Blut im Detail

© Crytek / Ryse - Son of Rome / 2013
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Launch-Titel und Loderndes HD-Feuerwerk der Xbox One im Test
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Von Hubertus J. Schwarz   26. Dezember 2013

Hamburg, Deutschland – Die Schlachtensimulation über das antike Rom verspricht ein opulentes Feuerwerk grafischer Qualität und gewaltgeladener Kampfatmosphäre. Als Launch-Titel der neuen Konsolengeneration scheint Ryse - Son of Rome eine gut gewählte Option - zumindest auf den ersten Blick.

Eilige Schritte hasten durch eine reich verzierte Prunkhalle. Gold und polierter Marmor glänzen im Schein glimmender Kohlenbecken. In unmittelbarer Nähe hört man das Donnern einschlagender Geschosse. Putz platzt aus der Decke. Ein stattlicher Patrizier, stattlich im Sinne von gut gefüttert, rennt und stolpert so schnell ihn seine Sandalen tragen inmitten der herabstürzenden Bruchstücke durch die Weite des Saals. An dessen Kopfende fällt er auf die Knie, direkt vor einer übergroßen, heroischen Statue seiner selbst. Flehend reckt er ihr die Hände entgegen, wimmert: „Er ist hier. Götter, helft mir, er ist hier um mich zu töten!“ Und immer wieder: „Er ist hier…!“ Sein felsgewordenes Abbild bleibt stumm, weint nur effekthaschend Blut. Der Alte weicht zurück, hinaus auf eine Terrasse. 

Dort geht sein Blick über ein von Barbarenhorden überranntes, brennendes Rom. Er schreit seinen Soldaten entgegen, sie sollen ihn, ihren Caesar, Nero Augustus Germanicus, schützen. Dann rauscht die Perspektive hinab, zwischen den schlachtenden Massen hindurch, bis zu einem kämpfenden Legionär, dem Protagonisten von Ryse - Son of Rome, Marius. 

© Crytek / Ryse - Son of Rome / 2013

Die erste halbe Stunde* des Spiels ist ein opulentes Feuerwerk aus grafischer Raffinesse und blutrotem Schlachtgetümmel. Das intensive Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, geschuldet einer ungemein realistischen Engine fügt sich zu einem optischen Erlebnis zusammen, das man oft lieber aus einem Kinosessel heraus erleben möchte, denn vor dem heimischen Fernseher. Die Cry Engine ist für ihre hochauflösenden Texturen und die atmosphärische Ausleuchtung berüchtigt und mit ihrer neusten Version haben die Entwickler nicht zu viel versprochen. 

Während der Kämpfe ist die Kamera derart nah am Geschehen, das man bei Treffern Schweiß und Spucke der Gegner spritzen sehen kann. Die Hautbeschaffenheit der Akteure scheint jede Pore sichtbar zu machen, Mimik, Bewegungsabläufe und das Verhalten der Spielfigur auf Aktionsbefehle erreichen eine sehenswerte Qualität. 

Mit all dem rammt das Spiel seine Standarte weit oben und gut sichtbar in den Hügel der aktuellen Videospiel Landschaft. Ryse - Son of Rome ist als Release Titel der neuen Konsolengeneration und exklusiver Starter für die Xbox One eine gut gewählte Option - zumindest auf den ersten Blick.

© Crytek / Ryse - Son of Rome / 2013
Auch das knappe Tutorial verspricht eine vergleichsweise simple und eingängige Handhabung und tatsächlich scheint der Legionär und Hauptcharakter Marius ein händelbarer Bursche zu sein. Was allerdings nicht allzu schwer fällt, denn das Waffenarsenal gibt über die Grundausstattung eines römischen Legionärs (Pilum, Schwert und Schild) hinaus nicht viel her. Das ist zwar historisch angenehm nah an den wirklichen Gegebenheiten, führt im Spielfluss allerdings schnell zu einem recht zähen Dahinrinnen. Denn im Verlauf kommen selten Waffen oder neue Kombinationsmöglichkeiten hinzu, die etwas Abwechslung in das Kampfgebaren bringen würden. 

Ebenso erklärt sich in dieser Einführung die Altersfreigabe 18+. Erfahrungspunkte oder Gesundheit erhält der Spieler durch das Niedermetzeln der Gegner. Allerdings reicht es nicht einfach zu tötet, man muss ihn „hinrichten“. In der Praxis entpuppt sich dieser martialische Finishing-Move als eine besonders kreative/brutale Art, Gegner XY ins Elysium zu befördern. 

Drückt man im richtigen Moment eine Taste, gibt es einen Bonus, allerdings gibt es den auch, wenn man sie im falschen Moment drückt oder den Befehl gleich vollkommen ignoriert. Das Entwicklerteam traut wohl den Spielern nicht viel Geschicklichkeit zu und befreit uns dankenswerterweise gleich präventiv vor möglichen Frustrationserlebnissen. Mit den gesammelten Boni lassen sich im Menü Erweiterungen freischalten. Dieses auf das richtige Timing aufgebaute Kampfsystem zieht sich auch im freien Kampf durch das gesamte Spiel.

Man fühlt sich entfernt an den Playstation Titel „God Of War“ erinnert, wobei es dort noch um einiges schonungsloser zuging. Da aber weder das antike Rom für seine pazifistische Konfliktlösung berüchtigt ist und wahr, noch das Spiel etwas anderes zu sein versucht als eine Kriegssimulation, kann man durchaus von erfüllten Erwartungen sprechen.

© Crytek / Ryse - Son of Rome / 2013

Als General der römischen Streitmächte hat man in den ersten Spielsequenzen die Aufgabe den amtierenden Caesar vor den anstürmenden Barbarenhorden zu schützen. Bei der Verteidigung der Zitadelle kommen auch so die strategischen Ansätze des Spiels durch. 

