Reis oder Kartoffel

© Thuy Nguyen / Stuttgart / 2011
W
 
 
 Wer bin ich und wo komme ich her
________________________________________
Ein Gastbeitrag von Thuy Nguyen   7. Dezember 2011


Stuttgart, Deutschland – Was bin ich? Was macht mich aus? Wo gehöre ich hin? Die Frage nach der Identität ist eine, die sich jeder ab einem bestimmten Punkt in seinem Leben stellt. Die Antwort zu finden, kann manchmal ein Leben lang dauern und durch die Nationalität erschwert werden. Ein Gastbeitrag von Thuy Nguyen.

Auch ich stellte mir ab einem gewissen Alter diese Frage. Mittlerweile scheint die Antwort darauf immer klarere Formen anzunehmen. Mittlerweile bin ich 20 Jahre jung. Mittlerweile bin ich Studentin im 1. Semester eines gestalterischen Studiengangs. Und mein Name ist Thuy: Hallo!

Insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund, wie mir selbst, spielt die Nationalität oder das nationale Zugehörigkeitsgefühl eine entscheidende Rolle in der Identitätsfindung. Geboren und aufgewachsen bin ich in Deutschland. Zur Uni gehe ich in Deutschland. Mein Umfeld und die Mehrheit meiner Freunde sind deutschstämmig. Ich spreche fließend Deutsch. Bin ich also Deutsche? 

© Thuy Nguyen / Stuttgart / 2011
Erzogen wurde ich von meinen vietnamesischen Eltern. Mit vietnamesischen Kultureinflüssen, Traditionen und Gerichten. Aufgewachsen bin ich unter vietnamesischen Immigranten. Ich sehe asiatisch aus. Ich spreche auch ein wenig Vietnamesisch. Bin ich also doch eher Vietnamesin?
Und auch ein Blick in meine Papiere löst diese Frage nicht. Da es mir relativ egal war, was für eine Staatsangehörigkeit in meinem Pass steht, beschloss ich - aus rein bürokratischen Vorteilen - mich einbürgern zu lassen. So hatte ich bis zum Mai letzten Jahres noch die vietnamesische Staatsbürgerschaft. Jedoch: im Prozess der Einbürgerung, die dank der fleißigen Beamtenbienen reibungslos vorangeht, musste ich diese ablegen. Mittlerweile warte ich seit mehr als eineinhalb Jahren auf meine neue Staatsbürgerschaft. Den Fakten zufolge bin ich momentan staatenlos. Bin ich also ein Nichts?

Der Konflikt, zu welcher Nationalität ich mich nun zugehöriger fühle, ist wohl einer, den ich mit vielen meiner Mitmenschen teile. Wir alle leben in einer deutschsprachigen Gesellschaft und Umgebung. Gehen in Schulen, wo deutsch gesprochen wird. Und die meisten von uns üben hier höchstwahrscheinlich später auch einen Beruf aus. Und dennoch, zu Hause oder privat erwartet sie eine gewisse Parallelgesellschaft. Eine andere Sprache wird gesprochen, anderes Essen wird gegessen. Es gelten andere Regeln. Andere Sitten. Andere Traditionen. Solche, die eigentlich in ein komplett anderes Land gehören. Und dennoch existieren sie hier. Unter Menschen wie mir.

© Thuy Nguyen / Stuttgart / 2011
Ich fühle mich weder wie eine Deutsche, noch wie eine Vietnamesin. Beide Kulturen haben mich beeinflusst. Beide lebe ich aus. In beiden Gesellschaften habe ich einen gewissen Platz. Aber sie definieren nicht meine gesamte Identität. Sie sind ein Teil davon. Inklusive meiner über die Jahre gesammelten Erfahrungen, und derer, die ich noch sammeln werde, meiner Mitmenschen, den Medien und allen anderen Einflüssen. So wurde ich zu der Person, die ich heute bin. DAS ist für mich Identität und kann wohl kaum alleinig an der Nationalität festgemacht werden.

Denn seien wir mal ehrlich: Kann man in einem Zeitalter der Globalisierung wirklich noch jedem eine eindeutige Nationalität zuordnen?

In diesem Sinne: nicht Reis oder Kartoffel? Reisoffeln!


_________


 
Ein Gastbeitrag von Thuy Nguyen
Erschienen im joe Magazin / Herbstausgabe 2011
Mehr findet ihr hier: Identiät – Das Ich in uns