Rock'n'Roll mit Molekülen

© ServustTV / Illustration von Christopher Eder / 2015



Zwei Forscher tummeln sich am Lebensende der Menschen, ihre Intentionen sind dabei jedoch grundverschieden
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Von Hubertus  J. Schwarz      20. Oktober 2015

Salzburg, Österreich –  Biologen, Gerontologen, Molekularforscher - sie alle versuchen den Mechanismen die uns am Leben halten auf die Spur zu kommen. Die Forschungsansätze sind dabei jedoch oft sehr verschieden. Ein Einblick in die Arbeit von zwei weltweit führenden Wissenschaftlern, dem Biogerontologen Aubrey De Grey und dem Molekularwissenschaftler Josef Penninger.


"Natürlich ist Altern unerwünscht! Genau wie Lepra unerwünscht ist. Weil es Leute tötet!"

Theorie der freien Radikale nach Aubrey de Grey
Biogerontologe Aubrey de Grey postuliert sieben molekulare und zelluläre Ursachen des Alterungsprozesses und daraus resultierender Krankheiten. Zum ersten Mal stellte der Brite seine Thesen in dem 2007 erschienen Buch Ending Aging vor. Gemeinsam mit Co-Autor und Forscherkollegen Michael Rae schlägt De Grey vor, durch den Fokus auf regenerative Medizin auf molekularer und zellulärer Ebene diese sieben Ursachen des Alterns einzudämmen. Die Basis seiner Forschung macht dabei die Annahme der Abnutzungstheorie und freien Radikalen aus. 

Als freie Radikale bezeichnet man Molekülfragmente mit einer nur geringen Lebensdauer von weniger als einer Sekunde. Durch ihre Eigenschaft, schnell mit anderen Atomen zu reagieren, werden sie für unterschiedliche Formen von Zellschäden verantwortlich gemacht. Dies wirkt sich in der Entstehung von Krebserkrankungen, Alzheimer und dem generellen Abnutzungsprozess des menschlichen Körpers aus. Unser Organismus wirkt diesem Effekt durch schützende Enzyme und Hormone bedingt entgegen. Die Forschung versucht an diesem Punkt anzuknüpfen und die Reparaturmechanismen soweit zu verstärken, dass sie die zerstörerischen Radikale vollständig isolieren. 

Krebs, der mutierte Tod | Todsünde des Alterns #1  
Schäden durch die bösartige Mutation von Körpergewebe bezeichnen wir gemeinhin als Krebserkrankung. Als eine Ursache wird die durch den Mangel an Telomerase bedingte Genschwäche angenommen, die ein weiteres Teilen der Zelle verhindert. Spezielle Gentherapien sollen die Kopplung des Telomerase-Prozesses an die Gene unterbunden und so langlebige Stammzellen generieren.

Mitochondrien im Abverkauf | Todsünde des Alterns #2
Bei einer Mutation von Mitochondrien, der zelleigenen Energieproduzenten, soll ebenfalls eine Gentherapie helfen. Durch ein rechtzeitiges Austauschen der betroffenen Mitochondrien durch modifizierte Klongene werden sie in den Zellkern verlagert. Da die meisten freien Radikale in den Mitochrondrien entstehen, kann deren Auswirkung so besser unter Kontrolle gehalten werden. Der Zellkern schützt die mitochondriale DNA besser, als es im übrigen Teil der Zelle der Fall wäre.

Müll im Zellsystem | Todsünde des Alterns #3  
Die Entwicklung neuartiger Enzyme, speziell zur Beseitigung von Abfallstoffen innerhalb menschlicher Zellen, soll die Lebensdauer dieser erhöhen. Vereinfacht gesagt, geht die Theorie davon aus, dass reinere Zellsysteme einer geringeren Abnutzung ausgesetzt sind, als verschmutzte. Dieses Putz-Enzym soll aus Bodenbakterien gewonnen werden, deren besondere Fähigkeit es ist, den Abfallstoff Lipofuszin abbauen zu können.

Schadstoffe von außen | Todsünde des Alterns #4 
Eine auf die gerontologischen Prozesse angepasste Impfung soll besser vor extrazellularen Abfallstoffen schützen, indem sie die menschlichen Immunzellen verstärkt dazu anregt, bestimmte Abfallstoffe zu absorbieren, die den Zellen schaden könnten.

