Eine internationale Provinzpiste

© ahnungsvoll / Passagierzahlen deutscher Flughäfen 2014 / 2015










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Rekordstatistiken trotz Verbindungsengpässen, leeren Verkaufsflächen und immer mehr Billigfluglinien – Was bedeutet das für den Hamburger Flughafen?
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Von Hubertus  J. Schwarz      19. Februar, 2015

Hamburg, Deutschland – Wir sind kein Provinzflughafen, Hamburg ist im Vergleich ein beachtlicher Standort!“ Mit Nachdruck stemmt sich Sabine R.* gegen das Image des Hamburger Flughafens. Dennoch ist die Einzelhandelskauffrau eine von vielen, die der strukturelle Wandel am Flughafen trifft.

In mehr als einer Hinsicht scheint die Entwicklung in Hamburg widersprüchlich. Zwar preisen die Verantwortlichen Statistiken an, die Rekordwerte bei den Passagierzahlen und Erfolge im Bereich der Flugbewegungen aufzeigen, bei genauerem Hinsehen können diese Zahlen allerdings auch anders gelesen werden.

Für einen Flughafen bildet die Summe der in einem Jahr transportierten Personen eine der aussagekräftigsten Kennzahlen. Im deutschen Flugverkehr liegt der Hamburger Flughafen mit etwa 15 Millionen Passagieren dabei auf dem fünften Platz. Im Vergleich zu 2013, mit einem Wert von 13,5 Millionen Passagieren, bedeutet dies einen neuen Höchstwert. Die nächsten Konkurrenten sind dagegen weit enteilt. Mit Summen jenseits der 20 Millionen Marke liegen Berlin und Düsseldorf auf dem dritten und vierten Platz. Deutschlands zweitgrößte Stadt besitzt auch 2014 immerhin einen Flughafen in den Top 5.

Die Konkurrenz ist Hamburg entflogen
Ein weiterer Kontrastpunkt ist das Linienangebot. Vielflieger Gerald K. empfindet die geringe Auswahl als Einschränkung. „Ich merke das vor allem, wenn ich kurzfristig buche.“ Den Geschäftsreisenden schmerzt besonders die fehlende Anbindung an Ziele außerhalb Europas. „Ich muss mit mindestens einmal Umsteigen rechnen. Direkt von A nach B geht nicht.“ Tatsächlich gibt es in Hamburg 120 Direktverbindungen. Darunter fünf Flüge auf Langstrecken nach New York, Dubai, Teheran und in die Urlaubsdestinationen Kapverde und Cancún. Im Vergleich dazu führen jedoch auch hier Berlin, Düsseldorf, München und Frankfurt mit jeweils mindestens 40 Linienflügen mehr, als die Konkurrenz aus dem Norden.

Rar gesät sind auch die übrigen interkontinentalen Flugverbindungen. Zusätzlich zu der iranischen Hauptstadt haben vier Linienflüge Städte im Mittleren Osten zum Ziel. Eine Handvoll fliegt die Nordküste Afrikas und weitere Urlaubsinseln im Atlantik an. Nach Asien, Australien und Südamerika gibt es keine direkte Verbindung. Auch in den gesamten pazifischen Raum geht es nur über andere Flughäfen.

Neben den Ansprüchen geschäftlich Reisender bedeutet die eingeschränkte Mobilität auch Einbußen für die Tourismusbranche. Hamburg, eine Stadt mit großen Ansprüchen an sein Potenzial als Urlaubsziel, bleibt damit für die Welt außerhalb Europas weitestgehend unerschlossen.
 
Chance zum Drehkreuz des Nordens vertan
Eine ambivalente Tendenz betrifft die im vergangenen Jahr um knapp 6 Prozent zurückgegangenen Flugbewegungen. Das entspricht dem Niveau von 1994. Zwar wurden damit im Vergleich mehr Passagiere transportiert, der Trend im Flugverkehr geht also zu immer größeren Maschinen, jedoch steuern solche vierstrahligen Flugzeuge das Rollfeld im Hamburger Norden gar nicht mehr an. Zweimotorige Flieger mit zumeist 300 Sitzplätzen markieren das Größte, was sich von hier in die Lüfte erhebt. Im Vergleich dazu besitzt eine Boeing 747 oder der Airbus A380 eine Kapazität zwischen 470 und 850 Sitzplätzen.

Zusätzlich zu dem wirtschaftlichen Faktor spielt dabei auch das Ausmaß des Flughafens eine entscheidende Rolle. Das Risiko die Großraummaschinen nicht auslasten zu können, bedeutet neben einer Startbahn, die zu schmal für die Spannbreite der Tragflächen ist, eine Absage an den Standort Hamburg.

Die fehlende Kapazität des Flughafens resultiert aus einer seit Jahren verstockten Diskussion über die Verlagerung und damit einhergehende Erweiterung des Standortes nach Kaltenkirchen. Die ursprüngliche Vision sah einen modernen Großflughafen als ‚Drehkreuz des Nordens‘ vor. Im vergangenen Jahr wurde diesem Plan ein definitives ‚Nein‘ aus dem Senat aufgestempelt. Zu unsicher und kostspielig schien das Projekt einer Regierung, der das Desaster Elbphilharmonie wohl noch tief im kollektiven Gedächtnis steckt. Eine nicht unumstrittene Entscheidung, stößt doch der Flughafen mit Nachflugverboten, der Lage im Stadtgebiet und ausgereizter Bebauung schon jetzt an seine Kapazitätsgrenzen.

Mangelndes Vertrauen, mangelhaftes Angebot
So scheuen auch viele Einzelhandelsketten die Investition in ein Geschäft am Hamburger Flughafen. Ladenflächen stehen zum Teil über Jahre leer, Marken wie Imaginarium oder Esprit haben ihre Zelte abgebrochen. Anfang 2015 wird auch der Luxusausstatter Hermès, ein Aushängeschild der Einkaufsmeile, seine Türen schließen – Die Umsätze rechnen sich nicht mehr. Dieses mangelnde Vertrauen der Händler in Standort Hamburg steht in direktem Zusammenhang mit einer zunehmenden Präsenz der Billiglinien. Für Sabine R. bedeutet das die Kündigung ihres Jobs. „Das Publikum hat sich in den letzten Jahren verändert, billig heißt jetzt besser und das wollen viele nicht bedienen.“

Es lässt sich schwer urteilen, ob die Entwicklungen nun evolutionär oder degenerierend wirken. Ein Provinzflughafen würde Hamburg nicht gerecht, dennoch zeichnen die Zahlen das Bild eines Standortes, der sich weitestgehend selbst genügt.


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*Die Namen der zitierten Personen wurden auf ihren Wunsch hin geändert.
 
**Die im Text genannten Passagierzahlen resultieren aus den Zeitpunkt der verfügbaren Statistiken bei der Veröffentlichung vom 19. Dezember und können von den endgültigen Jahreswerten abweichen.