnheit, Feinden die Köpfe abzureißen, stößt insbesondere bei den zwangsrekrutierten Mönchen auf dezente Skepsis. Wohingegen das Erscheinen dieses Bernhards nur auf allseits hochgezogene Brauen trifft. Mangels einer passenden Kugel für das traditionelle, mesoamerikanische Ballspiel, mutiert die Begegnung zum theologischen Disput. 

Ek Chuah und der Zisterzienser aus dem Mittelalter prallen mit der ganzen Wucht jahrhundertelanger Religionsdifferenzen aufeinander. Unter diesem thematischen Druck sackt auch das bis dahin noch stehende Rathaus hinter den beiden zusammen und verschwindet in einer empört aufwallenden Staubwolke. Indessen versteift sich Bernhard darauf, dass, wenn überhaupt, so nur Gott, der Allmächtige, und sein fleischgewordener Wille, also Jesu, eine Apokalypse vom Stapel lassen dürfe. 

© Christopher Eder / Apokalypse now / 2012
Der Mayagott wiederum erwidert trocken, dass Menschenopfer noch immer ihren Zweck erfüllt hätten. Gegen Blut oder Wein aus Blut oder was auch immer, sei doch nichts einzuwenden. Darauf ist nichts zu erwidern und als sich die beiden, zum Zwecke religiöser Verbrüderung, in das lodernde Flann O’Brien zurückziehen, ist die Franziskanerbande schon um einige Köpfe kürzer und drei der Camazotz liegen zufrieden aufstoßend zu Füßen der Erzherzog Johann Statue.

Derweil lässt Ah Puch, der skelettierte Dämon mit dem Krokodilrücken, seine Höllenhunde im Stadtpark herumblutende, menschliche Extremitäten apportieren. Während einige hundert Meter weiter die Seele von Georg Kreisler versucht, die letzten Tauben zu vergiften. Über ihm kreist der Moan-Vogel – ein mythischer Wolkengeist – und sucht in den verwüsteten Gassen der Altstadt nach lohnenden, möglichst schreienden Snacks.

Auf der Baustelle des Hauptbahnhofes fliehen zur gleichen Zeit Überlebende der ersten apokalyptischen Vernichtungswelle vor Huracan, dem Gott des Feuers und des Sturms. Die ÖBB hat Verspätung und so bleibt den schon leicht verzweifelten Menschen nichts anderes übrig als sich vor dem Feuerbrodem der Mayagottheit hinter die Fensterscheiben von McFit zu retten. In der Hoffnung, Huracan möge auf einen Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg treten. Er wäre ja nicht der erste.

Parallel sprühen sich im Kastner die heilige Bernadette und Jeanne d’Arc zusammen mit den Fruchtbarkeitsgöttinnen Hunabku, Ix Chebel Yaks und Ixchel durch die Parfümabteilung, während der gefiederte Schlangengott Kukulcan an den Übergrößen der letzten Boss Kollektion in der Herrenabteilung verzweifelt und neidisch zum Erzengel Michael schielt, dem natürlich alles perfekt passt – Unterhosenmodel, elendes…

... Auf dem noch unberührten Uhrturm steht Ixtab, Schutzgöttin der Selbstmörder, und hält vor einigen interessierten Heiligen und dem Grazer Bürgermeister einen Vortrag über die Erfüllung von daseinsverkürzenden Maßnahmen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer, abgesehen vom Bürgermeister, wird allerdings von riesigen Gestalten in Geidorf beansprucht. Denn an den Rändern des Himmels haben diese vier Bacars ihre Posten verlassen. Zwei der Himmelshalter, Cauac und Kan, trampeln jetzt unter irrem Gegröle auf den Ständen am Geidorfplatz herum. Ix, der Riese des Ostens, hat sich am Beginn der Heinrichstraße vor den verwüsteten BIPA gekauert und wühlt mit seiner mannsgroßen Pranke zwischen den Regalreihen nach etwas, das kein überteuertes Waschmittel ist oder garantiert 89% schuppenfreies Haar verspricht. 

© Christopher Eder / Apokalypse now / 2012
Der Himmelshalter aus dem Westen, Mulac, hockt im Schneidersitz am Beginn der Humboldtstraße und lässt unter Brummgeräuschen und mit todernster Miene eine Mercedes E-Klasse auf einen schon recht mitgenommenen Ford Fiesta knallen. Der vormalige Besitzer des Benz, ein feister Mittsechziger, hat noch den Wackeldackel aus der Limousine retten können. Zusammen mit dem Fahrer des Ford steht er nun in sicherem Abstand zu dem Riesen und verfolgt unter Tränen das unrühmliche Ende seiner Karosse.

Am Himmelstor, das sich in der Herrengasse zwischen Zara und Tchibo aufgetan hat, streiten sich unterdessen Petrus und sein mesoamerikanisches Pendant Chilan um den Pförtnerjob. Sie werden dabei von einem Mob aus Seelen angefeuert, der sich sensationsgeil um die beiden Kontrahenten schart. Als Petrus unerwartete Verstärkung in Form des Erzengels Gabriel und einiger Cherubim bekommt, zieht Chilan beleidigt und nach Seelen tretend ab. Später sieht man ihn im ausgebrannten M1 einen Godfather – ein Teil Bourbon, ein Teil Amaretto – mixen und auf die letzten Minuten der Menschheit trinken. Neben ihm sitzt die Seele von Ludwig Hirsch und singt ein Lied über Osterhasen.

Während Petrus und Co. eine provisorische Notfallbehörde für die Katalogisierung der Seelen einrichten, gähnt dort, wo noch wenige Stunden zuvor der Jakominiplatz lag, ein enormer Krater. Tief am Grund des Loches glimmt es Unheil verheißend. Ab und an spritzt eine Magmafontäne aus den Untiefen des Schlunds. Am Rand des Kraters steht der Erdbebendämon Cabracá und sein Vater. Der Sohn schmollt. Er hat die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und scharrt missmutig mit dem Fuß. Sein Vater ragt drohend vor dem kleinen Dämon auf und schimpft mit erhobener Zeigeklaue. In der anderen hält er einen noch nicht ganz abgekauten Oberschenkel und weist damit anklagend auf das Loch im Boden. Keine Erdbeben ohne Papi!

Über den beiden und über der Stadt kreist derweil, fast unbeachtet, ein seltsames Gebilde. Das Herz von Graz hat sich selbst aus dem geschundenen Torso der Stadt gerissen. Der freundliche Alien aus der Nachbarschaft entschwebt als Arche Kunsthaus dieser brennenden Welt. Aus den fünfzehn Zitzen des biomorphen Raumschiffes puffen kleine Dampfwolken, während es langsam in den Himmel über der apokalyptischen Welt hinein tuckert. An Bord, eine kleine Schar von Wagemutigen, die hofft dieser Hölle zu entkommen. Im Gepäck, eine Wagenladung Axe – Final Edition und mehrere Jahresrationen Dosenravioli, mindestens haltbar bis 2014.

In den zersprengten Überresten einer Fachhochschule steht indes Hunahau, Gott des Todes. Neben ihm steckt sich Jesus lässig eine Black Devil an. Nachdem er genüsslich an dem Sargnagel gezogen hat, meint er süffisant zu Hunahau: „Wenn sie es wirklich bis zum Mond schaffen, dann bekommst du sie.“ Der Todesgott grinst nur und nickt.


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Ilustration: Christopher Eder