Rache ist laut

© Nozomi Matsumoto / Schneider TM / 2014
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Wenig Musik + Brachialer Baustellenlärm im Konzertsaal durchgehört
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Von Hubertus J. Schwarz   18. Dezember 2013


Hamburg Deutschland – Schneider TM beweist mit seinem neuen Album eine beeindruckend flexible Einstellung gegenüber dem Terminus Musik. Dennoch hält „Construction Sounds“ was es verspricht. 

Wo Baustelle draufsteht, ist auch Baustelle drin. „Construction Sounds“ bietet vor allem das, was es verspricht – Baustellengetöse. Bohrer bohren, Spachtel spachteln, das aggressive Rattern der Presslufthämmer ist schwer zu verkennen, besonders der markerschütternde Knall aufeinanderprallender Stahlträger frisst sich in die Hörkanäle. Dirk Dresselhaus alias Schneider TM deckt mit seinem Album „Construction Sounds“ über 42 Minuten das gesamte Spektrum an Baustellengeräuschen ab, das man sich vorstellen kann, aber nicht möchte.

Der für poppigere Klänge und seinen melodischen Electro bekannte Dresselhaus inszeniert sich in „Construction Sounds“ als Musique Concrète-Avantgardist alter Schule. Sehr behutsam formt er die Field Recordings zu elektronischen Klängen, die ursprüngliche Grobheit und das Unmittelbare der Szenerie ließ Dresselhaus beinahe unangetastet. Auf dem kompletten Album ist kein Beat zu finden. Weder Melodie noch Takt bringen Ordnung in das gewollte Chaos aus vertontem Arbeiterschweiß, Beton und Mörtel. Insbesondere während des beinahe viertelstündigen Titeltracks bleiben die Töne dicht an der authentischen Geräuschkulisse einer Baustelle – ein atonaler Pfuhl aus pulsierendem Lärm, der trotz allem einen Sog entwickelt, dem man sich schwer entzieht.

Im Gegenteil stimuliert dieses dystopische Klanggebilde zum beinahe athletischem Zuhören. Angespannt bleiben die Handflächen über die gesamte Dauer auf Kopfhöhe, bereit sich im Fall der Fälle schützend auf die Ohren zu pressen.

Stücke wie „Container Redux“ schrammen gnadenlos an der Grenze zum Unhörbarem entlang, jedoch nie darüber hinaus. Oft fühlt es sich an, als wolle Dresselhaus sein Publikum durch die schiere Wucht der Klang-Collagen in die Sitze drücken und damit an der Flucht hindern. Loops oder andere Stilmittel elektronischer Musik gehen so im allgemeinen Durcheinander, wie in „Grinden In The Sky“, beinahe unter. Dreht man „Construction Sounds“ nur laut genug auf, ist das Ganze absolut waffenfähig.

Dominiert die erste Hälfte des Albums noch die rumpelnd, polternd, krachende Impression geballter Lärmbelästigung, variiert Dresselhaus im Verlauf der letzten Sequenzen sein provoziertes Klangchaos. Subtil arrangiert er ein Tongerüst, um es schließlich im Finale „Bimanual Complexity“ zum Tragen kommen zu lassen. Jedem klassischen Musiktheoretiker triebe diese gewagte Konstruktion zwar immer noch Tränen in die Augen, die Ahnung eine Struktur aber bleibt. 

© Christian Obermaier / Schneider TM / 201§
Dresselhaus selbst möchte sein Werk als „based on a true Story“ verstanden wissen. Über die letzten Jahre hinweg werkelten Arbeiter an einem Großbauprojekt vor den Fenstern seiner Berliner Wohnung am Prenzlauer Berg. Irgendwann konnte er sich dem Lärm nicht mehr entziehen und integrierte die Geräusche schlichtweg in seine Arbeit. Als Produkt dieser ungewollten Synthese liegt nun „Construction Sounds“ in den Läden zum Verkauf. 

Es erzählt von „Baustellenlärm als kosmische Musik“ und auf der beinahe esoterisch anmutenden Meta-Ebene ist vom „Sound der Gentrifizierung“ die Rede. Das klingt groß, ist aber im Grunde nichts Neues. Kunstinstallationen spielten schon seit den Tagen der frühen Dadaisten mit dem Zustand Lärm. Auch Industrial-Formationen wie „Kluster“ oder die „Einstürzenden Neubauten“ liegen als Vergleichsmoment nahe. Dresselhaus geht es nach eigener Aussage jedoch weder darum „mit Instrumenten Fabrikgeräusche zu imitieren (Kluster), noch mit Industriegeräuschen die Instrumentalmusik zu bereichern (Neubauten).“ Er möchte mit Schneider TM und „Construction Sounds“ nicht in die Clubs, sondern lediglich „diese wunderschönen Momente, erzeugt von unbekannten Bauarbeitern“ teilen. 

Damit verpasst er die Gelegenheit, der konsumierenden Masse etwas aufrüttelnd Neues um die Ohren zu hauen. Stattdessen reiht sich Dresselhaus so ein in die lange Schlange der Sound-Konstrukteure mit ihren Krach- und Klang-Installationen, deren Aussage über ein bloßes „schon mal gehört“, nicht hinauskommt. Einen langen Nachhall wird das Album mit diesem sehr schmalem theoretischem Überbau wohl nicht haben. „Construction Sounds“ klingt mehr nach Kunst der Beliebigkeit, denn nach Musik, der man sich freiwillig und zur Zerstreuung aussetzt. 

Unterhält Schneider TM, will er aufrütteln oder einfach nur vertonte Rache nehmen, für zehn Jahre unerbittlichen Baustellenlärm? Die Sympathie der Mitmenschen wäre wohl auf seiner Seite, würde er sich nur klar zu seinem Vergeltungsmotiv bekennen. Mit Musik gegen den Lärm in die Schlacht zu ziehen, ist meist eine sichere Sache, wobei die Frage unbeantwortet bleibt, ob mit „Construction Sounds“ auch wirklich die Richtigen gestraft werden.



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