Ratgeber zur Destruktivität

© ahnungsvoll / Dornach / 2010
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Mut zur Wut oder mit fröhlichem Grinsen auf geradem Weg in den Wahnsinn
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Von Hubertus J. Schwarz   18. Oktober 2010


Graz, Steiermark – Ein Text aus sich selbst und kleiner Radgeber wie sich sinnvoll destruktiv sein lässt. Zeilen über Wut, Aggression und die Freude daran.

Schiebe ich mich durch die konsumwütigen Massen, die da rücksichtslos und unerzogen die Straßen bevölkern, so sind Gedanken an allerlei Mordwerkzeuge, viel Blut, dazugehöriges Organ und spontane Schlachtgelüste beinahe ebenso stetige Begleiter. Mein aktueller Favorit: Freund Axt. Selbstverständlich nur metaphorisch. 

Dennoch könnte heute durchaus der Tag sein, an dem ich mich mit irgendjemandem auf der Straße noch einmal so richtig anlege. Schlicht aus Freude am Unfrieden. Im Norden nennt man das wohl, auf Krawall gebürstet sein. Bin folglich geladen: mit Frustration, Wut, gerechtem Zorn und Menschenhass im Allgemeinen, gepaart mit einer Brise beklemmender Versammlungsparaneua. Nennen wir es Agoraphobie im Endstadium und belassen es dabei.

Anmerken lassen wir uns allerdings nichts: Frohgen Mutes, mit einem Lächeln auf den Lippen durch die widerliche Masse an Leibern stoßen, gleich einem Eisbrecher durch die erstarrten Gebirge an verkühltem Nass... 

Gerade, und jetzt in diesem Moment ist es meine Überzeugung, dass ein Text keine Aussage braucht, keinem anderen Sinn dienen muss, als mir Mittel zum Zweck zu sein, um mich mitzuteilen. Ich möchte nichts vermitteln, sondern schlicht am einspeisenden Beginn der Leitung sitzen, anstatt an dem Ende, wo der durchgekaute Ausschuss wieder zutage tritt. Das literarische Ventil, sprichwörtlich voll aufdrehen. 

Dabei ist es nicht einmal so, dass ich hier mit einem üblen Gewissen oder etwa wirklich schlechter Laune sitze, die im Übrigen ein denkbar unpassender Begriff ist und den Gefühlsdschungel nur allzu unzureichend beschreibt. Allein schon das schlecht, wieso soll es schlecht sein, wenn man sich einmal ordentlich auswringt und Aggressionen an die Umgebung abgibt? Es muss irgendwo immer Ausgleich geschaffen werden. So wie eine Wolke ihre statische Ladung an die Erde abgibt, so gebe ich die meine an das stinkende, pulsierende Biotop meiner Umwelt ab. Da ist die Gesellschaft im Allgemeinen ein dankendes Opfer, lässt sie sich doch mit so ziemlich allem füllen, was in irgendeiner Weise zu ihr dringt. Ein Gütesiegel gibt es da nicht, es herrscht Konsumanarchie; das ungeschriebene Gesetz: Schnell weg und neu, Hauptsache mehr, Hauptsache jetzt

Da wird gedrängt, geschoben, gestoßen und beschimpft. Wütende Blicke, die einem folgen und andere die beinahe obligatorisch schon vorauseilen, um jedem Entgegenkommenden klar zu vermitteln: "Mit mir nicht, Kerl". Am liebsten sind mir diejenigen Subjekte, die nicht ausweichen, um sich und anderen Platz zu machen, eine erzegoistische Haltung, die mir das Messer in der Tasche aufgehen lässt. Um es dann, mit einem seligen Lachen, im Gesicht des rücksichtslosen Passanten zu versenken.

Zielgerichteter Zorn, das ist, was einen guten Wutausbruch ausmacht. Trifft die Rage Unbeteiligte, soll das nicht Ziel und Zweck sein. So es ist meist auch das grässliche Gegenteil von förderlich, im Besonderen dann, wenn sich das vermeintliche Opfer als überraschend wehrhaft entpuppt.

Jedoch noch wichtiger als die Richtung ist die Art der Raserei, sie muss frisch und ungezügelt herausbrechen. Noch bedeckt mit dem ungereiften Sud an mütterlicher Fruchtbarkeit. Gleich einem Alien, der sich aus der Bauchdecke der apathischen Kosmonauten herausgräbt, um sein verheerendes Werk zu verrichten.

Die Wut dringt in die Welt, Breites sich rasend schnell aus, und ebenso wie jede Hollywoodepidemie nach knappen zwei Stunden Spieldauer ausgesorgt hat, so muss auch die Aggression sich so schnell, wie sie gekommen wart, wieder verziehen. Anhaltender Zorn ist nicht gut für den Äther, sie macht in bitter und gallig.

Letzten Endes muss es noch nicht einmal die höchste Form solch aggressiver Äußerung sein. Diejenige, an dessen Ende tatsächlich etwas Produktives herauskommt. Ja, sie ist sogar die Ausnahme der Regel und widerspricht dem eigentlich Wesen der Raserei. Man ist entweder destruktiv oder schaffend tätig. Beides in einem vereint, ist doch höchst sinnbefreit.

Damit möchte ich natürlich nicht sagen, dass etwa Beethovens "Wut über den verlorenen Groschen" überflüssig ist. Ganz im Gegenteil, ich meine vielmehr eben dies: dass eine gesunde Aggressivität im Alltag uns allen gut tut. Nicht nur die Spekulationsblasen an der Börse blähen sich zu mehr als nur ungesunder Größe auf, auch die Menschen selber. Bis der Dehnungsprozess seine äußersten Belastungsgrenzen erreicht und die ganze Wut, der Hass, die Aggression, Frustration, Furcht, Unmut, Unlust in einem ungesunden Schwall heraustreten und man wie eine geplatzte, überreife Frucht in der Sonne liegt und nur noch schneller verdorrt. Dr gemeine Mediziner nennt dies dann: Burn-out.

Man spricht ja nicht von ungefähr, dass Wut das Hirn vernebelt. Aber schlimmer noch als der Zornesdampf, ist diese träge, sirubistische Maße, die sich an allen Ecken und Enden der Seele festsetzt, sie zerfrisst, bis man irgendwann völlig von Frust verseucht darniederliegt. Dann doch lieber ein guter, fein getrimmter Ausbruch zur rechten Zeit, der den noch ungesättigten Nebel wegbläst und den Geist befreit. Nicht umsonst heißt es doch auch, dass man in etwas gelehrt wird. Es kommt doch von nichts anderem als leeren. Bevor man ein Gefäß mit Neuem füllen kann, muss es zuvor geleert werden und genau das sollt man viel öfter mit sich selber tun.

Hat man gerade keinen überproportionierten, weihnachtlichen Konsumrausch zur Hand um in die rechte Stimmung für einen Ausbruch der wütenden Art zu kommen, so empfehle ich Folgendes:

Den Film: Falling Down mit Michael Douglas 
Das Stück: Wut über den verlorenen Groschen von Beethoven 
Das Lied: Revolte von Paul Kalkbrenner 
Eine Herdplatte: um sich die Finger daran zu verbrennen


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