Kaltblütig

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Sein oder nicht sein eines Frosches – Versuch einer Fabel
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Von Hubertus J. Schwarz   3. Januar 2014

Mannheim, Deutschland – Sein oder nicht sein, ist hier nicht die Frage. Eine kleine Fabel über Leben und Tod für den guten Zweck.

Es war ein Mal vor nicht allzu langer Zeit, in einem fernen und doch nicht allzu fernen Land, ein Frosch. Dieser Frosch war anders als die anderen. Er mochte kein Wasser, seine Haut war auch nicht nass und glitschig wie die der anderen Frösche. Zwar hatte er ein breites Froschmaul und er war auch wunderbar grün. So wie es sich für einen Frosch von Rang und Namen gehörte. Aber viel größer als die anderen Frösche. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Deshalb verachteten ihn alle Bewohner des Heimatteiches. Die Frösche und Kröten bewarfen ihn mit Kieseln, wenn er sich näherte. Und Insekten machten einen noch größeren Bogen um ihn als um die anderen Amphibien. Selbst die Fische waren misstrauisch, obwohl sie sonst immer sehr neugierig an die Oberfläche kamen, wenn sich dort etwas regte. 

Eines Tages saß der große, einsame Frosch auf einem Stein, nahe dem Ufer. Im verlassensten und unheimlichsten Teil des Tümpels. Dort wo er in Ruhe gelassen wurde von den gemeinen Teichbewohnern. Hier war es düster und der Schlick fast schwarz. Selbst das Schilf schien etwas Abweisendes an sich zu haben. Es stand dich gedrängt am Rand des Wassers. Der Frosch dachte nach. Über das Leben im Allgemein und über sein eigenes, kümmerliches Dasein im Speziellen. Er wusste ja, dass er sich von den anderen unterschied. Nur warum, wusste er nicht. Man hatte ihm erzählt, dass er eines Tages, aus dem Himmel mitten in den Teich geplumpst war. Und keiner hatte je herausgefunden, woher er gekommen war. Der große, einsame Frosch selber erinnerte sich nicht mehr daran. So sehr er es auch versuchte, ihm wollte nicht einfallen, was vor dem Himmelssturz gewesen war.
 
Und weil es ihm nicht einfallen wollte, beschloss er seinem Leben ein Ende zu setzen. Nun wo er endlich ein klares Ziel hatte, war die Melancholie verflogen. Tatendrang durchflutete ihn von den nicht vorhandenen Haarspitzen bis hinein in seine Froschschenkel. Er sprang von seinem Sitzstein auf und hüpfte so schnell er konnte in den östlichen Teil des Teiches. Dort lebte ein alter und fast blinder Kranich. Der Frosch wollte ihn bitten, dass er ihn fressen möge. 
Als er den betagten Kranich gefunden hatte, rief der Frosch aus dem Schilf heraus: „Hey, alter Kranich! Komm bitte her und friss mich. Mein Leben ist eine unsägliche Qual, ich fühle mich wie von tausend Mücken gestochen. Du musst mir helfen dem ein Ende zu setzen!“ Der Kranich verstand erst gar nicht, wer da überhaupt rief und erst als der Frosch im erklärt hatte, dass er ein Frosch war, funkelten die trüben Augen des Vogels plötzlich vor Interesse. „Soso, ein lebensmüder Frosch. Das ist mir auch noch nicht untergekommen. Verzeih mir, wenn ich sage, es ist beinahe bedauerlich, dass es nicht mehr von deiner Sorte gibt.“ Das gefiel dem Frosch. Endlich lobte ihn einmal jemand und wollte sogar mehr von ihm haben. „Schön, lieber  Kranich, aber nun tu mir den Gefallen und friss mich!“ 

Der Kranich folgte der Stimme und stieß mit seinem langen Schnabel in das Schilf. Es machte Klonk! Der Kranich krächzte auf und flatterte wütend zurück. Mit einem seiner nur noch spärlich gefiederten Flügel rieb er sich den Schnabel. „Was bist du denn für ein Frosch? Dich kann ich nie im Leben fressen! Verschwinde, du Untier und brich anderen Vögeln den Schnabel…“ Der Frosch war völlig perplex. Was war geschehen, er konnte sich wieder einmal keinen Reim darauf machen. Und so zog er mit hängenden Schultern von dannen. Noch lange hörte er das Fluchen des Kranichs, der sich über seinen gestoßenen Schnabel strich.

