Countdown zum Erfolg

© McLaughin / Countdown zum Erfolg / 2015
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Brauchen Siegertypen Talent?
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Von Hubertus J. Schwarz   17. Februar 2015 

Hamburg, Deutschland – Dan McLaughlin möchte Profi-Golfer werden. Dafür hat er seinen Job aufgegeben und übt seit drei Jahren auf einem Golfplatz in den USA. Alles wegen einer Theorie.

Seit drei Jahren spielt Dan McLaughlin unermüdlich Golf, fast täglich, viele Stunden lang. In Internetvideos kann man sehen, wie der 34-Jährige in seinem zugeknöpften Polohemd über den Golfplatz im US-Bundesstaat Oregon marschiert - er sieht aus wie ein schneidiger Nerd, eine Mischung aus Woody Allen und Tom Cruise.

Bis 2010 war McLaughlin ein Durchschnittstyp, wie er selbst von sich sagt, ein Werbefotograf, der gut von seinen Einnahmen leben konnte. Es waren Berichte über Forschungsergebnisse des schwedischen Psychologen Anders Ericsson, die ihn elektrisierten und sein Leben veränderten. Schluss mit dem Durchschnittsdasein, beschloss McLaughlin und nahm sich vor, Profi-Golfer zu werden. Zur Erfüllung dieses Traums gab er sogar seinen lukrativen Job auf; für sein Vorhaben sammelt er Sponsorengelder, etwa mit Hilfe seines Blogs thedanplan.com.

Der Plan: Dan McLaughlin will 10000 Stunden lang ausschließlich Golf üben. Sechs Jahre wird er dazu brauchen, dann will er als fertiger Profi-Sportler arbeiten. Wenn das klappt, würde er die These des Schweden Ericsson verifizieren, nach der Übung den Meister macht. Übung, nicht Talent.

Zu Beginn seines Selbstprojekts hatte McLaughlin so wenig Ahnung vom Golfen, dass er nicht einmal wusste, ob er die Bälle rechts- oder linkshändig schlagen sollte. Sein Guru Ericsson, heute Forscher an der Florida State University, gratulierte dem freiwilligen Versuchskaninchen: "Ich denke, du bist der richtige Astronaut für diese Mission."
Ericsson hatte Anfang der neunziger Jahre mit deutschen Kollegen gut ausgebildete Berliner Violinisten analysiert, um dadurch herauszufinden, welche Faktoren für den Erfolg besonders wichtig sind. Das Forscherteam verglich drei Gruppen à zehn Geiger: die Meisterschüler, die von ihren Lehrern für die besten gehalten wurden, solche, die bereits in renommierten Orchestern spielten, und eine Vergleichsgruppe, die Geige lediglich studierte, um Musiklehrer zu werden.

Ergebnis: Egal, wie begabt oder engagiert die Studenten zu Beginn ihres ersten Semesters waren, letztendlich entwickelten nur diejenigen das Potential zu echter Professionalität, die mindestens 10000 Übungsstunden absolviert hatten.

Der kanadische Autor Malcolm Gladwell hat mit seinem Bestseller "Überflieger" ("Outliers") die Ericsson-Maxime, also dass Fleiß vor Talent geht, 2008 popularisiert.

Golf-Legende Tiger Woods ist ein Paradebeispiel für Verfechter der These. Seinen golfspielenden Vater soll Baby Tiger schon im Alter von sechs Monaten nachgeahmt haben; als Zweijähriger durfte das Wunderkind die ersten Bälle vor Publikum in einer TV-Show schlagen. Sechsmal holte Woods den Titel der Junior World Golf Championship, bis er im Alter von 20 seine Karriere als Profi-Golfer begann. Zu diesem Zeitpunkt hatte er mutmaßlich weit mehr als 10000 Stunden auf dem Golfplatz verbracht.

Dabei zahlte sich allerdings nicht nur die viele Zeit auf dem Green aus. Wichtig war auch die frühe Förderung durch den Vater. Gladwell erweiterte Ericssons Übungsmantra um die Beobachtung, zum Erfolg gehöre auch, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. "Überflieger sind die", so Gladwell, "denen sich Gelegenheiten eröffnet haben - und die dann die Stärke und Geistesgegenwärtigkeit hatten, diese zu ergreifen."

