Obacht!

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Es gibt Dirndl und es gibt Dirndl – Apell an die Wiesnstürmer
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Von Hubertus J. Schwarz   19. Februar 2015

München, Deutschland – Alle Jahre wieder verwandelt sich die Münchner Theresienwiese in das größte Volksfest der Welt. Am 21. September öffnete das Oktoberfest seine Pforten zum 181 Mal. Die bairischen Trachten tragen dabei erschreckende Blüten.


Völkerverständigung auf bairisch: Ein junger Münchner Student krallt sich volltrunken in die unfreiwillige Umarmung eines Asiaten in Lederhosen und Trachtenhemd. Beide wanken in dem Versuch das Gleichgewicht auf einem schon bedenklich wackelnden Biertisch zu retten. Durch das Bier getränkte Hemd des Studenten erhascht der asiatische Tourist einen Blick auf das Kleideretikett - Made in China. Er lächelt und gibt einen aus.

Pkw-Maut hin oder her,
auf dem Oktoberfest sind Ausländer gern gesehen, am liebsten zahlungskräftige Touristen. Nur was die Kleiderordnung anbelangt, hapert es an der Verständigung gewaltig. So positiv eine heterogene Kundschaft auch sein mag, die inoffizielle Trachtenpflicht gepaart mit einer modischen Unzurechnungsfähigkeit vieler Besucher führt zu erschreckenden optischen Verirrungen. Exportschlager und Urheber der beeindruckendsten Kuriosa ist unangefochten das Dirndl. 

Noch vor wenigen Jahren galt als reaktionärer Bauerntölpel,
wer sich in Trachtenkleidern auf der Wiesn blicken lies. Seit vorzugsweise Touristen aus dem Fernen Osten und zum Komasaufen wild entschlossene italienische Studentengruppen das Volksfest für sich entdeckt haben, scheinen Lederhosen und Dirndl wieder schwer im Kommen. Spätestens durch die österreichische Modedesignerin Lena Hoschek, die ihre Pin-up Moden mit traditionellen Trachten kreuzt, zeigen sich auch hierzulande junge Erwachsene ihrer Herkunft bewusst. Mittlerweile expandiert die gebürtige Grazerin ins Ausland, der Berliner Laden läuft prächtig. Zahlungsschwächere Wiesnbesucher decken sich allerdings vorzugsweise bei virtuellen Versandhändlern oder den Trachtenständen an Flug- und Bahnhöfen ein. Was dort angeboten wird, treibt einem Tränen in die Augen. 


Der Anblick verschüchterter Asiatinnen, die für die Wiesn in Highheels und Kleider mit der Produktbezeichnung Dekolleté-Wahnsinn schlüpfen, ist herzzerreißend. Den armen Unwissenden kann man dabei nicht einmal einen wirklichen Vorwurf machen. Denn entgegen anderslautender Propagandameldungen aus München, gibt es das eine und echte Dirndl so gar nicht. Vielmehr existieren unzählige Variationen der alpinen Trachten. Etwa das Zillertaler Dirndl oder das steirische Bad Ausseer. In keinem Fall ist es ein rein bajuwarisches Folkloreprodukt. Wenn schon hierzulande kaum jemand zu erkennen weiß, welches Dirndl nun mehr oder weniger typisch bairisch ist, wie soll der von der Landessprache schon grenzenlos überforderte Tourist einen besseren Spürsinn beweisen.

Nur bei den Kosten kann man einhellig
von hoch bis exorbitant sprechen. Zumindest wenn es nach der selbst ernannten Modebibel, dem Vogue Magazin geht. Das Journal präsentiert unter dem Stichwort Wiesn "Beauty-Tipps" und "Mode-Trends" rund um das Oktoberfest. Alternativ sind die dort beworbenen Artikel auch unter den Sucheingaben "überteuert" oder "unverschämter Preis" zu finden. Die Kollektionen der zeitgenössischen Modedesigner kosten selten unter 1000€. Auch für eine hochwertige und nach traditionellem Schnittmuster gefertigte Tracht kann man gut, und gerne um die 1500€ veranschlagen. 


Um der Illusion alpiner Tradition so nahe wie nur irgend möglich zu sein, sind erstaunlich viele verwirrte Geister bereit diesen Wucher noch zu unterstützen. Sei es auch nur für einen einzigen Besuch des größten Volksfests der Welt.

Aber Obacht!
Es gibt Dirndl und es gibt Dirndl. Wobei nur Letztgenannte wirklich etwas taugen. Von den neonfarbenen Synthetikschnäppchen an Bahnhofsständen ist abzuraten, aber auch der kitschige, überteuerte Designerverschnitt aus dem pseudoseriösen Versandhandel sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Es gilt die Faustregel, traue keiner Kluft, die weniger Stoff hat, als dein Pyjama. Liebe Mädeln und Madln, seinen sie versichert, sie wollen nicht in einem Kleid, das mit sehr gutem Willen allenfalls einer Achtjährigen über die Knie reicht, auf einem Volksfest aufkreuzen, bei dem Alkohol in Maß gemessen wird. 



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Diese Glosse erschien vormals in der ZEIT
N°40 vom 28 September 2013