Das Sterben nach dem Krieg

© wikicommons / Jacopo Werther / Militärhospiz während der Spanischen Grippe in Kansas / 2014



Die Spanische Grippe raffte mehr Menschen dahin 
als der gesamte Erste Weltkrieg
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Von Hubertus  J. Schwarz      13. Juli, 2014


Hamburg, Deutschland – Die Schlachten des Ersten Weltkrieges waren geschlagen, eine Niederlage des Deutschen Reichs schon abzusehen. Mit dem Ende des Kriegs war das große Sterben allerdings noch nicht zu Ende - im Gegenteil.

"Finden Sie jeden verfügbaren Tischler und Schreiner und lassen Sie sie Särge herstellen. (...) Nur dann haben Sie eine Chance, dass die Zahl der Leichen nicht schneller steigt, als Sie sie beerdigen können." Diese Notiz stammt von einem amerikanischen Arzt. Er hatte erkannt, dass es sich bei der Grippewelle im Frühjahr 1918 nicht um eine gewöhnliche Influenza handelte. Seine düstere Warnung an einen Kollegen fand in der grässlichsten Pandemie des 20. Jahrhunderts ihre Bestätigung. Die Spanischen Grippe raffte in den folgenden Jahren Abermillionen Menschen dahin.

Die Ursprünge der Seuche sind bis heute kaum bekannt. Spanien als Ausgangsort galt bisher als verbreitetste These. Andere Meinungen führen dagegen Amerika als Ursprungsland der Krankheit und die Truppenbewegungen  der Armeen als Ursache der Pandemie an. Diese Unsicherheit ist der teilweise schlechten Quellenlage geschuldet. Im Fokus der Behörden und Medien lagen 1918 hauptsächlich die mit toten Soldaten angefüllten Schützengräben des Ersten Weltkrieges.

"Eine merkwürdige Krankheit mit epidemischem Charakter ist in Madrid aufgetreten", kabelte die spanische Agentur Fabra im Mai 1918. So wurde die Seuche in den Reaktionen der Presse zur „Spanischen Grippe“. Die neutrale Haltung Spaniens im Ersten Weltkrieg ermöglichte eine milde Zensur, sodass Berichte über die sich mehrenden Krankheitsfälle nicht unterbunden wurden. Ende Mai sprachen die Agenturen schon von acht Millionen Infizierten. Todesopfer gab es bei dieser ersten Welle jedoch nur wenige.

Der Verlauf der Influenza wurde als rasend schnell beschrieben. Zumeist ging es den Infizierten nach wenigen Tagen mit Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen wieder besser. Unter amerikanischen Soldaten kursierte die Bezeichnung „Three-Day Fever“. Im Laufe des Sommers 1918 mutierte der Virus, die neue Form noch aggressiver und nun tödlich.
Im Juni erreichte die Seuche Mitteleuropa. "Die Grippe griff überall stark um sich", schrieb der deutsche General Ludendorff. Er schob das Versagen der Sommeroffensive auf die grassierende Grippewelle. Nach dem großen Sterben im Hagel der Granaten kam nun der stille Tod in Gestalt der Spanischen Grippe über die Soldaten.

Im Herbst 1918 brandete die zweite Infektionswelle über die Welt. Rasant stieg die Zahl der Krankheitsfälle parallel an der Atlantikküste, in Afrika und den USA. In Georgia wurden zwei Soldaten in ein Lazarett gebracht.
Ihre Symptome waren ein aggressives Fieber und starke Kopfschmerzen. Bereits am nächsten Tag waren 716 Männer erkrankt. Allein im September starben über 12.000 Soldaten. Ähnlich virulent verbreitete sich die spanische Grippe in Europa. Zwar wurden Quarantänen angeordnet, durch die heimkehrenden Soldaten konnte die Ausweitung der Pandemie jedoch nicht verhindert werden.
In der zweiten Jahreshälfte starben weltweit etwa 25 bis 50 Millionen Menschen. Durch die Nachkriegswirren war eine exakte Zählung oft nicht möglich. Auf dem Scheitelpunkt der „Herbstwelle“ schätzten die preußischen Behörden, dass zwei Drittel der Bevölkerungen erkrankt waren. Die US-amerikanische Armee verlor ebenso viele Soldaten durch die Seuche, wie in den Kampfhandlungen während des Ersten Weltkrieges. Truppen, die von den Schlachtfeldern Europas in ihre Heimat zurückkehrten, verbreiteten die verheerende Influenza über die ganze Welt. In Indien war die Sterberate unter der Zivilbevölkerung mit etwa 17 Millionen Toten besonders hoch. 

Im Frühling 1919 schlug eine dritte Welle der Seuche ein, die besonders den chinesischen Raum packte. Noch bis in die 1920er Jahre kam es in unterschiedlichen Regionen der Welt zu Nachepidemien. Letztendlich forderte die Spanische Grippe weit mehr Opfer als Soldaten im Ersten Weltkrieg starben.


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Der vollständige Artikel erschien Im SPIEGEL-Buch: 

Der Erste Weltkrieg
Geschichte einer Katastrophe

Annette Großbongardt, Uwe Klußmann und Joachim Mohr (Hg.): Der Erste Weltkrieg, Die Geschichte einer Katastrophe, DVA München 2014



Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ASpanish_flu_hospital.png
von (Image: courtesy of the National Museum of Health and Medicine, Armed Forces Institute of Pathology, Washington, D.C., United States.) [CC-BY-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons vom Wikimedia Commons