Keiner werde ganz von allein mit viel Übung ein Genie, sondern aufmerksame Eltern, engagierte Lehrer oder einfach nur die richtigen Freunde gehörten auch dazu. Gladwell zufolge wäre auch ein Bill Gates ohne die fördernden Eltern nicht über seine Laborübungen am Computer herausgekommen, und ein Wolfgang Amadeus wäre ohne die frühe Ausbildung durch den väterlichen Hofkomponisten Leopold Mozart heute unbekannt.
Wie aber verhält sich Ericssons 10000-Stunden-Theorie zu den individuellen genetischen Voraussetzungen, fragen bis heute seine ungläubigen Kritiker. Kann intensives Training fehlendes Talent wirklich aufwiegen?

Der Biopsychologie und Hirnforscher Onur Güntürkün von der Universität Bochum etwa ist skeptisch: "Für alle Kompetenzen gilt, dass nicht nur Übung, sondern eben auch Talent eine Rolle spielen", sagt der Professor. "Gewiss, im motorischen Bereich kann man fehlende Begabung eher ausgleichen. Aber ich könnte noch so viel üben, aus mir wird kein Genie vom Schlag eines Einsteins. Mit ganz viel Einsatz werde ich es vielleicht zu einem halbwegs passablen Klavierspieler bringen."

Eine kürzlich erschienene Studie des Psychologen Zachary Hambrick von der Michigan State University legt nahe, dass selbst diese Einschätzung noch optimistisch sein könnte. Die Metastudie wertete 14 Untersuchungen über Spitzenschachspieler und Musiker aus. Bei den Hirncracks am Brett waren danach die aufgebrachten Übungsstunden zu 34 Prozent am Erfolg beteiligt, bei den motorisch versierten Musikern sogar noch weniger, nämlich gerade noch zu 30 Prozent.

Naturgemäß bezweifelte der Erfinder der 10000-Stunden-Theorie, Ericsson, die Meta-Studie. Menschen würden häufig die Höhe ihrer Übungszeit falsch erinnern, hält er dagegen. Das gewonnene Datenmaterial sei nicht belastbar, um seine These - dass Übung Talent schlägt - zu entkräften.

Interessanterweise verlässt auch Dan McLaughlin sich nicht allein auf stupides Bälleschlagen nach der Uhr. Noch bevor der Mann aus Oregon mit dem Training begann, heuerte er ein ganzes Team von Experten an. Ein Chiropraktiker und ein Fitnesstrainer bemühen sich ständig darum, die körperliche Leistung des Golfeleven zu steigern. Sogar einen Motivator hat McLaughlin eigens engagiert, er nennt ihn seinen "Goal Guru". Erst dieses Gesamtkunstwerk bildet "The Dan Plan": 10000 Stunden - aber eben nach Plan.
Der Leistungspsychologe Markus Raab von der Deutschen Sporthochschule in Köln hat die Lernerfolge bei Golfspielern untersucht. Er hält McLaughlins Weg für erfolgversprechend. Ein didaktisches Konzept sei die Grundvoraussetzung zum Erfolg. Die Lerninhalte müssten aufeinander aufbauen, und nach jeder Einheit sei ein sehr gutes Feedback wichtig. "Es reicht nicht, bloß 10000 Stunden zu trainieren", sagt Raab.

Dan McLaughlin hat sein Programm bisher geduldig durchgezogen. Am 17. Juli dieses Jahres hatte er genau 4339 Stunden auf dem Golfplatz trainiert. Eine Stoppuhr auf seiner Website zeigt an, wie viele Stunden noch verbleiben. Die ersten Erfolge haben sich eingestellt: Er ist in die Amateurliga aufgenommen worden und hat es bei Turnieren schon unter die besten fünf geschafft.

McLaughlins aktuelles Handicap liegt bei ziemlich guten 5,8. Der Countdown läuft, zu den 10000 Stunden fehlen nur noch drei Jahre - dann muss Tiger Woods sich warm anziehen.



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Dieser Artikel erschien vormals im Heft "Projekt Ich" 
bei SPIEGEL WISSEN No° 3
vom 3. August 2013