Harte Schale bedeutet harter Kern | Todsünde des Alterns #5 
Die Vernetzung von zuvor unstrukturierten Proteinen hat unterschiedliche Wirkungen. Beispielsweise härtet dieser Prozess einen Organismus. ein Vorgang, den der Mensch beim Gerben oder für eine Dauerwelle nutzt. Verursacht wird dies durch Polymere, die Reaktion auf einen chemischen Stoff. Für unseren Körper bedeutet die zunehmende Verhärtung auf molekularer Ebene jedoch eine Minderung der Leistungsfähigkeit. Sie soll durch Medikamente, die die Verkettungen aufbrechen, rückgängig gemacht werden.

Zellverlust ganz generell | Todsünde des Alterns #6 
Der generelle Zellverlust durch das Absterben verbrauchter Segmente kann beim Muskelgewebe durch entsprechendes Training repariert werden. Andere Körperregionen müssten durch proteinbasierte Wachstumsförderer zum Aufbau neuer Zellen angeregt werden. Einige Organe benötigten darüber hinaus noch gesonderte Stammzellen, um zur erneuten Zellteilung stimuliert zu werden.

Überschuss der Zellrentner | Todsünde des Alterns #7 
Unumkehrbar veraltete Zellen schaden dem Organismus, da sie ihre Aufgabe nicht genügend erfüllen, jedoch keinen Platz für einen Nachfolger geben. Durch eine Gentherapie, die das Immunsystem dazu anregt, Zellen ab einer bestimmten Lebensdauer gezielt abzulösen, könnte dieser Überalterung entgegengewirkt werden. Alternativ könnten sogenannte Suizid-Gene in den Körper transferiert werden, die speziell alte Zellen abtöten, ansonsten aber keinen Schaden im Körper anrichten.



"Meine Message ist: Gesundheit, auch im Alter. Ich möchte dazu beitragen, dass wir mit 80 noch gesunde Knochen haben, mit 90 noch am Fußballplatz spielen können, das Alter verstehen und die Krankheiten unter Kontrolle bringen.“ 

Das Institut für molekulare Biotechnologie
Josef Penninger baute 2002 das Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien auf, seither steht er diesem als Direktor vor. 2003 wurde das IMBA operativ tätig. Ziel des Forschungsinstitutes ist, Grundlagenforschung in den Bereichen der Molekularbiologie und Medizin zu betreiben. So sollen molekulare Prozesse in Zellen und Organismen geklärt und fundamentale Ursachen diverser Erkrankungen gefunden werden. Zwölf Forschungsgruppen arbeiten an Fragestellungen aus den Feldern RNA-Biologie, Zellbiologie, Stammzellen, Krebs oder Infektionserkrankungen.

Die Wissenschaftler um Josef Penninger beschäftigen sich mit vielen unterschiedlichen Forschungsprojekten im Bereich der Krankheitsentstehung. Gemeinsam ist den Projekten der experimentelle Ansatz: die Forscher manipulieren gezielt Gene in der Fliege oder der Maus, um dann die Auswirkungen dieser Veränderungen auf den gesamten Organismus zu studieren. Aus diesen Beobachtungen lassen sich grundlegende Prinzipien ableiten, die sowohl physiologische Vorgänge, als auch Mechanismen der Krankheitsentstehung betreffen. Hier sind es insbesondere Herz- und Lungenerkrankungen, Autoimmunkrankheiten, Störungen des Knochenstoffwechsels, Darmerkrankungen und Krebs. 

Dem SARS-Virus auf der Spur | Forschungs-Highlights #1 
2002 grassierte der Erreger einer tödlichen Lungenentzündung. Innerhalb kürzester Zeit raffte die Krankheit weltweit rund 1.000 Menschen dahin. Das Schreckgespenst einer Pandemie geisterte durch die Medien, der Name des Virus war in aller Munde – SARS. Zwei Jahre später, 2005, entschlüsselten Forscher unter der Leitung von Josef Penninger die chemische Ursache des akuten Atemnotsyndroms. Sie beschrieben das Virus als bisher unbekannten Vertreter der Corona-Familie, einer speziellen Influenza. Anhand von Versuchen mit Mäusen stellten die Wissenschaftler fest, dass der Erreger ein Enzym blockierte, das für den ausgeglichenen Haushalt von Körperflüssigkeiten zuständig ist. Wird dieses Enzymsystem in der Lunge gestört, kann der Virus die Lungenbläschen infizieren und dort seine tödliche Wirkung entfalten.