Während Marius fröhlich eine römische Ballista oder Scorpio bedient und die Geschosse in die Masse aus Leibern feuert, kann man per Tastendruck oder Sprachbefehl Kommandos an die Truppe geben. Nachdem Letzteres im Test nur in einem von vier Fällen funktioniert und die Ehegattin ernsthaft mit Scheidung droht, wenn man weiter von der Saloncouch her „Katapulte, Feuer!“ brüllt, beschränkt man sich dann doch auf die konservative Controller-Variante. 

Ursprünglich als Kinect Titel für die Xbox 360 konzipiert, lassen sich im Spielverlauf noch einige Elemente ausmachen, die wohl aus diesem Konzept stammen. So marschiert man des Öfteren in Schildkrötenformation auf den Feind zu. Spielerisch ist das kaum anspruchsvoll, dabei aber ungemein atmosphärisch. Ein präzise abgemischter Surroundsound lässt die Geschosse wirkungsvoll um euch herum pfeifen und sirren.

Da verzeiht man schon mal, dass die Gegner alle aus einer großen und beunruhigt eng verwandten Familie zu stammen scheinen. Nicht selten kämpft man gegen Zwillinge, Drillinge oder sogar Vierlinge, die sich alle zum verwechseln ähnlich sehen. Crytek gab den Figuren eine detaillierte Mimik, kreierte aber nur immer ein Gesicht pro Gegnertyp. Neben dieser fehlenden Artenvielfalt fällt auch das nicht vorhandene Schadensmodell schmerzlich auf. 

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Rache ist süß. Was das Team des deutschen Spieleentwicklers Crytek bei der realistischen Darstellung der Außenwelt und ihrer Bewohner leistet, das lässt es in Rahmenhandlung und Dialogen schmerzlich vermissen. Marius wird dem Spieler als unreflextierende Kampfmaschine mit nicht einem Hauch Humor oder intellektueller Tiefe präsentiert. Als mittlerweile einer der führenden Videospielehersteller in Deutschland mit über 800 Mitarbeitern, leistet sich Crytek dabei eine sehr großzügige Auslegung historischer Kontexte und Darstellungen ebensolcher Persönlichkeiten.

Rachedurst ist das einsame und treibende Element, aus dem sich die Geschichte zusammensetzt. Hat man sich erst einmal durch die Reihen der Barbaren geschlachtet und den verstörten Caesar in Sicherheit gebracht, wird durch das Gebaren des Hauptcharakters schnell klar, dass Nero so behütet gar nicht ist, denn der General hat noch eine Rechnung mit ihm offen. Er beginnt in guter, alter Bösewicht Manier zu erzählen, was ihn umtreibt.

So findet man sich im nächsten Spielabschnitt um Jahre in die Vergangenheit versetzt. Schon als junger Legionär kämpft Marius mit seinem Vater in Rom gegen anstürmende britische Nordvölker. Dort wird dieser von einem der Invasoren tödlich verwundet, ebenso der Rest der Familie. Nicht ohne seinen Sohn noch darauf hinzuweisen, dass es nicht nur Feinde außerhalb der Landesgrenzen gibt, stirbt er in den Armen des Protagonisten. Das lässt tief blicken. 

Marius schwört Rache und schließt sich der 14. Legion an, die nach Britannien reist, um dort gegen die heimischen Barbaren zu kämpfen. Marius ist ganz vorne dabei, auf Vergeltung für den Mord an seinem Vater erpicht. In dieser Weise rangelt sich der Soldat bis zum General hinauf, nur um als solcher wieder alte Schulden einzutreiben.

Das Stillen der Rachegelüste zieht sich so durch die Handlung, wie eine anhängliche Erkältung durch den langen Winter. Man ist ihrer schnell überdrüssig, hängt sich dann aber doch gerne an ihr auf, um eine Entschuldigung für die eigene Unausstehlichkeit vorzuweisen. 

© Crytek / Ryse - Son of Rome / 2013

Aussätzig wie ein Kranker wurde auch der Humor behandelt. Ob vor, nach oder während einer Schlacht, der Protagonist leiert immer die Selben, altbekannten und pathetisch überhöhten Parolen herunter, wie wir sie aus jedem x-beliebigen Kriegsfilm kennen. Dem Spiel hätte eine Prise Humor, ein flotter Spruch an der richtigen Stelle, durchaus gutgetan. Erhebt sich Marius, blutbespritzt und schwer schnaufend zwischen den erstochenen Leibern seiner Feinde, wirken Binsenweisheiten wie: „Der Held stirbt nur einen, der Feigling aber tausend Tode.“ abgestumpft und sogar hochgradig arrogant wie auch fehl am Platze. Abgesehen von dem Graffito eines nackten, fetten Nero an einer Häuserwand im brennenden Rom, lässt der Titel jeglichen Witz vermissen. 

Ryse - Son of Rome kann viel, könnte aber noch ungemein mehr. Die intensive Mimik der Figuren, das Farbenspiel der Landschaften lassen erahnen, was die neue Konsolengeneration zu leisten bereit ist. Dabei enttarnt sich der Titel durch seine unterirdisch banale Handlung und oft reizlose Spielmechanik durch die fehlenden Variationsmöglichkeiten letztendlich doch als bloßes Metzeln auf hohem Niveau. 

*Außen vor gelassen wurden hier zwei ganz und gar nicht metaphorische Stunden, die das Spiel zumindest auf der Xbox One braucht um sich und anschließend den Kampagnen-Modus zu installieren. Erst dann kommt man in den Genuss, das Spiel beginnen zu dürfen - eine unrühmliche Zeitspanne, die man aber in den ersten Minuten des Spiels rasch wieder vergessen hat.


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