Ich spreche – Ljubljana!

© Julia Slamanig / Ich spreche – Ljubljana! / Ljubljana / 2011

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Fernsehkinder und Lokalkolorit aus Slowenien
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Ein Gastbeitrag von julia Slamanig   6. Dezember 2011


Ljubljana, Slowenien – Rund zwei Millionen Menschen leben in Slowenien. Knappe 0,03 Prozent der Weltbevölkerung sprechen Slowenisch. Der große Sprachen-Bruder, wie Österreich ihn in Deutschland hat, fehlt dem Land. Deshalb sind die Slowenen gezwungen, ihren sprachlichen Horizont weiter zu fassen. Eine Betrachtung des Sprachenreichtums im kleinen Nachbarland von Julia Slamanig.

Lokalaugenschein in der Hauptstadt Ljubljana
Ihre kurzen weißen Haare stehen vom Kopf ab, wellen sich ein wenig. Ihr lachsfarbener Mantel tarnt schmächtige Arme. Am Ende der Ärmel kommen zerknitterte Hände zum Vorschein, ruhen verschränkt im Schoß. Zwischen ihren Beinen steht ein beiger Stoffsack, voll bis zum Rand. Die kleine Frau ist Ende siebzig. Der Bus, in dem sie sitzt, fährt stadtauswärts. Die Herbstsonne fällt vom Westen schräg durch die Fenster und macht Staub in den Fugen, Schmutz auf den Sitzen sichtbar.

Zwei Stationen nach mir steigt sie in den grünen Linienbus ein und setzt sich neben mich. Wir sind noch gar nicht losgefahren, spricht mich die alte Dame schon an, auf Slowenisch. Einfach so. Entschuldigend antworte ich in Englisch. Sie sieht mich kurz an, lächelt und plappert in Englisch weiter. Als ich erzähle, dass ich aus Österreich komme, fährt sie in akzentfreiem Deutsch fort: „Seit 60 Jahren bin ich in Ljubljana. Zwölf Jahre war ich in Dachau.“ Zwischendurch streut sie englische Wörter in die deutschen Sätze. „Insgesamt spreche ich sechs Sprachen. Deutsch, Englisch, Slowenisch, Russisch, Kroatisch, Ungarisch.“

© Julia Slamanig / Ljubljana / 2011
Diese zufällige Begegnung im Bus führte mir bereits am ersten Tag in Ljubljana vor Augen, wie international die 280.000-Einwohner-Stadt ist, die bis vor 20 Jahren noch Teil Jugoslawiens war. Reinhard Zühlke aus Deutschland – Fachberater und Koordinator der Zentralstelle für Auslandsschulwesen in Ljubljana – nennt Deutsch als zweitwichtigste Fremdsprache in Slowenien, an erster Stelle stehe Englisch. „Seit die Grenzen geöffnet sind, ist die Nachfrage nach Deutsch immer größer geworden“, erzählt Suzana Vezjak, Assistentin am Österreich Institut in Ljubljana, „die Deutsch-Intensivkurse sind im Moment für ein Monat im Voraus ausgebucht.“

Phänomen „Fernsehkinder“
Alte Slowenen können Deutsch noch aus Zeiten des Krieges, junge Einwohner lernen es beim Fernsehen. Denn aufgrund der geringen Verbreitung der slowenischen Sprache werden Filme und Fernsehserien oft nicht synchronisiert. Wobei dieses vermeintliche Manko wohl weniger ein Nachteil, sondern vielmehr eine Bereicherung ist. Zühlke spricht vom Phänomen der Fernsehkinder: „Sie lernen heimlich Deutsch, indem sie österreichisches und deutsches Fernsehen, vor allem Kinderprogramme gucken. Die Eltern bekommen manchmal gar nicht mit, dass die Kinder auf diesem Weg Deutsch gelernt haben.“

Diese Kinder verstehen ausgezeichnet, können sehr gut sprechen, aber beim Schreiben haben sie große Probleme. Zühlkes Frau Carola unterrichtet am Gymnasium Bežigrad Deutsch. „Die Fernsehkinder unterhalten sich ganz toll mit mir, aber wenn sie zu schreiben beginnen, O Gott!“, erzählt sie und lacht. „Ich habe aber auch eine Schülerin, die Deutsch nach Büchern gelernt hat, also Literaturdeutsch. Und so spricht sie auch.“