Der große, einsame Frosch war verzweifelt. Nicht einmal fressen wollte man ihn. Was stimmte denn nicht mit ihm? War er den anderen nicht grün oder schleimig genug? War es, dass er so groß war und den anderen Froschdamen Angst machte? Er grübelte vor sich hin und lief einfach weiter und weiter. Hauptsache weg von dem Heimatteich, indem ihn keiner leiden konnte. Er huschte und hüpfte durch den Wald, in dem der Teich lag, über Wiesen und irgendwann stieß er auf eine hoch aufragende, weiße Fläche. Sie war gigantisch. Fast so hoch, wie die Bäume die den Teich gesäumt hatten. Und noch viel breiter als diese. 

Der Frosch vergaß ob diesem unbekannten Gebilde seine Todessehnsucht und schlich vorsichtig an ihm entlang. Und dann, nach einer Weile, stieß er auf eine große Öffnung. Er spähte hinein. Nichts regte sich. Und niemand gab einen Laut. Aber nun roch der Frosch etwas. Köstliche Düfte stiegen ihm in die Nase. Gerüche, die er noch nie zuvor hatte riechen dürfen. Er ließ alle Vorsicht fahren und folgte wie benebelt dieser Duftfahne. Bis er mit seiner Nase an ein Hindernis stieß. Wieder ein weißes Gebilde. Und noch glatter als die Fläche, die er zu Beginn entdeckt hatte. Sie war glatt und die wunderbar köstlichen Gerüche schienen direkt hinter ihr zu liegen. 

Der Frosch schnupperte an den Rändern entlang. Immerzu hoffend, einen Eingang zu entdecken. Aber auch, als er am Ende angelangt war, hatte er nichts gefunden. Hier nun ging der Rand dieser Weisen Platte hinauf und endete irgendwo in unerreichbarer Höhe. Aber als er sich schon resignierend abwenden wollte, sah der Frosch einen Spalt. Einen sehr dünnen Spalt, der sich am gesamten Rand der Fläche entlang zog. Er versuchte sich dazwischen zu schieben. Schob und drückte. Und schließlich als er sich mit Händen und Füßen dazwischen presste, sprang die Fläche auf. Und es wurde Licht. Eine Helligkeit wie die der Sonne strahlte dem großen, einsamen Frosch entgegen und vor ihm lag das Paradies. Essen so weit das Auge reichte und kein anderes Tier, das es ihm streitig machte. Er sprang hinter die Fläche und hinein mitten in das helle Schlaraffenland. 

Aber als er versuchte die köstlich riechenden Speisen zu verschlingen, merkte er, dass es nicht ging. Seine Zunge knallte nur gegen etwas Hartes. Es machte Klonk! Schon wieder. Erst wollte er es gar nicht fassen. Ihn fröstelte. Jetzt erst, als die Euphorie verflogen war, merkte er, wie kalt es im Paradies war. Geradezu eiskalt! Der Frosch sah sich um. Und entdeckte etwas Flauschiges. Kurz entschlossen schnappte er danach und streifte sich das wohlig warme Etwas über den Kopf. Es half aber nicht viel gegen die Kälte. Zitternd und frierend wanderte er weiter durch das ungenießbare Schlaraffenland. Da hörte er hinter sich ein lautes Knallen. Der Spalt hatte sich geschlossen. 

Der Frosch war gefangen. Aber zum Glück blieb das Licht an. Seltsam, dachte der Frosch, ich hätte erwartet, dass das Licht ausgeht.  Irgendwann endete sein Weg vor einer spiegelnden Fläche. Er blickte hinein, sah sich und um sich herum die anderen Gefäße aus Plastik. Und er verstand. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht stellte er sich zwischen die wohlriechenden Dinge und wartete auf seinen frierenden Tod.




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