Zwischen Knochenschwund und Brustkrebs | Forschungs-Highlights #2  
Ob Osteoporose, Leukämie, rheumatische Arthritis oder Krebsmetastasen, all diese Krankheitsbilder haben als Symptom oft Knochenschwund gemein. Dafür ist ein Protein mit der Bezeichnung RANKL verantwortlich. Ebenso besteht in RANKL die Verbindung zwischen Hormontherapien und dem dadurch erhöhten Brustkrebsrisiko. Das Protein regt die Teilung der Brustdrüsenzellen an und ist ein wesentlicher Faktor bei der zunehmenden Stammzellenpopulation – zwei direkte Vorrausetzungen für eine Krebserkrankung. Diese Zusammenhänge entdeckte Josef Penninger mit seinem Team 2010. Inzwischen fußen auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Medikament gegen Knochenschwund und vorbeugende Maßnahmen gegen hormonabhängigen Brustkrebs.

Hoffnung für den schwachen Darm | Forschungs-Highlights #3  
Der Forschungsgruppe um Josef Penninger ist es unlängst gelungen, den Mechanismus aufzuklären, der bei Mangelernährung zu Störungen des Immunsystems zu Durchfall und Darmentzündungen führt. Die Forschungsergebnisse der Gruppe zeigen, wie Bestandteile der Nahrung auf die Zusammensetzung der Darmflora unmittelbar Einfluss nehmen. Die medizinische Anwendung dieser Erkenntnisse könnte Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen helfen.

Stammzellen nach Wunsch | Forschungs-Highlights #4 
Künstlich hergestellte Stammzellen mit nur einem Chromosomensatz, für Genetiker lange Zeit Wunschdenken. 2011 stellte Penningers Team eine Methode vor, mit der sich solche haploiden Stammzellen züchten lassen – eine wissenschaftliche Sensation. Ohne einen zweiten Chromosomenstrang, der bei Versuchen die Ergebnisse verfälschen kann, werden so sehr viel exaktere Aussagen getroffen. Die Wissenschaftler können nun Millionen Gen-Mutationen gleichzeitig nachstellen und ihre Auswirkungen erforschen. Forschungsprozesse, die zuvor Jahre in Anspruch genommen haben, werden mit dieser neuen Anwendung auf einen Bruchteil ihrer Dauer reduziert.

Killerzellen gegen Metastasen | Forschungs-Highlights #5 
Anfang 2014 präsentierte Penningers Team eine „Pille gegen Metastasen”. Dem zugrunde lag die Erkenntnis, dass das Protein CbI-b als molekulare Hemmschwelle für Immunzellen wirkt. Die Wirkstoffe der Pille lösen diese Bremse. So können die CbI-b Proteine als eine Art hocheffektive Killerzellen Tumormetastasen auf natürlichem Weg ausschalten. 

Vermessung des kreativen Gespürs | Forschungs-Highlights #6 
Penninger entwarf die ersten genetischen Landmarken für Herzversagen, Fettsucht und das Schmerzempfinden. Während dieser Vermessungsarbeiten am Aufbau des Menschen entdeckte der gebürtige Oberösterreicher auch das erste Gen für Synästhesie. Dessen Effekt ist die Anregung durch Sinneseindrücke auf die Kreativität.

Stephen Hawking lässt grüßen | Forschungs-Highlights #7 
Penninger und sein Team haben an Mäusen den Mechanismus für die Entstehung von ALS identifiziert. Ein bestimmtes Gen namens CLP1 konnte "abgeschaltet" werden. Daraus könnten sich neue Behandlungsmethoden für ALS-Patienten ergeben. Der wohl berühmteste Patient ist der britische Star-Physiker Sir Stephen Hawking.


ServusTV nimmt Sie mit auf eine interaktive Reise zur Unsterblichkeit: ewigesleben.servustv.com


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