Die unerträgliche Leichtigkeit des Nichtseins

© wikicommons / von Paul Stevenson / Austellung Körperwelten / 2010






Die Ausstellung Körperwelten präsentiert nun in Hamburg 

tote Körper und Leichenteile. Weshalb nur?

 

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Von Hubertus J. Schwarz    8. Juni 2014


Hamburg, Speicherstadt – In Hamburg erlebt die Ausstellung Körperwelten eine Renaissance. Die Eröffnung lässt auch die Frage nach der Intention der Spender wieder aufleben - Eine Betrachtung. 

Es ist Menschenzoo. Habitate hinter gläsernen Mauern, Humanoide, die ihren scheinbar arttypischen Beschäftigungen nachgehen, Hinweistafeln mit Sinnsprüchen und Informationen über die Kunststücke der Vorgeführten. Was nach Affenspektakel klingt, funktioniert in der Realität lautlos. Die Exponate, sie sind tot. Die Ausstellung, sie dreht sich um Leichen. 
Die im Mai neu eröffneten Körperwelten widmet sich dem Thema Mensch, speziell dem menschlichem Herzen, auf eine schonungslos direkte Weise. Denn nicht etwa Nachbildungen aus Kunststoffen werden hier in der Hamburger KulturCompagnie präsentiert, sondern Exponate, im wahrsten Sinne, aus Fleisch, Blut und Gewebe. Die toten Körper stammen von Personen, die sich noch im Leben dazu entschieden haben, ihre sterblichen Überreste dem Wissenschaftler Gunther von Hagens zur Verfügung zu stellen. Der deutsche Anatom konserviert und arrangiert die Körper der Toten in unterschiedlichen Posen und Situationen des Alltagslebens. 

Zunächst und vorallem möchte der Initiator Von Hagens seine Ausstellung als Wissen schaffende Aufarbeitung des menschlichen Körpers für jedermann verstanden wissen. Die Körperwelten sollen ein breites Publikum über das Innere und die Funktionen des menschlichen Körpers informieren. So heißt es von Seiten der Betreiber. Konsequent gibt es auch keine Altersbeschränkung für den Zutritt in dieses Museum der etwas anderen Art. Eltern oder Lehrer sollen selbst entscheiden, ob ihre Schützlinge für den neunzigminütigen Rundgang vorbereitet sind. 

Aber braucht es dieses Erlebnis echter Leichen, um dem Verständnis des Menschen näher zu kommen? Spätestens bei der Betrachtung der Körperwelten wird deutlich, dass zumindest der wissenschaftliche Mehrwert im Vergleich zu mittlerweile so täuschend echten Repliken menschlicher Körperteile, kaum bestehen kann. Das Auge des Laien kann zwischen totem Fleisch und Plastik kaum unterscheiden. Von Hagens in den neunziger Jahren erfundene Technik der Plastination ist bemerkenswert und für Forschung und Wissenschaft sicher ein kleiner Hüpfer, wenn schon kein Sprung, nach Vorne. Dem Unbedarften wäre mit einer Nachbildung aber wohl auch gedient gewesen. 
 
© Gunther von Hagens' KÖRPERWELTEN / Atlas / 2014 
 
 
 
 
© Gunther von Hagens' KÖRPERWELTEN / Der Schachspieler / 2014 















 Dennoch ist der Schauwert nicht zu verkennen. Der Reiz, echte Gebeine zu sehen, die morbide Faszination während man auf die starren Arrangements blickt. Das Wissen um die Authentizität des gezeigten ist beklemmend und aufregend zugleich. 

Die Toten gaben ihre Körper in dem Glauben ihre Selbstbestimmung über das Leben hinaus zu verlängern. Ihre vertragliche Einwilligung offenbart, dass die Plastination eine Organspende nicht ausschließt. Der Vertrag eröffnet auch, dass die Spender zumindest über die genau Art, Weise und Pose, wie Von Hagens sie nun der Öffentlichkeit präsentiert, nicht entscheiden können. Ob sich die Exponate darüber im klaren waren, ist zumindest anzunehmen. Ihre Intention liegt so vielleicht nicht in der Selbständigkeit, da ihnen mit dem Tod gleichsam die Möglichkeit abhanden kam, das weitere Geschehen um und mit ihnen zu beeinflussen. Die Gründe liegen tiefer. 

Die Raumstimmung erzeugt einen eigenartigen Gefühl-Cocktail. Besucher streichen an den humanoiden Installationen vorbei, Plastinationen beim Sport, Körper, in ihre Bestandteile zerlegt, ein Leichenpaar im Liebesakt, Raucherlungen, ein Gehirn in Toastscheiben zerlegt. Es fällt schwer, für sich selbst zu entscheiden, ob man sich in einem Museum befindet, oder die betroffene Miene eines Trauergängers angebracht ist. Die Ausleuchtung ist weder besonders düster, noch übertrieben aufgehellt. Man fühlt sich, wie zwischen mehreren Welten begriffen. Insbesondere, wenn kein anderer Besucher die Beziehung zwischen den Körpern der Toten und einem selbst stört. 

Vielleicht ist es genau diese unwirkliche Kommunikation, über die die Körperwelten funktionierten. Eine nur subtil wahrnehmbare Spannung, die sich nie zwischen einer Plastik, sondern nur einem Corpus, in dem einst Leben pulsierte, und dem Betrachter aufbauen kann. Insofern besitzen die Körperwelten eine beinahe sakrale Aufgabe. Ohne zu wissen, welche Person einst mit dem Körper lebte, den wir nun betrachten, so erinnern wir uns bei seinem Anblick doch in gewisser Weise einer Existenz, die in dieser Form nun nicht mehr besteht. Vielen der Spender war dieser Gedanke, nicht vergessen zu werden, im Gegenteil, durch das Auge des Rezipienten sogar weiter zu bestehen, mit Bestimmtheit Trost und Anlass, ihre Hülle den Körperwelten zu übergeben.


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Ausgestellte Plastinate: 200
Adresse: Shanghaiallee 7 
20457 Hamburg - HafenCity 
www.koerperwelten.html