Realität, die beklommen macht

© ahnungsvoll / Watch Dogs Chicago / 2014

 

 

  

Was für Hacker möglich ist und wozu NSA, CIA und Co. 

schon heute fähig sind


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Von Hubertus J. Schwarz   30. Mai 2014



Chicago, Illionis – Mit dem Videospiel Watch Dogs legt der Entwickler Ubisoft eine beeindruckend beklemmende Reaktion auf die aktuellen Ereignisse um Überwachung und Vernetzung vor. 

Wenn Aiden Pearce durch die Straßen Chicagos wandert, vergräbt er die Hände tief in den Manteltaschen. Im Futter verborgen hält er seine Waffe umgriffen, jederzeit bereit sie einzusetzen. Der Mann mit vergrämter Miene und einem Blick, der nach Schlaf schreit, setzt praktisch keinen Fuß vor die Tür ohne das Gefühl von Metall, Plastik und Chrom zwischen den Fingern.


Die Gründe dafür sind triftig, zu intensiv hat er sich mit der Unterwelt Chicagos und ihren sinisteren Machenschaften eingelassen. Für seine Auftraggeber beschaffte er Informationen. Als es ihm zu viel wurde, versuchte das Verbrecher-Syndikat ihn aus dem Weg zu räumen. Doch riss der Anschlag nicht ihn, sondern seine kleine Nichte aus dem Leben. Nun sinnt der Ex-Knacki auf Rache. 

Diese Geschichte ist genauso wie Aiden Pearce nicht real. Vielmehr verkörpert der Antiheld die Hauptfigur in Watch Dogs, dem Videospiel, das sein Entwickler Ubisoft nun gegen die Konkurrenz auf der neuen Konsolen-Generation in den Ring schickt. Darüber hinaus präsentiert sich der Titel als eine erste Reaktion der Branche auf den NSA-Skandal und die Debatten um Überwachung und Vernetzung in unserer zunehmend digitalen Welt.

Denn der Protagonist Pearce ist ein Hacker. Anstatt Kugeln schießt er mit Informationen. Und so klammern sich seine Finger auch nicht um den Griff einer Handfeuerwaffe, sondern sein Mobiltelefon. Das modifizierte Smartphone fängt die Datenströme der Umgebung ab und verschafft ihrem Nutzer so Zugang zu den Informationen, die um ihn herum gesendet oder empfangen werden. Was er über seine Mitmenschen erfährt, nutzt Pearce, um den Mord an seiner Nichte zu sühnen und die Technik in seinem Sinne zu manipulieren.  

So fiktiv die Geschichte um Pearce und seinen Rachefeldzug auch sein mag, stellt sie im Kern doch eine hochaktuelle Frage: Was würde geschehen, wenn sich jemand die digitale Vernetzung zu eigen machen könnte? 

Mit Watch Dogs findet der Entwickler Ubisoft darauf eine eher brachiale Antwort. Während man den introvertierten Aussteiger durch eine virtuelle Kopie Chicagos steuert, generieren die Datenströme der Stadt für den Hacker ein informatives Schlaraffenland. Über sein Smartphone verlinkt sich Pearce mit den Mobilfunkgeräten anderer Passanten und fischt ein Portfolio ihrer Identitäten ab. Name, Lebensumstände und Strafregister warnen den Spieler so vor einer potenziellen Gefahr und vermitteln ganz nebenbei eine Horrorvision dessen, was sich Kritiker unter der Datenbrille Google Glas vorstellen. 

Via Tastenklick werden auch Überwachungskameras zu Spionen in eigener Sache und erlauben Einblicke in zwielichtige Winkel ohne das Leben der Spielfigur zu riskieren. Muss ein Fahrzeug gestoppt oder die Polizei abgehängt werden, mutiert das Smartphone endgültig zur Deus ex Machina. Während Pearce lässig am Steuer eines geklauten Wagens durch die Innenstadt brettert, garantiert der Klick auf dem Mobiltelefon die grüne Welle, lenkt Straßenbahnen gegen die Verfolger oder lässt Gasleitungen unter den Polizeiwagen explodieren. Watch Dogs funktioniert als Synthese zwischen einem krawallgebürsteten Rache-Epos á la Max Payne und einer, auch für DAU’s (Dümmst anzunehmender User) dechiffrierte, Hacker-Glorifizierung.

© ahnungsvoll / Watch Dogs life in Chicago 3 / 2014
Im Gegensatz zu futuristischen SciFi-Thrillern, wie etwa der Matrix Dystopie, konstruiert Watch Dogs dabei eine Realität, die allenfalls eine, vielleicht zwei iPhone-Generationen von unserem hier und jetzt entfernt zu sein scheint. Dieses Gefühl von Vertrautheit im Alltag einer detailreichen Spielwelt macht unglaublich beklommen. Während Pearce als geläuteter Rächer unnahbar bleibt, beanspruchen x-beliebige Bürger die Sympathien, gerade durch ihre Hilflosigkeit in einer vernetzten Welt.

Wie problemlos man aktuell selbst schon zum gläsernen Bürger werden kann, demonstrierte jüngst Moderator und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Er ließ sein Mobiltelefon mit einem Trojaner infizieren. Die Malware zeichnete auf wohin Yogeshwar ging, was er sprach oder fotografierte. Am Ende des Tages präsentierte er ein beängstigend umfassendes Protokoll seiner Privatsphäre, eingefangen von einem Programm, das nicht viel mehr braucht, als einen unbedacht geöffneten E-Mail-Anhang, um sich zu installieren. 

Auch tatsächliche Hacker wie Jonathan Brossard bestätigen, wie simple es ist, sich Zugang zu beinahe beliebigen Daten zu verschaffen. Brossard arbeitet als sogenannter Withe-hat, er hackt Computersysteme im Auftrag der Hersteller, um eventuelle Sicherheitslücken ausfindig zu machen. Die ersten Spielsequenzen aus Watch Dogs bedenkt er mit einem anerkennenden Grinsen. Natürlich reicht kein flüchtiges Tippen auf dem Handy-Display, um einem Häuserblock den Strom abzudrehen oder das Portfolio des Passanten vor einem abzufischen. „Hacking, wie wir es im Mainstream sehen, ist Bullshit.“ Sagt er, nur um in den folgenden drei Minuten den Laptop eines Kollegen zu kapern. Auch das macht beklommen. 

Letztendlich bleiben solche Kabinettsstückchen nur Show. Zwar sind die Datenströme tatsächlich vorhanden, eine Darstellung in Echtzeit können aktuelle Systeme aber schlicht noch nicht verarbeiten. Praktisch funktioniert das Hacken von Software also auch mit der etablierten Smartphone Technologie noch in Heimarbeit. Über seinen Computer-Monitor gebeugt, bastelt Brossard Code-Schnipsel zusammen und kommt über Probieren und Justieren den Fehlern der Systeme auf die Spur. 

Das ist glücklicherweise noch weit entfernt von der Hollywood reifen Inszenierung, wie sie in Watch Dogs suggeriert wird. Dennoch oder gerade deswegen befeuert diese Darstellung die kollektive Paranoia um Vernetzung und Überwachung großzügig. Um den Menschen klar zu machen, auf was für eine Welt wir uns derzeit zubewegen, ist das aber vielleicht gar nicht so verkehrt. 


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Dieser Artikel erschien vormals im Stern No° 21. 
vom 22. Mai 2014