© Julia Slamanig / Ljubljana / 2011
„Lauschiger Ort“ mit Kosmopoliten
Von den 280.000 Einwohnern in Sloweniens Hauptstadt, sind etwa 65.000– fast ein Viertel –Studenten. „Ein ruhiger, gemütlicher Platz“, beschreibt Student Armando Garcia aus Brasilien (Sao Paulo) Ljubljana, „trotzdem eine sehr kosmopolitische Stadt. Überall sind Menschen verschiedener Länder.“ Der 26-jährige Brasilianer studiert seit vier Jahren im „Herzen Europas“. „Bei Nachforschungen über Osteuropa hat sich Slowenien als das am meisten entwickelte Land herausgestellt“, erzählt er von seinem Studienort. Außerdem sei das Leben hier nicht teuer. „Es gibt großartige Angebote für Studenten. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind günstig und das Essen. Ich genieße besonders das Wetter, den Winter, die Jahreszeiten.“ 

Gergana Nikolova (26) aus Bulgarien studiert seit zwei Jahren in Ljubljana. In ihrem Heimatland sei im Gegensatz zu Slowenien Korruption an der Tagesordnung: „Man muss oft bezahlen, um eine Klausur zu schaffen.“

So wie Armando und Gergana studieren viele Ausländer in Ljubljana. Dementsprechend international ist auch die Schulbildung in der Stadt, vom Kindergarten bis zum Abitur. Während meiner Recherchereise habe ich eine amerikanische Schule besucht.

Die QSI (Quality Schools International) liegt am Stadtrand, am Ende einer Sackgasse an einem Wald. Es ist 15 Uhr, die Kinder der Vorschule tollen zwischen den Bäumen, klettern, schaukeln, spielen mit Riesenbällen. Zwei Jungs, etwa vier Jahre alt, sammeln Laub in einer Schubkarre. Ein blondes Mädchen steht daneben und gibt Anweisungen, auf Englisch. Direktor Jay Loftin hantiert mit einer Strickleiter an einem Baum. „Wir haben 52 Schülerinnen und Schüler, im Alter von drei Jahren bis zum Highschool-Abschluss im Alter von etwa 18 Jahren. Auf sieben Schüler kommt ein Lehrer. Dieses Verhältnis ist wunderbar.“ Nach und nach treffen Erwachsene ein, holen die Kinder ab. Das blonde Mädchen, das vorhin noch die Jungs auf Englisch herumkommandiert hat, spricht nun Deutsch. Ein kleiner Junge redet auf Slowenisch auf seine Mama ein. „In der Vorschule haben wir 17 Kinder mit zehn verschiedenen Sprachen. In der QSI wollen wir eine globale Gemeinschaft mit vielen verschiedenen Kulturen schaffen.“ Ein Drittel der Schüler sind Amerikaner, ein Drittel Slowenen und das letzte Drittel kommt aus anderen Ländern. „Ich finde das Bildungssystem in Slowenien sehr zukunftsweisend“, sagt Direktor Loftin, „die Lehrer sind hier sehr qualifiziert.“

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Gutes Zeugnis für Sloweniens Schulen
Auch Zühlke lobt: „Die Schulen finde ich gut organisiert, die Lehrer sind gut ausgebildet.“ In Slowenien sei man bemüht, für die Ausbildung viel zu tun. „Die Schulen sind großteils wunderbar ausgestattet.“ Von Whiteboards, Beamer, elektronischen Tafeln bis hin zum klimatisierten Klassenzimmer fehle es in manchen an nichts. „Teilweise schneiden die Schulen in Slowenien sogar besser ab, als die in Deutschland“, so Zühlke, „im Großen und Ganzen war Slowenien für mich eine große positive Überraschung.“

Ebenso wie Reinhard Zühlke war ich von Ljubljana positiv überrascht. Die Schulen, die ich besucht habe, können mit denen in Österreich gut mithalten. Sprachbarrieren lösen sich meist in Luft auf – ich habe mich mit 90 Prozent der Menschen auf Englisch oder sogar auf Deutsch verständigen können. 

Drago Jančar, einer der bekanntesten zeitgenössischen Autoren Sloweniens, wurde 2004 – als Slowenien der EU beigetreten ist – gefragt, ob er sich vor einem Verlust der Identität, vor allem der slowenischen Sprache, fürchten würde. „Ich habe geantwortet, dass wenn die Slowenen ihre Sprache und Kultur nicht bewahren können, sie nicht Wert seien, eine zu haben“, erzählt er. „Wir leben nun in einem großen offenen Bereich, wo alle über die Vielfalt an Kulturen sprechen, das hat großen Wert. Also warum sollen wir uns davor fürchten, sie zu verlieren? Ich glaube nicht, dass jemand in naher Zukunft seine Individualität oder Identität verlieren wird.“ Vor allem junge Menschen in Slowenien fühlen sich seiner Meinung nach als Europäer. „Sie haben ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur Öffnung der Grenzen. Alles ist offen für ihr Leben, ihre Zukunft.“

© Julia Slamanig / Ljubljana / 2011


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Ein Gastbeitrag von Julia Slamanig
Erschienen im joe Magazin / Herbstausgabe 2011
Eine Reportage für die Eurotours 2011
Mehr findet ihr hier: Vier gegen das System